Aufwändige Wende

Politik und Verwaltung wollen die Energiewende vollziehen. Die Stadt soll bis 2035 klimaneutral sein. Im Mittelpunkt der Debatte stehen bislang vor allem die Maßnahmen der Rheinenergie, des kommunalen Energieversorgers. Doch viel mehr Schritte sind notwendig, um ans Ziel zu gelangen

Köln ist am Wendepunkt. Überall wird zur Umkehr aufgerufen. Es gibt die Energiewende und die Wärmewende, dazu die Verkehrswende, aber auch die Agrar- und die Ernährungswende. Und das alles aufgrund einer anderen Wende: des Klimawandels.

Seit Mitte 2019 befindet sich Köln im Klima-Notstand. So hat es der Stadtrat entschieden. Und das bedeutet, dass jede politische Entscheidung auf ihre Folgen für das Klima untersucht wird. Es soll möglichst nicht noch mehr CO2 ausgestoßen werden. Klimaneutralität bis 2035 — das ist das Ziel. Man sucht nach »Pfaden«, die dort hinführen.

Diesen Monat wird der Stadtrat über einige der wichtigsten Maßnahmen zur Klimawende entscheiden. Für den Sommer ist dann ein »Gesamtkonzept« angekündigt. Bereits im Dezember ist eine Vorlage verabschiedet worden, die einen großen Einschnitt darstellt. Die Rheinenergie, der kommunale Energieversorger, soll sich bis 2035 in ein Unternehmen verwandeln, das Strom und Wärme ausschließlich aus Erneuerbaren Energien anbietet.

Der Impuls war aus der Stadtgesellschaft gekommen: 2019 hatte sich die Initiative »Klimawende Köln« zusammengeschlossen und die Rheinenergie ins Visier genommen, die zu 80 Prozent im Besitz der Stadt Köln ist. Das bedeutet, dass man die Ausrichtung des Unternehmens steuern kann. Zugleich ist die Rheinenergie Teil des Stadtwerke-Verbunds und finanziert mit ihren Gewinnen zu einem Teil andere Grundversorgungen, die nicht kostendeckend sind, etwa den Nahverkehr der KVB. Würde eine grüne Rheinenergie andere Leistungen der Stadt gefährden? Wie teuer darf Klimaschutz sein und was stünde bei einer konsequenten Klimapolitik auf dem Spiel?

An erster Stelle steht dabei die Versorgungssicherheit, das heißt, es muss ständig Energie für private Haushalte, Gewerbe und Industrie, aber auch die städtische Infrastruktur bereitgestellt werden. Zweitens soll sich diese Energie jeder leisten können. Längst ist Energiearmut ein Thema, was bedeutet, dass einkommensschwache Menschen ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen können und ihnen im schlimmsten Fall der Strom abgestellt wird. Erst an dritter Stelle steht der Schutz des Klimas. Nun soll alles zugleich möglich sein: Grüne Energie zu Preisen, die man sich leisten kann — und ohne Engpässe bei der Versorgung. Das allerdings ist mit Wind und Sonne nicht so leicht zu gewährleisten wie mit fossilen Energieträgern.

Zwar hatte die Rheinenergie schon eine klimapolitische »Roadmap« bis zum Jahr 2040 aufgestellt. Aber der Fahrplan sei nicht ambitioniert, meinten Klima- und Umweltinitiativen. Sie forderten mit dem Bürgerbegehren der Klimawende klimaneutralen Strom bis 2030 in allen Be­reichen. Das setzte die Politik unter Druck, und es drohte ein Imageschaden für die Rheinenergie. Noch 2016 hieß es bei der Rheinenergie, für die Energiegewinnung aus Wind und Sonne seien in Köln die Möglichkeiten begrenzt. Stattdessen propagierte man den

Ausbau von sogenannter Kraft-Wärme-Kopplung (KWK): Die Wärme, die bei der Stromerzeugung entsteht, wird für das Kölner Fernwärmenetz genutzt. Für dieses Verfahren besitzt die Rheinenergie einige Kraftwerke auf neuestem technischem Stand. Betrieben werden sie allerdings fast immer mit Erdgas. Man könnte sagen: Dreckige Energie wird effektiver genutzt.

