Generation Angstraum

In Porz gibt es immer wieder Streit, wie der öffentliche Raum genutzt werden soll — junge und ältere Menschen haben offenbar ganz unterschiedliche Vorstellungen. Nun wollen einige Initiativen einen Kompromiss finden

Anfang 2020 war der Kölner Stadtteil Porz auf einmal bundesweit bekannt. Hans-Josef Bähner, damals Bezirksvertreter der CDU, schießt an der Mauer seines Grundstücks auf einen jungen Mann, der mit Freunden am Rheinufer trinkt und Musik hört. Er habe sich bedroht gefühlt, sagt der 74-Jährige rund zwei Jahre später vor Gericht, der Schuss habe sich im Tumult gelöst. Der Richter nimmt ihm das nicht ab. Bähner muss drei Jahre und sechs Monate ins Gefängnis. Auch Rassismus habe bei der Tat eine Rolle gespielt, begründet der Richter das hohe Strafmaß. Der Fall sorgt bundesweit für Aufsehen. Paul Ziemiak, damals Generalsekretär der CDU im Bund, distanziert sich wenige Tage nach der Tat von Bähner, kurz darauf auch die Kölner CDU. Bähners Verteidiger kündigt Revision vor dem Bundesgerichtshof an.

Wir haben uns in Porz umgehört und mehr als ein Dutzend Gespräche geführt— mit Vertretern der Porzer Bürgervereine, mit Sozialarbeitern, Jugendlichen, Senioren, Politikern und der Polizei —, um herauszufinden, was Bähners Tat dort ausgelöst hat. Sie hat überall Entsetzen hervorgerufen. Nach Erklärungen befragt, nennen viele Porzer aber auch die Gegensätze zwischen Hochhaussiedlungen und freistehenden Einfamilienhäusern, zwischen engen Wohnungen und Bungalows mit Rheinblick. Gegensätze, die oft unvermittelt aufeinanderprallen. Die Jugendlichen klagen, dass sie im öffentlichen Raum als Bedrohung wahrgenommen werden. Und viele, vor allem ältere Porzer fühlen sich unsicher.

Einige in der Porzer Bürgerschaft zeigen sogar Verständnis für den Schützen. Sie begründen dies mit dem Verhalten der Jugendlichen und jungen Erwachsenen. »Jetzt hat es eben auch mal die andere Seite getroffen« — so beschreibt es eine Gesprächspartnerin, deren Namen wir nicht nennen, damit sie offen spricht. Nach ihren Schilderungen seien viele Porzer abends nicht mehr draußen unterwegs. Sie erzählt von einem Angriff, den sie selbst erlebt habe, und von Gewalt und Überfällen, die andere ihr im Laufe der Jahre berichtet hätten. »Wir fühlen uns überhaupt nicht sicher«, sagt sie.

Andere Porzer widersprechen. Sie werben für einen differenzierten Blick, kritisieren latenten Rassismus, arbeiten mühsam für Verständnis und mehr Dialog. Wer auf Augenhöhe mit den jungen Leuten rede, treffe auf ganz normale Jugendliche, sagt Dieter Redlin, altgedienter Bezirksvertreter der Grünen. Die Daten der Polizei zeigen, dass Porz nicht gefährlicher ist als andere Stadtteile. In der Porzer Innenstadt kamen in den vergangenen Jahren jeweils zwischen 20 und 25 Delikte zur Anzeige, die die Polizei der Straßenkriminalität zuordnet, also Bedrohung, Raub, Körperverletzung, Diebstahl, Sachbeschädigung oder Rauschgiftdelikte. Am Rheinufer, dem Ort von Bähners Tat, seien die meisten angezeigten Taten Sachbeschädigungen oder Rauschgiftdelikte.

»Das ist alles im Rahmen«, sagt Sven Pastors, der im Bezirksdienst der Polizei für Porz zuständig ist. Aber er beobachte auch, dass im öffentlichen Raum »unterschiedliche Welten aufeinanderprallen«, sagt Pastors. Kiffende oder betrunkene Jugendliche, die laut Musik hören und Pizzakartons, Schalen von Sonnenblumenkernen und anderen Abfall hinterlassen: Für den Polizisten Pastors sind dies alltägliche Regelverstöße, vergleichbar mit nicht angeleinten Hunden am Rheinufer, für die hauptsächlich das Ordnungsamt zuständig ist. Für manche Porzer aber scheinen es Zeichen eines Kontrollverlustes zu sein.

