Auf der Suche nach der verschissenen Zeit
Ein Jahrzehnt ist nie so cool wie sein Vintage-Trend. Das gilt besonders für die 90er Jahre, »Die verschissene Zeit«, so der Titel von Barbi Marković‘ Roman. Während in Berlin die Loveparade tobt und die Hosen immer weiter werden, herrschen 1000 Kilometer weiter südlich Bürgerkriege – auch im Wohnzimmer der 13-jährigen Vanja. Sie wohnt 1995 in einem Hochhaus im Belgrader Bezirk Banovo brdo, und wenn ihr Vater mal zu Hause ist, schimpft er vor dem Fernseher über Roma und Kroaten. Vanjas andere Probleme sind uncoole Klamotten ihres Bruders Marko, die sie auftragen muss, und dass es mit ihrer besten Freundin Kassandra manchmal kompliziert wird und sie ein Gespür für unbarmherzige Hierarchien hat. Hinzu kommt die krasse Armut im zerfallenden Ex-Jugoslawien. Marković nutzt die klassische Antiheldinnen-Figur für einen klassischen Abenteuerroman-Move. Die drei sollen ein Medaillon stehlen, um eine Zeitmaschine zu reparieren, mit der ein Wissenschaftler den Ausbruch der Jugoslawienkriege verhindern will. Gerade weil die Maschine nicht funktioniert, erleben die drei den Krieg aus nächster Nähe — von der Zerstörung der Brücke von Mostar 1993 bis zu den NATO-Bomben auf Jugoslawien 1999. Und jedes Mal befinden sie sich in einem Körper, der nicht mit ihrer Psyche in Einklang ist.
»Die verschissene Zeit« ist ein Experiment, ein Spiel mit historischen Stoffen, Genres und Sprache. Marković , die in Wien lebt, lässt ihre Figuren im schönsten Schmäh fluchen. Wer Authentizität sucht, kann sich schleichen. Zum Schluss des Romans gibt es die Anleitung zu einem Rollenspiel. »Die verschissene Zeit« ist ein literarisches Spiel, das aus einer besseren Zeit kommen könnte: der experimentellen Literatur der frühen 70er Jahre.
Roman
Barbi Marković: »Die verschissene Zeit«, Residenz, 304 Seiten, 24 Euro
Lesung
Sa 22.1., King Georg, 20 Uhr