Ein Klimakompromiss, der Mitte 2021 zwischen Stadt, Rheinenergie und Klimawende Köln ausgehandelt wurde, gibt nun eine neue Richtung vor: Statt 2030, wie von der Initiative gefordert, soll die Rheinenergie zwar erst fünf Jahre später klimaneutralen Strom liefern. Dann allerdings zusätzlich auch klimaneutrale Wärme. Dafür soll die Kraft-Wärme-Kopplung nicht mehr mit Erdgas erfolgen, sondern mit Grünem Wasserstoff — der heute noch gar nicht zur Verfügung steht. Zudem sollen Häuser mit Wärmepumpen ausgestattet und auch Großwärmepumpen errichtet werden. Der übrige Strom soll von Kölner Dächern kommen: Wo immer möglich, sollen Photo­voltaik-Anlagen installiert werden.

Für die Klimawende sei dieser Kompromiss ein »hart verhandelter Teilerfolg«, sagt deren Sprecher Christian Althoff. »Hätten wir darauf bestanden, dass Strom 2030 komplett grün wäre, hätten die KWK-Anlagen nicht mehr betrieben werden können, weil es dann noch keinen Grünen Wasserstoff gibt. Dann hätten für Fernwärme Erdgas-basierte Thermen installiert werden müssen — was keinen Sinn ergibt. Es ist richtig, Strom und Wärme zusammen­zudenken, weil sie zusammengehören.«

Dass sich der Vorstand eines Unternehmens wie der Rheinenergie mit einer Bürger­initiative an einen Tisch setzt, das hätte es noch vor Jahren wohl kaum gegeben. Aber wir haben gemeinsam eine große Allianz für den Klimaschutz geschafft.«
William Wolfgramm, Klima-Dezernent der Stadt Köln

Der Kompromiss hat also zwei Stoßrichtungen: Zum einen die Umstellung von Erdgas auf Grünen Wasserstoff in den KWK-Kraftwerken, zum anderen eine groß angelegte »Solar-Offensive«. Der oberste Koordinator der Kölner Energiewende hat sein Büro im 13. Stock des Kölner Stadthauses. Von dort blickt man über Deutz nach Westen. Dort sieht man kaum Solardächer, und die Stadt wirkt grau und versiegelt. Viel zu tun für William Wolfgramm, der seit September der erste Klimadezernent der Stadt ist. »Dass sich der Vorstand eines Unternehmens wie der Rhein­energie mit einer Bürgerinitiative an einen Tisch setzt, das hätte es noch vor Jahren wohl kaum gegeben«, sagt Wolfgramm. »Aber wir haben gemeinsam eine große Allianz für den Klimaschutz geschafft.«

Dass nicht nur der Strom, sondern auch die Wärmeerzeugung der Rheinenergie dekarbonisiert werde, sei ein großer Erfolg des Kompromisses. »Nicht zuletzt ist es für die Stadt Köln ein Erfolg, dass die Rheinenergie als Tochter der Stadt die notwendigen und wichtigen Klimaziele nach vorn zieht, aber das auch auf einem umsetzbaren Weg.«

Er spüre nicht nur Aufbruchsstimmung, es gebe auch schon konkrete Pläne, seit der Rat den Klimakompromiss im Dezember beschlossen hat: zunächst das Förderprogramm zum Ausbau der Photovoltaik, dann die Leitlinien für klimaangepasstes Bauen. »Ich bin optimistisch, dass diese Vorlagen eine Mehrheit finden«, so Wolfgramm.

Im Sommer soll eine Strategie für die gesamtstädtischen Klimaziele vorgelegt werden. Erarbeitet werden sie derzeit in Projektgruppen zu den Themen Mobilität und Logistik, Industrie, aber auch Konsum und Ernährung im Kölner Klimarat. Das Beratungsgremium, dem Klimadezernent Wolfgramm vorsteht, setzt sich aus Vertretern von Stadtverwaltung, Wirtschaft, Wohnungsbau, Zivilgesellschaft und Wissenschaft zusammen.