»Warum sieht man uns nicht auch mal als hilfsbereite junge Männer«, fragt der Besucher im Porzer Jugendzentrum Glashütte neben den Hochhäusern der Papageiensiedlung, die an das Zentrum der früher selbstständigen Stadt Porz grenzt. Er ist Anfang 20, hat eine Gefängnisstrafe abgesessen und legt, mit derbem Humor, Wert darauf, als »kriminell« beschrieben zu werden. Er und viele andere Besucher der Glashütte haben den Prozess gegen Bähner allenfalls nebenbei verfolgt. Das Opfer und seine Begleiter in der Tatnacht kämen vom Rosenhügel, der Hochhaussiedlung weiter südlich in Porz-Zündorf, führen sie als Erklärung an. Skepsis gegenüber der Justiz, die Befürchtung, dass der »Politiker da schon wieder rauskommt«, habe auch eine Rolle gespielt, sagt Sozialarbeiter Philipp Neuhaus, der das Urteil begrüßt. Viele Jugendliche hätten schon früh den Glauben an diese Gesellschaft verloren, sagt Neuhaus.

Wir fühlen uns überhaupt nicht sicher. Abends gehen viele Ältere nicht mehr ans Rheinufer
Eine Bewohnerin von Porz

Rund 115.000 Einwohner in 16 Stadtteilen: Obwohl die Gegensätze so nah sind, leben die Menschen in Porz aneinander vorbei. Lara Waldron ist als Sozialraumkoordinatorin die Ansprechpartnerin für Sozialarbeiter und ehrenamtliche Initiativen in Porz-Mitte, Urbach und am Rosenhügel. Waldron ist in Porz aufgewachsen, und als sie ihre Stelle vor zwei Jahren antrat, hat sie zunächst analysiert, was ihren Sozialraum ausmacht. Ihr Fazit: Es fehlt an Aufenthaltsorten für die Jugendlichen. Armut, Vandalismus, Vermüllung und eine »verwahrloste Innenstadt« mit viel Leerstand — das seien die Problemfelder. Auf der anderen Seite fehle es an Berührungspunkten zwischen den Communitys. »Die Jugendlichen werden als Störfaktoren wahrgenommen«, sagt Waldron.

»Es ist normal, dass irgendwann die Polizei kommt«, sagt Paul Röser. Der 18-Jährige engagiert sich im Jugendforum, mit dem sich die Porzer Jugendlichen Gehör verschaffen wollten. Die Stimmung habe sich in den vergangenen Jahren verschlechtert, sagt Röser: »Die Jugendlichen sind immer das Problem. Sie sind unerwünscht.« Weil andere Treffpunkte fehlten und viele in engen Wohnungen lebten, verbrächten sie ihre Freizeit draußen, am Rheinufer und in der Porzer Innenstadt.

Ein Einkaufszentrum, Bahngleise und autogerechte Schneisen machen das Zentrum von Porz unübersichtlich. Der ehemalige Marktplatz ist eine riesige Baustelle. Jahrelang stand hier ein Kaufhaus leer, bevor die Stadt die Schrott-Immobilie kaufte und abreißen ließ. Nun errichtet die städtische Gesellschaft Moderne Stadt drei neue Gebäude, die »Neue Mitte Porz«. Die gesamte Innenstadt und das Rheinufer sollen in den nächsten Jahren umgestaltet werden. Bis es soweit ist, führt der Weg zum nahen Rheinufer abends aber noch durch dunkle Durchgänge, an verlassenen Ladenlokalen und den leeren Büros des Rathauses vorbei. Für die Jugendlichen wird das Ufer am Wochenende bei gutem Wetter zur Partyzone. Sabine Stiller, Bezirksbürgermeisterin mit CDU-Parteibuch, beklagt die fehlende soziale Kontrolle. Stiller kann nachvollziehen, dass manche sich deshalb unsicher fühlen. »Ich kann den Einzelnen aber leider die Ängste nicht nehmen«, sagt sie. Aber sie werde sich mit den Bezirksvertretern dafür einsetzen, Angsträume zu beseitigen.

Ängstliche Ältere und Jugendliche, die sich amüsieren: Von einem »Unterschied in der Wahrnehmung« spricht Klaus Schäfer. Er gehört zum Bündnis Porz-Mitte, einer bürgerschaftlichen Initiative, die sich seit Jahren mit der Entwicklung in Porz auseinandersetzt. Schäfer kritisiert, dass die Stadt mit ihrem Konzept lediglich die Bauvorhaben finanziere. Dabei werde dringend mehr Geld für soziale Projekte, Sozialarbeiter und Angebote für Jugendliche und junge Erwachsene benötigt. Die sozialen Probleme seien nicht baulich zu lösen. »Wir müssen aufeinander zugehen«, sagt Schäfer. Das Bündnis setze sich einerseits für eine intensive Beteiligung der Jugendlichen ein, habe selbst Workshops und Austausch organisiert. Andererseits wolle man Ängste der älteren Porzer nicht ignorieren. Auch wenn sie objektiv nicht zu belegen seien, sieht Schäfer in der Wahrnehmung von Angsträumen ein Problem, das es zu lösen gilt.

