»Wenn du die Welt auf den Kopf stellst, was siehst du dann?«
Werden Sie Erfahrungen und Kontakte aus ihren vorherigen Stationen in Peking und in Ahmedabad in ihre Professur an der Kunsthochschule für Medien in Köln miteinbeziehen?
Ich habe weiterhin sehr gute Beziehungen zur CAFA in Peking und auch nach Indien, so dass wir sehr spannende Kollaborationen eingehen können. Im Sommersemester haben wir das Projekt »Diaries of Confinement« realisiert, bei dem 50 Studierende aus sieben Ländern ihre Erfahrungen mit der Isolation während des Lockdowns zu einer filmischen Collage verarbeitet haben. Das ist nur ein Beispiel für eine internationale Produktion, die sich über das gesamte Semester erstreckt — jeden Freitag kommen die Studierenden über Zoom zusammen. Da schreiben die Kölner*innen beispielsweise eine Story, die anschließend von den chinesischen Studierenden interpretiert wird — und andersrum.
Unterscheiden sich die Themen, mit denen sich Ihre Kölner Studierenden beschäftigen, von den Themen ihrer Kommiliton*innen in der Welt?
Die Themen nicht, aber die Lesart. Wir haben das internationale Projekt »Letters from the Jungle« gemacht, beteiligt waren unter anderem Hochschulen in Mexiko und Kolumbien. Ausgangsmaterial waren Briefe von ehemaligen Kämpfern der kolumbianischen FARC-Bewegung. Weniger politische als persönliche Briefe zu ihrer Situation, zu ihrer Einsamkeit im Dschungel über viele Jahre hinweg. Trotzdem haben die chinesischen Studierenden diese Briefe politisch gelesen, während die indischen Studierenden dieselben Briefe eher auf eine romantische Weise interpretiert haben — und die Kölner Studierenden ebenfalls.
Ist der Animationsfilm ein geeignetes politisches Medium?
Alles ist politisch und Künstler müssen eine Haltung haben, das ist ihre Verantwortung. Wofür steht Kunst? Diese Frage muss jeder Künstler beantworten können und auch jeder Kunststudierende: Wie möchtest du in deiner Kunst die Welt repräsentieren? Natürlich muss ein junger Mensch erst einmal die Welt entdecken und kennenlernen, bevor er eine Haltung zur Welt einnehmen kann. Aber das ist die Aufgabe.
Wo verorten Sie den Animationsfilm zwischen Special Interest und Mainstream?
Animation reicht sehr weit in den Mainstream hinein. Nehmen Sie Ihr Handy und schauen sich all die GIFs und Emoticons an, die Sie heute bekommen haben. In modernen Kommunikationsmedien gehört Animation zum Mainstream. Oder auch in Games. Was hier an der KHM gelehrt wird, ist Handwerk und Kunst. Wenn man es anstrebt, kann man später mit diesen Tools eine Menge Geld verdienen. Aber was ich möchte, ist, dass die Studierenden hier bestmöglich ausgebildet werden und dann sehr ernsthaft ihre Ziele formulieren und verfolgen. Ob sie dann im Mainstream landen oder ganz woanders, ist für mich nicht entscheidend.
Was hat sich seit Ihrem Studium an der Kunstakademie Düsseldorf bis zur Gegenwart an der KHM geändert?
Heute gibt es eine Vielzahl an Animationsfilmfestivals auf der ganzen Welt, damals nicht. Ich fand mich in Düsseldorf in einem reinen Kunst-Kosmos wieder. Ich habe bei Nam June Paik Videokunst studiert und habe mich als Künstlerin entwickelt, erst später in den USA habe ich auch die kommerzielle Seite des Animationsfilms kennengelernt.
Gibt es eine Wechselwirkung zwischen Ihrer Professur und Ihrer Profession als Filmemacherin?
Wenn ich als Filmemacherin arbeite, bin ich im kreativen Prozess wieder auf dem Level meiner Studierenden. Ich bin zwar älter und habe andere Ressourcen, aber ich kann mich mit großer Empathie in die Studierenden versetzen, denn ich bin im kreativen Prozess genauso verletzlich und weiß zu Beginn oft nicht, wohin es mich führen wird. Ich kenne diese Ängste, für mich ist es also sehr lehrreich — und ich hoffe, für die Studierenden ebenfalls.
Aktuell arbeiten Sie an »Sultana’s Dream«, ihrem ersten Langfilm, der auf den gleichnamigen Science-Fiction-Roman der islamischen Feministin Rokeya Sakhawat Hussain von 1905 zurückgeht. Dort wird ein Ladyland beschrieben, in dem Frauen und Männer die Rollen getauscht haben. Ist das auch ihre Utopie?
Viele Dinge haben sich bereits verändert und verbessert für Mädchen und Frauen, aber noch lange nicht genügend. Die Idee des Buchs und meines Films ist: Wenn du die Welt auf den Kopf stellst und oben plötzlich unten ist, was siehst du dann? Was auf uns natürlich wirkt, muss nicht natürlich sein. Es geht um einen Perspektivwechsel, aber nicht nur in der Beziehung von Mann und Frau, sondern in allen Bereichen. Es ist eine Übung: Versuche einmal, die Welt mit den Augen des anderen zu sehen! Es ist die Utopie einer Welt, in der sich alle sicher fühlen. Ich hoffe, im Frühjahr Premiere zu haben, ich bin gerade auf der Zielgeraden.
Was haben Sie im November in Ihrer Antrittsrede an der KHM den Studierenden mit auf den Weg gegeben?
Dass Sie mit viel Leidenschaft und Ernsthaftigkeit und Fleiß ans Werk gehen, und ihren Standpunkt in der Welt finden müssen. Und dass sie sich schon frühzeitig nicht als Kunststudierende begreifen sollten, sondern bereits als Künstler. Was ein einsamer Beruf ist, deshalb versuchen wir von Anfang an Netzwerke zu schaffen, in denen man sich gegenseitig pushen kann. Teamwork ist ein entscheidender Faktor, damit ein Kunstwerk überhaupt fertig wird.