Wolfgramm vermeidet, das große Bild einer leuchtenden Zukunft zu malen, wie es oft geschieht, wenn Fachleute eine »große Transformation« beschwören. »Ich bin Pragmatiker. Mir geht es darum, jetzt konkrete Beschlüsse zu fassen, damit wir das Ziel erreichen«, sagt er. »Sicher wird es immer noch mal etwas nachzuschärfen geben, aber wir haben nicht mehr die Zeit, uns jetzt in Kleinigkeiten zu verlieren.« Mit Versäumnissen von früher will er sich nicht lange aufhalten: »In den vergangenen Jahren hätte Köln vielleicht noch etwas weitergehen können beim Klimaschutz, aber jetzt machen wir das. Über allem steht für mich, dass wir jetzt loslegen.«

Im Klimarat sitzt auch Sebastian Mayer, er vertritt dort die Scientists for Future Köln/Bonn. Mayer sagt, die Arbeit im Kölner Klimarat sei im Vergleich zu anderen Städten durchaus erfolgreich — vor allem, weil sich die unterschiedlichen Gruppen auf eine gemeinsame Strategie geeinigt hätten. »Es gibt andere Klimaräte, wo man im Streit auseinandergegangen ist. Inhaltlich haben wir in Köln viel erreicht.« Allerdings, so Mayer, müsse die Bedeutung des Klimarats und seine Arbeit viel besser kommuniziert werden. »Der Klimarat könnte viel offensiver nach außen treten und klarmachen, dass die Teilnehmer mit gutem Beispiel vorangehen.«

Den Klimakompromiss sieht Mayer als einen ersten Schritt, aber es fehle ein gesamtstädtisches Konzept. Zudem seien die Ziele für die Wärmeversorgung unzureichend. »Für etwa zwei Drittel der Heizleistung gibt es keinerlei Konzept zur nachhaltigen Bereitstellung, sondern nur die wirklichkeitsferne Idee, diese innerhalb der fünf Jahre von 2030 bis 2035 durch Wasserstoff als Heizmittel zu ersetzen«, heißt es dazu in einer Stellungnahme der Scientists vor Future. Der Erfolg einer Solar-Offensive hänge indes entscheidend davon ab, ob die privaten Hausbesitzer zu einer Umrüstung motiviert werden könnten.

Die Stadt Köln will mit gutem Beispiel vorangehen und alle ihre 105 Gebäude mit Photovoltaik ausbauen. Jedoch macht das gerade mal ein Prozent aller Gebäude in der Stadt aus. In einem nächsten Schritt will man private Hausbesitzer überzeugen, Solarmodule zu installieren. Doch selbst wenn das mit einer cleveren PR-Kampagne gelänge — bisherige Kampagnen, etwa für die Entsiegelung privater Flächen oder zur Fassadenbegrünung, stoßen kaum auf Resonanz —, taucht das nächste Problem auf: Wo sind die Fachleute, die diese Anlagen auf die Dächer montieren können? Wer eine Solaranlage auf sein Dach bauen will, wartet nicht nur lange, bis die Förderanträge bearbeitet sind, sondern danach auch auf einen Termin der Handwerker. Claudia Mayer von Greenpeace Köln fordert daher: »Nicht zuletzt muss es eine Ausbildungsoffensive geben, denn wir brauchen die Menschen, die den Klimaschutz auch praktisch ermöglichen.« Die Fachkräfte fehlten, sagt Claudia Mayer, »weil das System noch gar nicht so weit ist und nie auf die Anforderungen reagiert hat, die sich mit dem Klimaschutz stellen«.

