Berlinale Gewinnerin Meltem Kaptan
Hallo Meltem, in welcher Situation erwische ich dich gerade telefonisch?
In einer »Gassi-Situation« mit meinem pubertierenden Hund mitten in Lindenthal: Ich bin ja seit 15 Jahren Wahlkölnerin. Ich war gerade mit dem Studium fertig, da zog es mich in die Medienstadt. Und ich habe es nie bereut. Sie passt total zu mir — ich rede viel und gerne, und Köln ist multikulti und warmherzig.
Hat dir eigentlich dein eigener »Migrationshintergrund« geholfen, die Figur, die Mutter des Guantanamo-Häftlings Murat Kurnaz zu erschließen?
Ich sehe sie mehr als universelle Figur denn als türkische Mutter: Wie schafft es eine Mutter, fünf Jahre durchzuhalten, wenn sie weiß, dass ihr Kind Folter erlebt? Als erstes habe ich mich ihr über die Stimme genähert. Sie hat keinen klassischen türkischen Dialekt, das habe ich nie zuvor gehört — ein bisschen Bulgarisches, ein bisschen Schwarzmeer — und auch sonst eine eigene Art, das musste ich erst einmal dekodieren. Bei der Berlinale-Pressekonferenz fühlten sich davon alle angesprochen, ob Mexikanerinnen, Griechinnen oder Türkinnen. Dieser Film spricht zu uns allen. Das ist die mütterliche Urkraft: Ich bin eine Mama und für mein Kind gehe ich bis ans Ende der Welt.
Wie war denn die Reaktion von Rabiye Kurnaz selber?
Wir waren alle sehr nervös, aber sie sagte: Ich habe das Gefühl gehabt, ich habe selber in dem Film gespielt. Und auch die Kinder meinten: Wir sehen die Mama. Alle waren sehr gerührt und konnten diese Hommage annehmen.
Einige kennen dich aus TV-Kochshows und Comedy. Wie kamst du eigentlich von einem Magisterstudium zum Schauspiel und von da dann zu Fernsehen und Film?
Als ich studiert habe, war die Schauspielerei meine größte Leidenschaft, zur Comedy bin ich erst später gekommen. In meinen Auslandssemestern in den USA habe ich in Musicals wie »West Side Story« und »Sweeney Todd« gespielt und war auch Mitglied in einem Ensemble in Washington. In meiner Zeit an der Uni Istanbul konnte ich das weiter vertiefen. Aber eigentlich fing das bei mir schon viel früher an: beim Schultheater in Marienfeld bei Gütersloh. Es war immer mein Wunsch, auch ernste Rollen zu spielen.
Und all diese Erfahrungen waren dann eine Vorbereitung für deinen Schauspielerfolg?
Sicherlich, aber die Comedy hat mir den Weg geebnet. Menschen zum Lachen zu bringen ist meine zweite große Leidenschaft und ist so wichtig, gerade in diesen deprimierenden Zeiten mit Krieg und Pandemie.
Wie schafft es eine Mutter, fünf Jahre durchzuhalten, wenn sie weiß, dass ihr Kind Folter erlebt?
Meltem Kaptan
Hat es dir beim Casting für »Rabyie Kurnaz vs. George W. Bush« geholfen, gleich zwei Leidenschaften anbieten zu können?
Rabiye Kurnaz kann auch sekundenschnell von einer Emotion in die andere wechseln. Andreas Dresen hat sich mein Spiel angeschaut und war von diesem Switchen überzeugt. Am Set war er extrem fokussiert, wie ich auch. Dresen hat dieses Projekt sehr lange entwickelt und schon vor vierzehn Jahren Kontakt aufgenommen zur Familie, zu Murat Kurnaz, und hat dann lange nach der Hauptdarstellerin gesucht.
Im Film sind auch in den Nebenrollen unterschiedlichste Migrant*innen und Postmigrant*innen sichtbar.
Das tolle Casting von Karen Wendland spiegelt am Ende doch nur die Realität unseres multiethnischen und multikulturellen Landes wider. Und dennoch bin ich sehr glücklich über den Cast. Vor allem aber, und das ist mir viel wichtiger als Ethnien und Nationen, weil ich mit diesen großartigen Menschen spielen durfte.
Du hast auf der Berlinale einen Silbernen Bären gewonnen und jetzt kommt der Film in die Kinos. Wie siehst du deine Zukunft?
Ich will weiterhin Leute zum Lachen bringen mit TV-Comedy, unterhalten mit meinen Moderationen, aber auch ernste Rollen spielen. Und diese Vielschichtigkeit muss man mir — und überhaupt Künstlern — zugestehen: dass sie die ganze Klaviatur vom Lustigen bis Ernsten spielen können. Jetzt kommen natürlich Angebote und Drehbücher rein, und ich schau mal: Wo kribbelt’s im Bauch?