Beklemmende Wahrheitssuche

Was geschah mit Bus 670?

Fernanda Valadez erzählt rigoros von Migration und organisiertem Verbrechen in Mexiko

Jésus ist fast noch ein Kind, als er beschließt, mit seinem Freund Rigo sein armes Heimatdorf in Mexiko zu verlassen und sein Glück in den Vereinigten Staaten zu suchen — Rigos Onkel lebt in Arizona und kann ihnen angeblich Arbeit besorgen. Zwei Monate ist es her, dass die Jungs aufgebrochen sind. Die letzte Nachricht, die ihre Mütter bekommen, ist, dass die beiden mit einem Bus bis zur Grenze fahren wollen. Dann bricht der Kontakt ab. Magdalena meldet ihren Jésus als vermisst, der Beamte wiegelt ab, schließlich werden ihr Fotos einiger seiner Habseligkeiten gezeigt. Vom Jungen keine Spur. Als Rigos Leiche auftaucht, wird Magdalena von den Behörden gedrängt, auch den Tod ihres Sohnes zu bestätigen. Die alleinstehende Mutter weigert sich. Sie macht sich allein auf die Reise in die von Milizen kontrollierte Region im Norden Mexikos.

Die junge mexikanische Filmemacherin Fernanda Valadez erzählt in ihrem Regiedebüt rigoros und bildgewaltig von Migration und organisierter Kriminalität im heutigen Mexiko, wo allein im vergangenen Jahr 35.000 Menschen ermordet wurden und mehr als 60.000 weitere als vermisst gelten. Ihr aufwändig recherchierter und mit zahlreichen Preisen ausgezeichneter Film ist kein Narco-Actiondrama über Drogenkartelle oder Elite-Einheiten, sondern ein fast beklemmend leises Roadmovie, das sich langsam zum Thriller steigert. Getragen wird »Was passierte mit Bus 670« von einer ungewöhnlichen Protagonistin: einer alleinerziehenden Frau Ende vierzig, die mit stoischer Ruhe und Ausdauer nach der Wahrheit sucht. Valadez erzählt konsequent aus der Perspektive Magdalenas, man weiß und sieht nicht mehr als sie. Selbst wenn ein Mitreisender ihres Sohnes traumatische Ereignisse schildert, bleibt sein für Magdalena unverständlicher Regionaldialekt ohne Untertitel. Doch sie wird nicht mürbe, trotz überforderter und korrupter Behörden und einer Wand des Schweigens genährt aus Angst und Resignation, riskiert sie immer wieder ihr Leben auf der Suchen nach der Wahrheit. Valadez zeichnet ein düsteres Bild ihrer Heimat: ein moralisch zerstörtes Land, in dem der einzelne Mensch nicht viel wert ist. Kamerafrau Claudia Becerril Bulos findet dafür raffiniert komponierte Bilder, die den Kontrast zwischen der schroffen Schönheit der Landschaft und der latenten, oft nicht zu verortenden Bedrohung betonen. Am Ende kämpft jeder um sein eigenes Überleben.

(Sin señas particulares) MEX/E 2020, R: Fernanda Valadez, D: Mercedes Hernández, David Illescas, Juan Jesús Varela, 97 Min.