Fragt man Joachim Decker, Leiter der Abteilung Technische Unternehmensberatung der Handwerkskammer Köln, nach den Herausforderungen der Solar-Offensive, will er zunächst klarstellen: Das Handwerk werde nicht kalt erwischt vom Thema Solarenergie. »Die Handwerkskammer beschäftigt sich seit über 20 Jahren mit dem Thema. Seitdem steht in unserem Ausbildungszentrum am Butzweilerhof eine riesige Photovoltaik-Anlage.« Fachkräfte, die für eine Solaroffensive auf den Dächern der Stadt gebraucht werden, fehlten dennoch. »Ich kann nicht behaupten, dass ein Solarteur oder ein Solartechniker neben dem nächsten steht und nur darauf wartet, Aufträge im Bereich Photovoltaik anzunehmen.« Ein Hauptgrund sei der allgemeine Fachkräftemangel. »Die meisten Betriebe sind derzeit sehr gut ausgelastet mit konventionellen Aufträgen«, sagt Decker. »Das Dachdecker-Handwerk ist erst mal damit beschäftigt, Dächer zu decken.« Vielen fehlten im Tagesgeschäft Kapazitäten, sich einen neuen Arbeitsbereich zu erschließen.

Auch in der Handwerkskammer, die 34.000 Betriebe vertritt, spürt Decker Aufbruchsstimmung. Viele Betriebe nutzen eine technische Beratung, aber auch die Weiterbildung einzelner Angestellter. Nach einer Solar-Flaute Mitte der 2010er Jahre erweitern Gewerke ihr Angebot, auch gibt es Neugründungen von Unternehmen, die sich auf PV-Anlagen konzentrieren. »Nicht nur der klassische Handwerksbetrieb mit fünf bis zehn Mitarbeitern erkennt diese Goldgrube, sondern auch die ganz Großen«, sagt Decker.

Er verweist auf das Start-up »1Komma5« des ehemaligen Tesla-Managers Philipp Schröder, das Kunden aus einer Hand etliche Maßnahmen anbieten möchte, um klimaneutral zu werden — von der PV-Anlagen über die Lade­infrastruktur für Elektroautos bis hin zur Wärmepumpe. Bei der Handwerkskammer sieht man die Entwicklung als Chance. »Firmen wie 1Komma5 Grad kommen hip um die Ecke, das hilft dem Image des Handwerks«, so Decker. Zuletzt entschieden sich immer weniger Menschen für eine Ausbildung im Handwerk. Das darf kaum so bleiben, wenn der Großteil der Kölner Dächer künftig mit PV-Modulen ausgestattet werden soll.

Doch nicht nur beim Personal droht ein Engpass, auch beim Material. Lieferzeiten und Preise werden steigen, glaubt Decker. »Es ist davon auszugehen, dass die Preise bei PV-Modulen oder Wechselrichtern anziehen, weil die Nachfrage in der nächsten Zeit so stark steigen wird. Bei Photovoltaik geht es ja nicht nur in Köln gerade los.«

Eine Frage steht immer mit ihm Raum: Ist das, was sich Politik und Verwaltung jetzt vorgenommen haben, überhaupt umsetzbar? Joachim Decker lacht kurz. »Das ist ein ambitioniertes Ziel, keine Frage. Aber es gibt keinen Grund, dass wir jetzt schon die Schere im Kopf aufgehen lassen und sagen: Das schaffen wir sowieso nicht.« Die Chancen für die Branche überwiegen die Risiken. Doch die Herausforderung möchte Decker nicht kleinreden.

Er verweist auf die »Potenzialstudie Erneuerbare Energien NRW« vom Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (Lanuv). Demnach müsste Köln künftig 55 Prozent seines Strombedarfs aus Erneuerbaren decken. Derzeit liegt man bei 1,4 Prozent. »Das zeigt, wie viel wir zu tun haben«, sagt Decker.

Am Strom hängen andere Bereiche der Transformation. Nur wenn es gelingt, genug grünen Strom zu erzeugen, kann man damit die Wärmeversorgung, aber auch die künftige Mobilität organisieren. Woher etwa soll die Wärme kommen?

