»Es hörte nicht auf«
In der Nacht zum 23. November 1992 verübten Rechtsextreme einen Brandanschlag auf das Wohnhaus der Familie Arslan in Mölln. Sie warfen Molotow-Cocktails in ihre Wohnungen und töteten drei Menschen: die Großmutter Bahide Arslan, ihre zehnjährige Enkelin Yeliz Arslan und die vierzehnjährige Cousine Ayşe Yılmaz , die zu Besuch aus der Türkei war. Der Anschlag in Mölln war kein Einzelfall. Öffentlich und unter Anfeuerung von Schaulustigen wüteten zu Beginn der 1990er Jahre Rechtsextreme in Hoyerswerda, Rostock und Solingen.
»Es fing an, und hörte nicht auf«, sagte fast dreißig Jahre später die Schauspielerin und Kabarettistin İdil Baydar, als sie 2019 die »Möllner Rede im Exil« hielt. Unter Polizeischutz musste die Gedenkveranstaltung stattfinden, weil İdil Baydar im Vorfeld eine Drohung auf ihr Mobiltelefon erhalten hatte: »Wenn du am 17.11.2019 die Möllner Rede im Exil hältst, knalle ich dich ab.« Absender: »SS-Obersturmführer« Ausgerechnet das Erste Frankfurter Polizeirevier wurde von den Sicherheitsbehörden für den Schutz zuständig erklärt: Schon damals war bekannt, dass Beamte dieses Reviers in einer Whatsapp-Gruppe rechtsextreme Inhalte geteilt hatten.
Rechte Gewalt hat in Deutschland eine historische Kontinuität. Das zeigen aufs Brutalste auch die Anschläge im Olympiazentrum in München, in Halle und Hanau. Der Regisseur Nuran David Calis, selbst Sohn armenisch-jüdischer Einwanderer aus der Türkei, widmet sich in seinem dokumentarischen Stück »Mölln 92/22« diesem Teil deutscher Geschichte. Mittels Gesprächen und Interviews erzählt er die Geschichte der Familien Arslan und Yılmaz. Aus der Perspektive der Eingewanderten und von Rassismus Betroffenen wird das längst vergangene bundesrepublikanische Deutschland von damals rekonstruiert. Eine Perspektive, die in der etablierten Geschichtsschreibung bislang kaum vorkommt.
Das Thema ist bei Nuran David Calis in sicheren Händen: Am Schauspiel Köln hat er zusammen mit Anwohner*innen und Betroffenen des Nagelbombenanschlags durch den NSU die Keupstraßen-Triologie inszeniert, auch das Stück »Herero_Nama« über den Genozid durch deutsche Kolonialist*innen und Doğan Akhanlıs »Verhaftung in Granada«. Auf seiner Bühne kommen neben Schauspieler*innen immer schon Expert*innen zu Wort, auch dieses Mal möchte der Regisseur eine Linie zwischen dem Damals und dem Heute ziehen, die deutlich macht: Rechtsradikale Strukturen und Rassismus sind immer noch tödlich.
Schauspiel Köln, Depot 2
8. (UA), 10., 21., 23.4., 20 Uhr