Mit seinen Mitstreitern verteilte Schäfer schon vor einigen Jahren Fragebögen, um herauszufinden, welche Orte die Porzer als bedrohlich bezeichnen. Die Stadt habe das anfangs aber nicht interessiert, so Schäfer. Deshalb habe man die Analyse selbst in die Hand genommen und rund 100 Einschätzungen zusammengetragen. Neben fehlender sozialer Kontrolle und fehlender Beleuchtung konnten die Befragten auch »laute Jugendliche« als Ursache ankreuzen. Männer zwischen 17 und 35 waren von der Teilnahme ausgeschlossen. Denn sie seien in der Regel weniger furchtsam, sagt Schäfer. Sozialarbeiter Neuhaus kritisiert die Umfrage scharf. Das Vorgehen habe dazu beigetragen, jene Vorurteile zu verstärken, die bereits weit verbreitet waren. Er war anfangs an der Erstellung des Fragebogens beteiligt, distanzierte sich aber später von den Ergebnissen. Schäfer weist die Kritik entschieden zurück.

Der Umbau der Innenstadt wäre eine Gelegenheit, Angsträume zu beseitigen. Ein Gesamtkonzept der Stadt und Fördermittel sollen helfen. Manche bezweifeln, dass das klappt. Die neuen Gebäude auf dem ehemaligen Marktplatz seien zu dicht angeordnet, so die Kritik. Auf dem Freiraum dazwischen lasten große Erwartungen. Auch das Rheinufer soll mittelfristig umgestaltet werden. Sozialarbeiter Röser und andere befürchten jedoch, dass mit den Angsträumen auch die Jugendlichen verschwinden sollen. Viele sprechen zwar von Angeboten, die für sie geschaffen werden müssten. Aber mancher schiebt hinterher: »Nicht unbedingt am Rheinufer.« Ein CDU-Funktionär nennt den Umgang mit der Skater-Szene am Roncalliplatz als Modell, die sich dank eines neuen Skateparks im Rheinauhafen umsiedeln ließ.

Es ist alles im Rahmen. Aber es prallen unterschiedliche Welten aufeinander
Sven Pastors, Polizist in Porz

In Porz ruht die Hoffnung auf der Neugestaltung eines Grünstreifens entlang der KVB-Linie 7, an dem auch das Jugendzentrum Glashütte angesiedelt ist. Seniorenvertreter der AWO, der Mieterbeirat aus der angrenzenden Papageiensiedlung und Jugendliche haben sich bei einer Bürgerbeteiligung auf Ideen geeinigt. Das sei der Stadt gut gelungen, so das einhellige Urteil. Lässt sich so auch der Konflikt am Rheinufer lösen?

»Das Rheinufer gehört allen«, mahnt Sozialraumkoordinatorin Lara Waldron. Klaus Schäfer vom Bündnis Porz-Mitte und seine Mitstreiter sehen das auch so. Sie haben konkrete Vorschläge: ein Café im Erdgeschoss des Rathauses, Außengastronomie, betrieben von einem sozialen Träger, erschwingliche Angebote. Je belebter, desto besser — darin sind sich die Porzer einig. Soll das Rheinufer künftig wirklich ein Ort für alle sein, müssen aber alle Seiten noch ein paar Schritte aufeinander zugehen.

Wie das gehen könnte, zeigt das »Theater ImPuls«, ein theaterpädagogisches Projekt aus Porz. In mehreren Workshops hat das Team in den vergangenen Jahren mit alten und jungen Porzern eine symbolische Szene gespielt: »einen Konflikt der Generationen im öffentlichen Raum«, der in Handgreiflichkeiten zu münden droht. Die Zuschauer sollten Lösungen erarbeiten und die Szene zu Ende spielen. Lotar Kienzler vom Theaterprojekt hält mehr Begegnungen und gemeinsame Aktivitäten für den langwierigen, aber einzig nachhaltigen Weg, um die Lebenswelten zu verbinden. »Der Schlüssel ist, sich gegenseitig ernst zu nehmen«, sagt Kienzler. Eine ansprechend gestaltete Umgebung mag allein nicht ausreichen. Als Bühne für eine Annäherung schadet sie aber sicher nicht.