Soeben hat das Deutsche Institut für Urbanistik (Difu) eine Studie zur Strategischen Wärmeplanung erstellt. Mehr als ein Drittel der Energie wird in Deutschland verbraucht, um zu heizen oder Wasser zu erwärmen. »Umso schwerer wiegt, dass ausgerechnet für den Gebäudesektor die im Bundesklimaschutzgesetz verankerten Ziele in den vergangenen Jahren verfehlt wurden«, heißt es in der Difu-Stellungnahme. »Ohne eine treibhausgasneutrale Wärmeversorgung des Gebäudebestands wird die notwendige Energiewende jedoch nicht gelingen. Daher gilt es, zügig den Wärmebedarf mittels energetischer Sanierungen erheblich zu reduzieren und den verbleibenden Anteil aus erneuerbaren Energien und unvermeidbarer Abwärme über hocheffiziente Versorgungssysteme zu decken.« Das Difu fordert auch, mehr Know-how in den Stadtverwaltungen zu schaffen. Schließlich müssten Wärmenetze ausgebaut und neu angelegt werden. Auch Abwärme würde bislang, wenn überhaupt, unsystematisch genutzt. »Ein strategisches gesamtstädtisch oder gar regional ausgerichtetes Vorgehen fehlt bislang«, heißt es.

Wärmeversorgung mit Erneuerbaren Energien steht in Köln vor dem Problem, dass gut zwei Drittel aller Gebäude älter als 30 Jahre sind. »Die entsprechende energetische Sanierung in kurzer Zeit ist allein schon wegen fehlender Handwerkskapazitäten gar nicht leistbar«, teilt die Rheinenergie mit. Außerdem seien für ältere Gebäude Wärmepumpen mit ihren niedrigen Temperaturen nicht ohne weiteres geeignet.

Der Streit entzündet sich nun an Erdgas als »Brückentechnologie«: Wie viel und wie lange brauchen wir sie noch? »Erdgas hat unter allen fossilen Energieträgern die geringsten CO2-Emissionen. Kraft-Wärme-Kopplung auf Erdgas-Basis in Verbindung mit Fernwärme ist die Schlüsseltechnologie der Energiewende«, teilt die Rheinenergie mit. Dort setzt man auf das »hocheffiziente Verfahren« der Kraft-Wärme-Kopplung in Verbindung mit Fernwärme. »Die KWK-Anlagen der Rheinenergie in Niehl und Merheim sind die weltweit modernsten Heizkraftwerke, sie sollen perspektivisch regenerativ erzeugte Gase, wie Wasserstoff oder synthetisches Methan, nutzen können.«

Aber was heißt nun »perspektivisch«? In Köln will man Erdgas bis zur Deadline 2035 durch Grünen Wasserstoff ersetzen. Das ist derzeit aber utopisch. Letztlich hofft man, dass die Forschung beträchtlich vorankommt.

»Wasserstoff spielt in unserer Klimaschutzstrategie — analog zur Bundesregierung und der EU-Kommission — eine zentrale Rolle«, sagt ein Sprecher der Rheinenergie. »Neben der Verfügbarkeit von Wasserstoff kommt es auch auf den Aufbau einer Wasserstoff-Infrastruktur an.« Das Unternehmen ist unter anderem an einem Betriebsversuch am Kraftwerk Donaustadt in Wien beteiligt, wo Wasserstoff unter realen Bedingungen einer großen Gas-und-Dampfturbinen-Anlage beigemischt wird. In Köln ist mit der Deutz AG ein Pilotversuch geplant, bei dem Energie mit einem Wasserstoff-Motor erzeugt werden soll.

Bis auf weiteres laufen die Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen allerdings in Köln mit Erdgas. Teile der Klimawende hatten gefordert, sie aus dem Betrieb zu nehmen. Daraus wurde nichts. Aber auch Umweltinitiativen sagen, dass es keinen Sinne ergebe, die alten Gas-Kraftwerke jetzt abzuschalten.

»Früher dachte ich, die Rheinenergie ersetzt ihre KWK-Kraftwerke durch Photovoltaik und Windkraft und wir können auf Gas verzichten«, sagt Christian Althoff von der Initiative Klimawende. »Aber wenn man all die Studien zur Energiewende gelesen hat, macht es keinen Sinn, die Kraftwerke der Rheinenergie, die einen verhältnismäßig hohen Wirkungsgrad haben, außer Betrieb zu nehmen und woanders neue zu bauen, weil wir auf die Energie bislang nicht verzichten können.« Ende 2022 gehen die letzten AKWs vom Netz, bis 2030 sollen alle Kohlekraftwerke abgeschaltet werden. Diese Kapazitäten müsse man ersetzen, so Althoff, »vorrangig durch Ausbau Erneuerbarer Energien, aber laut Studienlage eben auch durch Zubau von Gaskraftwerken, um auch bei wenig Wind und Sonne ausreichend Strom zu haben. Für eine vollständige Versorgung mit Erneuerbaren Energien muss das heute verwendete Erdgas möglichst bald durch Grünen Wasserstoff oder Biogas ersetzt werden.«

