»Das Bild bleibt durch die wechselnden Ansichten lebendig«: Installation in den Galerieräumen, 2022, courtesy: Galerie Alber, Köln

»Ich würde nie etwas stricken«

Die Kölner Künstlerin Olga Jakob erkundet präzise Materialien und Räume

Olga Jakob steht in dem hellen, langgestreckten Galerieraum und freut sich. Es sei eine Premiere, so die 1985 in Kiew geborene Kölner Künstlerin, kleinere, »aus der täglichen Arbeit im Atelier« hervorgegangene Werke auszustellen. Bislang ist Jakob mit großformatigen, unmittelbar auf die Architektur des Ausstellungsortes Bezug nehmenden Installationen aufgefallen. In Köln war zuletzt ein wandfüllendes Relief in der Industriehalle der Michael Horbach Stiftung zu sehen, das aus den Schnittmusterelementen roter Grobstrickpullover zusammengesetzt war.  

Nun widmet sich ihre erste Einzelausstellung in der Galerie Alber jenen Formaten auf Keilrahmen, die mit 180x120 cm und 160x115 cm eng mit dem menschlichen Maß verknüpft sind. Vor diesen seit 2019 entstandenen »Netzarbeiten« stellt sich sogleich ein Eindruck malerischer Farbigkeit und Flächigkeit ein. Man muss schon sehr aufmerksam hinsehen, um das Netz in den Arbeiten zu erkennen, deren besondere Anmutung — changierend zwischen Malerei und Skulptur — die Künstlerin aus der Beschaffenheit des Materials selbst heraus entwickelt. Vor ihrem Akademiestudium in Karlsruhe, welches sie in der Malereiklasse von Helmut Dorner abgeschloss, erwarb sie Fachkenntnisse der Textilgestaltung an der Kölner Uni. Ein ausgeprägtes Interesse für Materialien ist ihrer künstlerischen Laufbahn seit jeher eingeschrieben, entsprechend gut sortiert ist ihr Fundus, der gleichermaßen zartes Seidenpapier, konfektionierte Kleidungsstücke und schimmerndes Taftgewebe hergibt.

In diesem Fall dominiert ein Industriekunststoff aus Polyamid, der aus zwei Lagen zusammengesetzt ist. Jakob hat in die robuste obere Schicht mit ihrer gleichmäßigen Struktur aus dichten Lamellen punktuell Durchbrüche gesetzt, die die darunterliegende Trägerschicht freilegen: ein hauchzartes Netz, elastisch und durchscheinend wie eine Nylonstrumpfhose, das an manchen Stellen wiederum eine weitere Schicht mit malerischen Setzungen enthüllt. Es sind keine illusionistischen Einblicke, sondern kontrastierend hinterlegte »Fehlstellen«. »Dass ich durch Wegnahme etwas gestalten kann«, so Jakob, das sei eine wichtige Erfahrung.  Ihre Arbeitsweise ist nie ein willkürlicher Akt aggressiver Zerstörung, sondern die behutsame Erkundungen des Wesens des Materials. Obgleich die Einschnitte mit der Schere in die Kunststoffplane mit schwungvoller Geste vollzogen werden und dadurch raue, unregelmäßige Umrisse bilden, erkundet Jakob mit systematisch sezierender Präzision die verschiedenen Materialschichten als raumstrukturierende Elemente.

Entsprechend dem bildhauerischen Ansatz, Gestalt durch die Öffnung des Materials in den Raum hinein zu schaffen, legt sie mit ihren Zerlegungen Binnenstrukturen offen. »Ich versuche, in den Kern einzudringen, die Essenz aufzuspüren, sie zu unterstreichen und herauszuarbeiten. Ich würde nie hingehen und etwas stricken. Es ist in Ordnung, dass man sieht, es sind Versatzstücke eines vorgefertigten Pullovers.« Mit der Bewegung des Betrachters und der Verschiebung verschiedener stofflicher Texturen im Wechselspiel von Licht und Schatten entstehen schillerende Oberflächeneffekte und Farbnuancen ebenso wie Eindrücke von Körperlichkeit und Volumen. »Das Bild bleibt durch die wechselnden Ansichten lebendig«, sagt Jakob.

Mit dieser Vorgehensweise erkundet die Künstlerin zugleich das Zusammenspiel zwischen Oberfläche und Wand, Vorder- und Hintergrund, um die Durchlässigkeit des Raumes sorgfältig auszutarieren. »Es ist mir sehr wichtig, dass sich die Arbeit nicht nur faktisch, sondern auch visuell mit dem Raum verbindet.« Wie in der chinesischen und japanischen Tuschemalerei ist für Jakob der »Umraum« genauso bedeutend wie das, was abgebildet ist: »Die weiße Wand ist Teil des Bildes«.

Es sind die Zwischenräume, die Olga Jakob mit einer bemerkenswerten Sensibilität erkundet. So ist es nur konsequent, dass sie ihre Inspiration auch in der Mode japanischer Avantgardedesigner findet. Insbesondere in den auf geometrischen Grundformen wie Kreis und Linie beruhenden opulenten Plisseekreationen von Issey Miyake, die durch Falten und Schnitte dreidimensional wachsen können: »Man zieht sie auseinander und es ist eine Skulptur gefüllt mit Luft. Sehr faszinierend.« Auch der Ausstellungstitel verweist auf das japanische Konzept »ma« in seiner universellen und existenziellen Dimension.

»ma« beschreibt den Zwischenraum als zeitliche Pause, ruhendes Intervall oder Leere im Raum. »In dieser Kultur hat dieser Raum, der nicht besetzt ist, ein Wort«, sagt Jakob. Einen besonderen Wert in diesem Sinne beansprucht der luftig leere Raum, der die Trennung zwischen Kleidung und Körper markiert. Es sind jene Lücken, Freiräume, die Olga Jakob nutzt, um zwischen den Schichten beweglich zu bleiben und flexibel auf das Material zu reagieren: in der Dynamik des ständigen Verschiebens und Versetzens, des Vor- und Zurückspringens, wie sie ihre Arbeitsweise beschreibt.

Olga Jakob, — ma —, Galerie Alber, Am Römerturm 15, Do + Fr 12–18, Sa 12–16 Uhr u. n. Vereinbarung, Tel. 42 33 02 75, bis 20.3.