Daniela Ortiz, »Nurtured by the defeat of the colonizers our seeds will raise«, Foto: Daniela Ortiz

Persönlich politisch

Wie aktivistisch kann Kunst sein? Daniela Ortiz über ihre Schau im Kölnischen Kunstverein

»Wie hat das alles eigentlich für dich angefangen?« Daniela Ortiz runzelt kurz die Stirn und lächelt mich dann fragend an. Wir sitzen draußen vor einem Café gegenüber dem Kölnischen Kunstverein, wo sie gerade eine Einzelausstellung eröf­fnet hat. »Nurtured by the defeat of the colonizers our seeds will raise« hat sie diese erste große Präsentation ihrer Arbeit in Deutschland genannt. Etwa: Genährt durch die Niederlage der Kolonisatoren wird unsere Saat aufgehen.

Ich frage sie nach ihrem Anfang, weil die Art und Weise, wie Küns­tler*innen ihre Geschichte erzählen, viel darüber aussagt, wie sie Kunst definieren. »Daniela, ich habe das Gefühl, das diese Definition für dich besonders wichtig ist. Auf jeden Fall hebt sich deine Arbeit von anderen Positionen ab, weil ihre aktivistischen Haltung gleichzeitig persönlich, nar­rativ und zugänglich ist.« Daniela schaut konzentriert zu Boden. Dann hebt sie ihren Kopf, öffnet ihren Blick und beginnt zu erzählen:

»Dass ich Künstlerin werden will, wusste ich schon, als ich su­per­klein war. Das hört sich vielleicht kitschig an, aber damals schon faszinierte mich die Vorstellung, dass Kunst die Fähigkeit besitzt, neue Rea­litäten und Existenzen zu er­schaf­fen. Doch das ausschlaggebende Moment war eine ungewollte Schwan­gerschaft im Alter von 15 Jahren. Ich musste eine illegale Ab­treibung vornehmen lassen. Schwangerschaftsabbrüche sind in Peru verboten und werden mit Ge­fäng­nisstrafen von bis zu zwei Jahren geahndet. Selbstverständlich war das eine unglaublich schwere Situation, nicht nur weil es sehr gefährlich ist, sondern auch weil Frauen mit der Verar­beitung alleingelassen werden. Damals habe ich das erste Mal verstanden, dass ich in einem politischen System lebe, das die Macht hat über mich zu verfügen. Da waren auf einmal all diese wichtigen Fragen. Mir wurde klar, für ­welche politischen Überzeugungen ich einstehen will.«

Daniela Ortiz’ Weg heraus aus der Krise führte über die Musik, ge­nauer gesagt über südamerika­nische und spanische Punk Bands mit feministischer Agenda. Die Lyrics spiegelten ihre Situation und ihre Gefühle wider. In ihnen verbanden sich ihre Gedanken mit den Formulierungen der Musiker*innen und regten Denkprozesse an.

Auch das kann also Kunst sein, dachte sie: ein Tool der Selbstermäch­tigung. Ein politisches Werkzeug, das repressive Strukturen innerhalb der Gesellschaft aufzeigt, die Dringlichkeit kommuniziert diese zu verändern, zur Bildung von Allianzen aufruft und gesellschaftspoli­tische Prozesse in Gang setzt.

Dass diese Denkweise über die Rolle der Kunst in der Gesellschaft viel mehr ist als eine theoretische Haltung, versteht man, wenn Ortiz über ein Projekt erzählt, das ihr besonders am Herzen liegt. Zusammen mit weiteren gleichgesinnten Frauen initiierte sie ein Netzwerk, das Mütter juristisch unterstützt. »Besonders Migrantinnen sind in Bezug auf die Wahrung ihrer Rechte der Willkür der Obrigkeit ausgeliefert. Es ist aber auch wichtig zu sehen, dass dieses Problem viele alleinerziehende Mütter aus der Arbeiterschicht betrifft«, betont sie. Ausgangspunkt der Initiative waren mehrere Fälle der Trennung von Kindern von ihren Müttern, die im Oktober 2020 bekannt wurden und die alle ein unverhältnismäßiges Handeln der zuständigen spanischen Behörden aufwiesen.

Das Engagement für die Initiative steht nicht in direkter Verbindung mit einem Kunstprojekt, aber die Auseinandersetzung mit der Macht des Staates über persönliche Schicksale findet auch im Kölnischen Kunstverein statt. Die erste Arbeit der Ausstellung ist eine kleine Installation, die aus Handpuppen und einer Kulisse besteht. »Ich wurde angefragt, eine Performance in Rom zu realisieren. Als erstes war mir klar, dass diese zugänglich und für möglichst viele verständlich sein soll. Deshalb habe ich mich für die Form des Puppentheaters entschieden. Was das Thema angeht, so wurde mir ziemlich schnell klar, womit ich mich befassen will, als ich durch die Stadt ging und all diese Gebäude aus der Zeit des Faschismus sah. Die Faschisten deuteten damals alles auf ihren Plan hin um, auch die Sage von Romulus und Remus. Das zeigt, wie ein totalitärer Staat auch hinsichtlich der Kinder handelt: Sie sind sein Eigentum. Der Staat nährt sie und kann über sie ver­fügen. Die Mütter jedoch bleiben außen vor.«

Die Installation spiegelt Daniela Ortiz’ aktivistisches Engagement, das sich mit ihrer eigenen Lebensrealität als alleinerziehende Mutter verbindet. »Weißt du, das Anstrengende ist nicht, dass man alles allein machen, früh aufstehen, putzen, spülen muss. Das Spülen nervt, ja!« Daniela lacht. »Was aber wirklich anstrengend ist, ist das Gefühl, dass man in einen büro­kratischen Kon­troll­mechanismus geraten kann, aus dem man nicht so leicht wieder rauskommt.«

»Wie bei Kafka«, geht mir durch den Kopf. Mittlerweile ist es dunkel geworden, kalt, und trotz­dem strahlt und erzählt Daniela weiter von ihrer Arbeit, die so reich ist an persönlichen Geschichten. Sie führen um den ganzen Globus.

Kölnischer Kunstverein

Hahnenstr. 6, Di–So 11–18 Uhr, bis 30.1.22
koelnischerkunstverein.de