Die Komplexität des Themas führt aber auch innerhalb der Klimaschutz- und Umweltbewegung oft zu Diskussionen. »Ich kenne leider keine Studie, die sagt, dass wir ohne ein kurzes Zeitfenster mit Gas hinkommen«, sagt Dirk Jansen vom BUND in Nordrhein-Westfalen. »Doch Gas trägt erheblich zum Klimawandel bei. Deswegen ist es nur Lückenbüßer. Wenn überhaupt, darf es nur einen mode­raten und klar abgesteckten Kapazitätszubau geben.« Claudia Mayer von Greenpeace Köln sieht das ähnlich: »Erdgas mag als Brückentechnologie noch nötig sein, aber der Erdgasimport darf nicht weiter ausgebaut oder weiterhin in neue Kraftwerke investiert werden.«

Soll man also abwarten, bis die Kraft-Wärme-Kopplung mit Wasserstoff betrieben werden kann? Sebastian Mayer von den Scientists for Future Köln/Bonn sagt: »Auch Grüner Wasserstoff oder synthetisches Methan ist keine Lösung, weil dabei viel zu viel Energie verloren geht.«

An der Basis der Klima-Initiativen rumort es. Wie viel Pragmatismus ist erlaubt, wenn man es ernst meint mit Klimaschutz? Oder besteht das Problem vielmehr darin, zu glauben, unseren Lebensstandard halten zu können, indem wir einfach fossile Energieträger durch regenerative ersetzen? Müssen wir verzichten? Und wenn ja, wie sehr, und worauf? Im Stadtentwicklungsausschuss kam es zu heftigen Debatten, als für die Weihnachtszeit eine Eislaufbahn auf dem Ebertplatz geplant wurde. Kaum zu lösen ist der Widerstreit, wenn dringend benötigte neue Schulbauten auf Grünflächen geplant werden: Was ist wichtiger, unversiegelte Flächen fürs Klima oder Bildung für Schulkinder? Und überhaupt: Wie teuer wird die neue Klimapolitik für die Kölnerinnen und Kölner? Schon jetzt steigen die Energiepreise. Wird die Dekarbonisierung der Rheinenergie die Energiekosten noch weiter steigen lassen?

»Energiearmut ist ein sensibles Thema«, sagt Ratsmitglied Jörg Detjen von Die Linke. Seit mehr als zehn Jahren wachse das Problem, werde aber von der Politik ignoriert. Die EU habe Maßnahmen skizziert, um Energiearmut zu lindern. In Deutschland werde aber bislang wenig davon umgesetzt. In Köln gibt es schon länger lokale Initiativen, die sich mit Energiearmut beschäftigen. Mit Sozialträgern etwa ist die Rheinenergie seit Jahren im Austausch und hat am Kölnberg ein Projekt auf den Weg gebracht, bei dem Menschen, die die Rechnungen nicht bezahlen können, eine Drosselung der Stromversorgung akzeptieren, um einer Sperre zu entgehen. Bereits zu Beginn der Corona-Pandemie hatte die Rheinenergie Gas- und Stromsperren ausgesetzt. Auf Anfrage teilt das Unternehmen mit, die Strom- und Gassperren seien seit Jahren rückläufig. Das Unternehmen nennt keine Zahlen, sagt aber, sie bewegten sich »deutlich unter dem bundesweiten Durchschnitt«.

»Die Anfragen bei uns häufen sich«, sagt hingegen Sabine Fuchs von der Caritas. Sie koordiniert den Strom­sparcheck, den die Caritas mit Rheinenergie und Stadt Köln durchführt. Wer Sozialleistungen bezieht, kann eine kostenlose Energieberatung erhalten. Oft werden Menschen, die sich an die Schuldnerberatung der Caritas wenden, weitervermittelt. Energieschulden würden ein immer größeres Thema, sagt Fuchs. Rund 700 Menschen haben vor der Pandemie jährlich das Angebot in Anspruch genommen, seitdem sind die Zahlen auf etwa 500 gesunken.

