Tugend und Tischgebet
An die Kita an der Alten Post in Weiden werden sich viele nur ungern erinnern. Die achteckigen Pavillons, die zu einem Wohnpark aus den 70er Jahren gehören, stehen seit zwölf Jahren leer. Damals mussten die Kinder das Gebäude der städtischen Kita von einem auf den anderen Tag wegen eines Wasserschadens verlassen, es folgte ein jahrelanger Rechtsstreit mit den Eigentümern der Immobilie um die Sanierungskosten. Die Kita steht bis heute leer.
Nun hat sich ein privater Träger gefunden, der die Kita betreiben und das Gebäude sanieren will: die Kinderreich gGmbH, ein Netzwerk, das Kitas und Schulen in ganz Deutschland gründen will. Logo und E-Mail-Adresse teilt es sich mit dem spanischen Bildungsnetzwerk Arenales, das international Schulen und Kitas betreibt. Beide Institutionen stehen dem Opus Dei nahe, einer ultrakonservativen katholischen Vereinigung, die Züge einer Geheimorganisation trägt. Ihren Deutschland-Sitz hat die in Spanien gegründete Bewegung in Köln, hier soll sie großen Einfluss auf die Leitung des Erzbistums haben. So gehört etwa auch der im Zuge der Missbrauchskrise in die Kritik geratene Weihbischof Dominikus Schwaderlapp dem Opus Dei an — ebenso wie dessen Bruder Andreas, der einer der Geschäftsführer der Kinderreich gGmbH ist.
Der Vorsitzende des Jugendhilfeausschusses wurde beim Lesen des Konzepts stutzig
Sollen in der Kita in Weiden bald Kinder indoktriniert und für die Organisation geworben werden? Georg Kaiser bestreitet das. »Uns geht es um exzellente und ganzheitliche Erziehung und Bildung auf Grundlage eines christlichen Menschenbildes«, so Kaiser, der das pädagogische Konzept der Kölner Kita geschrieben hat. Die Einrichtung werde wie zuvor »Kita an der Alten Post« heißen und Kindern jeden Glaubens offenstehen. Einige Mitglieder des Trägers stünden dem Opus Dei oder »anderen geistlichen Gemeinschaften« nahe, andere seien nicht mal katholisch. »Der Träger ist institutionell in keiner Weise gebunden.«
Eine Kita wie jede andere sei in Weiden aber auch nicht geplant. Kaiser betont, als privater Träger könne man »ein Plus an Personal und persönlichem bzw. ehrenamtlichen Engagement« einsetzen und eine intensive Bindung zu jedem Kind aufbauen, es individuell fördern. Ein Alleinstellungsmerkmal sei außerdem die »intensive Erziehungspartnerschaft« mit den Eltern. Sie können kostenlose Seminare beim »Institut für Elternbildung« besuchen — auch dies eine Organisation, die im Umkreis des Opus Dei wirkt. Zudem soll es spanischsprachiges Personal und somit ein bilinguales Angebot geben.
In München gibt es mit der »Kita Zugspitze« bereits eine Einrichtung, die der in Weiden geplanten ähnelt. Dort müssen Eltern bis zu 800 Euro monatlich für die Betreuung zahlen. Solche Preise kann Kinderreich in Köln nicht verlangen — das verhindert das Kinderbildungsgesetz des Landes, das verpflichtende zusätzliche Elternbeiträge verbietet. »Wir werden Eltern auf einen freiwilligen Beitrag ansprechen. Das ist aber kein Kriterium für die Aufnahme«, so Kaiser. Drei Gruppen für insgesamt 65 Kinder sind geplant, im Sommer 2022 soll die Kita den Betrieb aufnehmen.
Erst Ende Oktober hat der Jugendhilfeausschuss des Stadtrats die Kinderreich gGmbH als Träger der freien Jugendhilfe anerkannt. Die Organisation erhält damit die übliche Förderung von mehr als 90 Prozent für den Betrieb der Kita und außerdem einen Zuschuss von mehr als 50 Prozent für die Sanierung.
Ralf Heinen (SPD) ist darüber äußerst unglücklich. Der Vorsitzende des Jugendhilfeausschusses wurde beim Lesen der Konzepte stutzig. Darin ist etwa vom regelmäßigen Tischgebet mit den Kindern die Rede, vom »Festigen der Tugendhaltung« und dem Ziel, »Ehrfurcht vor Gott« zu wecken. »Das sind Begriffe, die in pädagogischen Konzepten sonst nicht vorkommen.« Nach weiteren Recherchen sei Heinen klar geworden, dass zum Team von Kinderreich Opus-Dei-Mitglieder gehören.
Nicht nur Heinen wollte den Träger nicht. Im März gaben die Politiker bei der Verwaltung ein Rechtsgutachten in Auftrag, um zu erfahren, ob sie die Anerkennung verweigern können. Wenn der Träger formal alle Voraussetzungen erfüllt, sei dies höchstens möglich, wenn die Organisation vom Verfassungsschutz beobachtet werde, so die Antwort. Das ist bei Kinderreich nicht der Fall. In der Ausschusssitzung im Oktober bekam Kinderreich dann vier Stimmen — je eine von CDU, Grünen sowie zwei Jugendhilfe-Trägern. Die Vertreter betonten, sie höben nur aus formalen Gründen die Hand, und nicht, weil man inhaltlich zustimme. Der Rest enthielt sich. Damit war Kinderreich anerkannt.
Warum aber enthielten sich nicht alle Ausschussmitglieder? Fehlte der Mut, weil Köln dringend mehr Kitas braucht? Im Kindergartenjahr 2020/2021 wurden nur sechs neue Kitas in Betrieb genommen, geplant waren 17. Kinderreich erwog, auf dem Gelände von St. Pantaleon eine weitere Einrichtung zu gründen. Die Gemeinde wird von Opus-Dei-Priestern geleitet und betreibt dort seit langem selbst eine Kita. »Im Austausch mit der Pfarrei haben wir die Pläne verworfen. Es ist ungünstig, auf engstem Raum zwei Kitas mit ähnlicher Ausrichtung zu betreiben«, so Georg Kaiser. Er war früher Schulleiter. Schulen würde man perspektivisch auch gerne gründen, sagt er noch. Die braucht Köln bekanntlich noch dringender als Kitas.