Besser als es scheint
Die Sterne-Auszeichnungen des Guide Michelin gelten als kulinarischer Maßstab, ihre Verleihung wird jedes Jahr mit Spannung erwartet. Nicht zuletzt, weil sie über Karrieren von Köchinnen und Köchen entscheiden und über den wirtschaftlichen Erfolg von Restaurants. Der »Sterne-Tourismus« ist ein internationaler Markt.
In Köln haben alle Sterne-Restaurants ihre Auszeichnungen behalten. Eric Menchon vom Le Moissonnier in der Nordstadt und Daniel Gottschlichs Ox & Klee verteidigen erneut ihre jeweils zwei Sterne, wobei gerade Gottschlich mit der Neuausrichtung seines Restaurants im Rheinauhafen (siehe Stadtrevue 10/2021) Kandidat für noch höhere Weihen ist. Es folgen in Köln elf Restaurants, die jeweils mit einem Stern dekoriert sind.
13 Sterne-Restaurants — das ist erstaunlich für eine Stadt, deren kulinarisches Renommee nie vergleichbar war mit anderen deutschen Großstädten wie München oder Berlin. Trotz legendärer Gourmetrestaurants wie etwa Herbert Schönberners Goldener Pflug in Merheim, das drei Sterne führte.
Zwar sind Spitzenrestaurants selten so mit einem Ort verhaftet wie andere Gastronomie, auch weil sie keine Laufkundschaft haben und sich niemand von einer längeren Anreise abschrecken lässt. Aber Spitzenrestaurants, vor allem wenn sie nicht zu einem Hotel oder Unternehmen gehören, benötigen ein Umfeld mit Menschen, die Interesse bekunden und kulinarische Ambitionen unterstützen — das ist in Köln und der Region mittlerweile vorhanden.
In Köln eröffnen auch zwei Jahre nach Beginn der Pandemie etliche ambitionierte Restaurants — und halten sich
Auch wenn immer neue Imbiss-Konzepte, deren »Story« meist mehr zählt als die Qualität des Essens, nach Aufmerksamkeit heischen, ist ein Boom der Hochküche in Köln deutlich erkennbar. Eben weil auswärts zu essen nicht nur Ausdruck von Geselligkeit ist, sondern Geschmackserlebnisse mittlerweile im Rang kultureller Unterhaltung stehen — wie der Konzert- oder Theaterbesuch. Damit geht einher, dass das Publikum in der gehobenen Gastronomie deutlich jünger ist als noch vor zehn Jahren. Dass man auf einen Besuch im Sterne-Restaurant spart wie auf einen Urlaub, ist üblicher geworden. In Köln gibt es dieses günstige Umfeld für Hochküche, und hier spiegeln sich auch gesellschaftliche Trends in der Spitzengastronomie. Das reicht von der Nonchalance bei der Etikette bis hin zu Ernährungstrends und -moden. Als gehobenes Restaurant in Köln kein vegetarisches Menü auf der Karte zu haben, ist ungewöhnlich. Auch Saisonalität und Regionalität werden stärker hervorgehoben.
Bemerkenswert ist zudem, dass in Köln auch nach zwei Jahren Pandemie, an deren Beginn ein »Gastrosterben« vorhergesagt wurde, etliche ambitionierte Restaurants eröffnen — und sich halten. Zudem werden einige der Restaurants, die erst vor kurzem eröffneten und daher noch nicht konstantes Niveau belegen oder von den Michelin-Testern besucht werden konnten, nächstes Jahr wohl einen Stern erringen. Dazu gehört Julia Komp und ihr Sahila (siehe Stadtrevue 3/2022), das auch Ideen jenseits des asiatischen und europäischen Kanons berücksichtigt. Selbst Geschmacksqualitäten wie Schärfe, ungewöhnlich in diesem Segment, vermag Komp in ihr Menü schlüssig einzubinden. Einen beeindruckenden Start legt auch das Rays in Klettenberg hin, wo mehrere ehemalige Mitarbeiter des Ox & Klee am Werk sind und die Aromenküche ihres ehemaligen Arbeitsplatzes neu akzentuieren. Aber auch das Prunier in der Altstadt, in dem Enrico Hirschfeld aus dem Sterne-Restaurant Maximilian Lorenz nun Küchenchef ist, macht seine Ambitionen deutlich. Und weitere Fine-Dining-Restaurants werden mit Sicherheit folgen.
Der bekannteste Standort für Hochküche in der Region sorgte hingegen für die größte Überraschung im diesjährigen Guide Michelin — es war keine gute. Denn Joachim Wissler, einer der besten Köche der Welt, hat auf Schloss Bensberg mit dem Vendôme einen seiner drei Sterne verloren — nach 16 Jahren! In einer Pressemitteilung ließ der 59-Jährige zwar mitteilen, es sei ihm Ansporn, den dritten Stern zurückzuerobern. Doch dürften Enttäuschung und Unverständnis über die Entscheidung überwiegen.