Sitzende Frau im Profil von links, ange­schnitten, um 1890, Aquarell auf gelblichem Zeichenkarton, Rückseite von NT 22 © Käthe Kollwitz Museum Köln

Ganz nah dran

»Kollwitz Kontext« zeigt die beeindruckende Summe eines Lebenswerkes

Eine ungeahnte Bandbreite an Werken auf Papier von Käthe Kollwitz, die bislang der öffentlichen Anschauung vorenthalten geblieben sind, steht im Zentrum der Ausstellung des Käthe-Kollwitz-Museums »Kollwitz Kontext. Das Werk hinter den Meisterwerken«. Tatsächlich treten hier oftmals die Rückseiten von Blättern in Erscheinung, aber auch vorbereitende, oftmals von der Künstlerin verworfene, sogar energisch durchgestrichene Skizzen.

Dachbodenfunde gelangen ans Licht, genau so werden Jahrzehnte lang durch ein Passepartout verborgene Wischspuren und Schraffuren am Rande einiger Blätter enthüllt. Sie geben Aufschluss über Arbeitsprozesse, lassen Entwürfe sichtbar werden.

Während üblicherweise Kollwitz’ meisterhafte Beherrschung vielfältiger Drucktechniken im Vordergrund steht, entfaltet sich nun ihre experimentelle, selbstkritische Vorgehensweise. Sichtbar wird sie anhand verschiedener Probedrucke. Sie legen lebendiges Zeugnis ihres künstlerischen Schaffens ab, mit all seinen Zweifeln und Fehlern. Nicht nur bei der handwerklichen Ausführung schaut man der Künstlerin über die Schulter, auch bei der Motivwahl ist man ganz nah dran an Käthe Kollwitz, die sich in ihrem Werk sehr direkt dem Leben und dem Leid — auch ihrem eigenen — zuwandte. Die ihr verweintes Gesicht nach dem Tod ihres jüngeren Sohnes Peter, der nach nur zwei Tagen an der Front im ersten Weltkrieg starb, in einer ergreifenden Zeichnung festhält.  

Kollwitz’ Streben nach einer Unmittelbarkeit des Ausdrucks lässt sich in vielen Studien ablesen, die aus eigenen Beobachtungen in ihrem privaten Umfeld hervorgingen, sich aber auch aus ­Arbeiter- und anderen prekären Milieus speisten. Mutig betrat sie — als Frau! — während eines Studienaufenthaltes in Paris die dunklen Gewölbe der Weinlokale, um melancholische Szenen gebrochener Existenzen einzufangen. Mit sozialkritischem Engagement stellt sie gleichermaßen authentisch grobe Arbeiterhände wie den zärtlichen Blick der Mutter auf ihr Kind dar.

Mit dieser beeindruckenden Schau, die einen persönlichen, fast intimen Zugang zur Künstlerin eröffnet und spannende Bezüge zur Sammlungsgeschichte des Museums aufzeigt, verabschiedet sich die langjährige Direktorin Hannelore Fischer. Eine umfangreiche Monografie lädt ein, die aufgedeckten Hintergründe zu vertiefen.

Käthe Kollwitz Museum, Neumarkt 18–24 / Neumarkt Passage, Di–So 11–18, 1. Do im Monat 11–20 Uhr. »Kollwitz Kontext« ist bis zum 19.6. zu sehen.
Hannelore Fischer, »Käthe Kollwitz. Der Werküberblick 1888–1942«, 304 Seiten, 259 Abbildungen, 39,90 €.