»Absolut kein Traubensaft!«
Herr Huettl, Sie verkaufen mit »Senes« alkoholfreien Wein. Mögen Sie keinen richtigen Wein?
(lacht) Ich habe alkoholfreie Getränke selbst lange nicht verstanden. Ich habe gedacht: Entweder trinke ich was — oder eben nicht. Deswegen kann ich nachvollziehen, wenn Leute erst mal skeptisch sind. Das Thema polarisiert.
Viele Menschen halten alkoholfreien Wein bloß für Traubensaft.
Wein ist doch mehr als Traubensaft mit Alkohol! Sonst wäre Wein ja nur Wodka-Traube. Traubensaft hat sich nie biochemisch verändert. Alkoholfreier Wein durchläuft aber denselben Fermentationsprozess wie Wein. Das verändert die Aromen, der Zucker wird reduziert und dann zu Alkohol — und später entzogen. Als alkoholfreier Wein darf nur firmieren, was vorher ein Wein nach dem Weingesetz war.
Wie schmeckt alkoholfreier Wein?
Wie Wein — nur ohne Alkohol. Man hat nicht das, was man spritigen Abgang nennt. Dadurch ist er gefälliger. Aber man hat dasselbe Aromenspiel — florale, fruchtige oder trockene Muster. Acht von zehn Leute würden gar nicht merken, dass das Getränk alkoholfrei ist. Das ist absolut kein Traubensaft.
Warum haben viele Menschen trotzdem Vorurteile?
Alkoholfreie Weine haben in den vergangenen Jahren massiv an Qualität gewonnen. Früher hat man den Wein auf 70 Grad erhitzt, bis der Alkohol verdampft war. Bei der klassischen Destillation sind die Aromen verlorengegangen, viele Leute haben alkoholfreien Wein als süße Plörre abgespeichert. Mittlerweile nutzt man Vakuum-Destillationsverfahren. Im Vakuum sinkt der Siedepunkt. Bei 29, 30 Grad verflüchtigt sich der Alkohol, aber die Aromen bleiben. Die Entwicklung ist vergleichbar mit der bei Fleisch-Ersatzprodukten: Früher war das eine Art Porridge zum Anbraten, der nach Haferflocken schmeckte. Heute merkt auf der Grillparty keiner, dass er eine Veggie-Frikadelle isst.
Die Nachfrage nach Fleischersatz steigt. Wie ist das bei Weinersatz?
Alkoholfreier Sekt ist etabliert. Fünf Prozent des Schaumweinmarktes sind alkoholfrei. Weil Alkohol ein Geschmacksträger ist, fehlt bei alkoholfreiem Wein das Bouquet. Bei Sekt gleicht die Kohlensäure im Abgang das gut aus. Alkoholfreier Wein liegt noch bei knapp unter einem Prozent Marktanteil, aber die Nachfrage steigt rasant. Man muss sich den gigantischen Weinmarkt vor Augen führen. Wir sprechen da von 20 Litern, die jeder Deutsche im Schnitt pro Jahr trinkt.
Gerade ist der Januar zu Ende gegangen. Im »Dry January« verzichten viele Menschen auf Alkohol.
Da ist die Nachfrage groß. Genauso wie in der klassischen Fastenzeit nach Karneval, aber auch sonst wird viel alkoholfreier Wein getrunken.
Wer trinkt alkoholfreien Wein? Und warum?
Gestern rief zum Beispiel ein Kunde an und erzählte, er mache eine Diät, möchte aber nicht auf Wein verzichten. Es gibt mehr Menschen, die gesundheits- und schönheitsbewusster leben. Ein Riesen-Movement! Alkohol ist zwar allgegenwärtig, aber eben auch ein scharfes Zeug und ungesund. Es gibt mehr Leute, die genießen, aber nicht regelmäßig Alkohol trinken möchten. Trotzdem ist man die bunte Kuh auf einer Party, wenn man keinen Alkohol trinkt. Eine Cola zu bestellen, wenn alle ein Weinglas in der Hand haben? Ist ja auch nicht cool. Alkoholfreier Wein löst viele dieser Probleme. Eine andere große Zielgruppe sind ältere Menschen. Die wollen nicht verzichten, aber ihr Körper steckt das nicht mehr so gut weg.
Warum spielt alkoholfreier Wein in der Gastronomie kaum eine Rolle?
Normalerweise setzt Gastronomie Trends. Durch Corona sind viele Restaurants und Bars zwei Jahre hinterher. Bei den Leuten wächst das Bedürfnis nach guten Ersatzprodukten, sie sind in der Gastronomie aber noch kaum angekommen. Das Potenzial ist groß. Was passt für ein Café, das nicht auf Alkohol konzessioniert ist, besser als ein alkoholfreier Sekt?
Welche Weine eignen sich, um einen Wein ohne Alkohol herzustellen?
Das kann man nicht pauschal sagen. Wenn man etwa trockenem Wein den Alkohol wegnimmt, müsste man nachsüßen. Da wird viel getüftelt. Wir haben aktuell drei Weine: als Weißen einen Sauvignon Blanc, als Roten einen Cabernet Sauvignon und einen alkoholfreien Sekt. Ich kann nicht zu einem kleinen Winzer gehen und sagen: Den Wein will ich entalkoholisieren lassen. In Deutschland gibt es ein paar große Entalkoholisierungsanlagen, die kosten Millionen. Die Nachfrage übersteigt deren Kapazitäten. Man muss gewisse Abnahmemengen garantieren. Deshalb können wir meist nicht ausweisen, dass ein Wein von dem und dem Winzer an der Ahr kommt.
Weitere Infos: senes.store