»Nach einer Zwangspause im Frühjahr 2020 haben wir Besuche per Videochat gemacht«, erzählt Hans-Georg Hugel, im rechtsrheinischen Köln für den Stromsparcheck zuständig. Er und sein Team geben Tipps für kostengünstiges Heizen oder verschenken energiesparende LED-Lampen. Und sie identifizieren Energiefresser: Waschmaschine, Internet-Router, alte Kühlgeräte. Doch Haushalte, die die steigenden Energiekosten kaum zahlen können, haben oft auch nicht das Geld, Geräte auszutauschen. Land und Bund haben zwar ein Förderprogramm für den Neukauf energieeffizienter Kühlschränke für Leistungsempfänger aufgesetzt, aber mit einer Selbstbeteiligung von mindestens 50 Euro.

»Es ist nicht leicht, bestimmte Gewohnheiten zu ändern«, sagt Hugel. Zumal diejenigen, die Rente oder Sozialleistungen beziehen, meist auch mehr Energie verbrauchen, weil sie öfter zu Hause sind. »Bei manchen Wohnungsgesellschaften gibt es noch elektrische Warmwassergeräte, an denen man nicht einmal die Temperatur verstellen kann«, so Hugel. Dann ist da noch der sozialrechtliche Rahmen: Die Strompreise sind im vergangenen Jahr um rund 30 Prozent gestiegen. Im Hartz-IV-Regelsatz sind monatlich 36,44 Euro für die  Stromrechnung vorgesehen. Laut dem Preisvergleichsportal Verivox belaufen sich aber die Stromkosten pro Person auf durchschnittlich 48 Euro im Monat. Sozialverbände wie Caritas oder Paritätischer Wohlfahrtsverband fordern, dass Stromkosten aus dem Regelsatz herausgelöst und von den Kommunen übernommen werden.

Auf Bundesebene wird wenig getan, um Energiearmut kurzfristig zu lindern. Die Bundesregierung will zwar zum Wohngeld einen einmaligen Heizkosten-Zuschuss gewähren. Aber der wird erst im Sommer ausgezahlt, laut Verbraucherzentralen sei er mit 175 Euro außerdem zu niedrig. Eine Reform der EEG-Umlage, mit der über den Strompreis der Ausbau Erneuerbarer Energien finanziert wird, soll frühestens 2023 kommen, und erst Mitte 2022 soll die CO2-Steuer nicht mehr allein von Mietern, sondern zu gleichen Teilen von Vermietern getragen werden. Das erscheint notwendig: Wer Immobilien besitzt, hat bislang kaum Anreize, die Mieter beim CO2-Sparen zu unterstützen, sondern kann die erhöhten Kosten für fossile Brennstoffe über die Miete weitergeben. »Ich vermute, dass die Anfragen ab dem Frühjahr noch einmal zunehmen«, sagt Sabine Fuchs vom Stromsparcheck. Dann werden mit den ersten Nebenkostenabrechnungen die Nachzahlungen fällig. Fuchs machen besonders Haushalte Sorgen, die zu arm sind, um den Preisanstieg bei Gas und Strom abfedern zu können, aber zu gut verdienen, um staatliche Hilfen zu bekommen.

»Die Stadt muss in Vorleistung gehen«, sagt Daniel Bauer-Dahm (Grüne), Vorsitzender des Sozialausschusses. Auf Initiative der Linken hat der Ausschuss die Verwaltung aufgefordert, Beratungsangebote bekannter zu machen und zu unterstützen. Zur weiteren Finanzierung des Stromsparchecks laufen Verhandlungen zwischen Stadt, Caritas und Rheinenergie. Der städtische Energieversorger soll Stromsperren aussetzen — in »begründeten sozialen Härtefällen«, wie Bauer-Dahm betont. Für Menschen, die ALG II, Grundsicherung oder Leistungen nach dem Asylgesetz beziehen, soll sich die Stadtverwaltung für Ratenzahlung einsetzen oder die Stromschulden übernehmen. Die Kosten dafür sind bei einem städtischen Unternehmen wie der Rheinenergie zu vernachlässigen, da es egal ist, ob der Rheinenergie Zahlungen entgehen oder die Stadt diese begleicht. Im städtischen Haushalt bemerkbar wird sich aber die Erhöhung der Nicht-Prüfungsgrenze machen, da die Übernahme von Wohnkosten zu den Pflichtleistungen der Städte gehört. Sozialdezernent Harald Rau hat angekündigt, man werde künftig erst ab Heizkosten von 2 Euro beziehungsweise bei Krankheit ab 2,40 Euro pro Quadratmeter prüfen, ob diese Heizkosten »unangemessen« sind.

Aber auch das lindert das Problem nur. »Energiearmut ist Teil von Armut«, sagt Linken-Politiker Jörg Detjen. Er wirbt für weitergehende Maßnahmen. In Wien etwa gibt es eine Ombudstelle für Energiearmut, die auch Menschen offensteht, die keine Sozialleistungen beziehen, solange die Energiekosten mehr als zehn Prozent des Haushaltseinkommens ausmachen. So könnte man einen Teil jener erreichen, deren Einkommen knapp oberhalb der Bemessungsgrenzen für Sozialleistungen liegt. In Belgien, wo die Energiepreise ähnlich hoch sind wie in Deutschland, erhalten rund eine Million Haushalte einen vergünstigten Sozialtarif. Detjen könnte sich dies auch für die Rheinenergie vorstellen. »Das war im Sozialausschuss bislang kein Thema«, sagt Grünen-Politiker Daniel Bauer-Dahm. Er hält die Rheinenergie für »intrinsisch motiviert, das Problem zu lösen«.

Dass eine klimaneutrale Energieversorgung die Preise in die Höhe treibe und womöglich arme Haushalte noch mehr belaste, wird oft als Argument gegen engagierte Klimapolitik vorgebracht. Der OB-Kandidat der SPD, Andreas Kossiski, meinte im Wahlkampf 2020: »Es gibt Menschen, die mehr Angst vor dem Ende des Monats haben als vor dem Ende der Welt.« Kossiski spielt in der Kölner Politik nach seiner Wahlniederlage keine Rolle mehr. Aber seine Partei betont immer wieder, welche Härten der Klimaschutz für Menschen mit wenig Geld bringen könnte. Aber darf man die Soziale Frage gegen den Klimaschutz ausspielen?

»Natürlich müssen wir darauf achten, dass der Klimaschutz sozialverträglich ist, aber es gibt ja längst Modelle, das fair zu gestalten, etwa über die CO2-Bepreisung«, sagt Claudia Mayer von Greenpeace. »Reiche Menschen verbrauchen ohnehin mehr CO2 als einkommensschwache.« Der Hinweis auf soziale Fragen werde außerdem zu oft benutzt, um Klimaschutzziele insgesamt in Frage zu stellen. »Dabei ermöglicht genau die Umstellung der Systeme so viele Chancen, die Kosten des Klimawandels endlich gerecht zu verteilen.« Wenn man die »Systemwende« nicht schaffe, so Mayer, litten die finanziell schwachen Menschen umso mehr. »Denn die wohnen dort, wo sie viel stärker von den Klimafolgen betroffen sind und dadurch zum Beispiel vermehrt Luftverschmutzung ausgesetzt sind und krank werden.« Das, so Mayer, verursache auch hohe volkswirtschaftliche Kosten.

Auch für Dirk Jansen vom BUND ist klar, dass die Energiewende mit Kosten verbunden sein wird, und dass sie fair verteilt werden müssen. Diese Überlegungen dürften aber nicht dazu führen, dass man vom eingeschlagenen Weg abkommt. »Wir haben keine Zeit«, sagt Jansen. »Wir müssen massiv Tempo aufnehmen — in allen Sektoren: Strom, Wärme, Verkehr und auch Ernährung. Wir werden noch mehr solcher Initiativen brauchen wie die Klimawende Köln.«