Heavy Metal Kids am Rhein

Vom 22. bis zum 26. Juni findet die Monheim Triennale statt. Wir waren vorab in der Stadt, haben Community Artist Achim Tang beobachtet und mit Shahzad Ismaily, einem der Stars des Festivals, gesprochen

Plötzlich hört die Stadt auf. Wer von Köln nach Monheim fährt, den Rhein überquert, auf die A59 einbiegt und die Abfahrt in Hitdorf nimmt, um am Strom entlang nach Monheim zu gelangen, der ist schlagartig in einer anderen Welt. Dörflich sieht es hier aus, beschaulich geht es zu, das Rheinufer mit seinen weit geschwungenen Wiesen ist geradezu lieblich. Das Rauschen der Autobahnen und der Blick auf die Bayer-Werke in Leverkusen und Dormagen, die diese kleine Gegend umschließen, erinnern aber unerbittlich daran, dass wir uns nicht auf dem Land, sondern mitten zwischen Großstädten befinden. Krautrockland.

Gemächlich zieht sich die Straße nach Monheim hinein, schließlich taucht das Schulzentrum am Berliner Ring auf. Sekundar- und Gesamtschule und Gymnasium teilen sich einen Campus. Auf den biegen wir jetzt ein und dann sehen wir sie schon: Achim Tang, Jannik Klaue und Louis Kimiai. Sie haben ihre Instrumente aufgebaut. Die Schulleitungen wissen Bescheid, die Schüler aber nicht. In fünf Minuten ist große Pause, Tang reibt sich die Hände: Gleich ist hier die Hölle los!

Pünktlich mit dem Pausenzeichen legen sie los: Krautrock — pulsierendes Drumming, stoische Bass- und Gitarrenriffs, Drones. Der Platz füllt sich schnell, die Kids recken die Köpfe, schleichen um die Musiker herum, einige kennen Achim, rufen seinen Namen: Ey, was geht?! Tang springt auf, ruft Schüler herbei, drückt ihnen Instrumente in die Hand, weist sie kurz ein, und dann sollen sie loslegen. Es wird gekichert, manchen schämen sich, feixen, hauen bloß ein paar mal auf die Basstrommel, aber die Neugier überwiegt. Die musikalische Spannung sackt zwischendurch ab — normal. Aber Tang, Kimiai und Klaue — letztere hat Tang aus dem legendären Monheimer Jugendzentrum Sojus 7 mitgebracht — schaffen es, dass der Strom aus Groove und Drone nicht abreißt, am Ende finden sich alle wieder, und es geht mächtig nach vorne. Woran das erinnert? An eine großartige Gaga-Session die 1967 in London unter dem epischen Titel »Hapshash and the Coloured Coat Featuring the Human Host and the Heavy Metal Kids« veröffentlicht wurde. Weiß hier natürlich keiner, ist auch nicht schlimm. Nach einer Stunde ist die Session vorbei. Achim schaut über den Campus, »na klar kennen mich viele Schüler, dafür arbeiten wir hier doch seit drei Jahren«.

Achim Tang ist Community Artist der Monheim Triennale. Der Kölner Bassist, der für die Offene Jazz Haus Schule schon lange Jahre seine pädagogische Expertise eingebracht hat, ist der Mittelsmann zwischen Stadtgesellschaft und Avantgarde-Festival. Mit Musikern vor Ort — Alter, Herkunft, Talent, musikalische Interessen: egal! — realisiert er radikale Projekte, die den Leuten zeigen sollen, dass die Musik der Gegenwart — Improvisation, Jazz, Post-Techno und Postrock, elektronische Klangkunst: das Programm der Triennale — nichts Abgehobenes ist. Sie ist ein Medium, um unsere Zeit besser zu begreifen, um freier und offener zu denken. Die Artists der Triennale sind eingeladen, auch abseits der Festivalbühne mitzumachen und sich dem Dialog mit der Stadtgesellschaft zu stellen. Viele lassen sich darauf ein.


Der Platz füllt sich, die Kids recken die Köpfe, schleichen um die Musiker herum: Ey, was geht?!

Auf dem Campus wäre eigentlich Shahzad Ismaily dabei gewesen — eine Situation, die für den New Yorker Multi-Instrumentalisten wie geschaffen wäre. Ihm geht der Ruf voraus, dass er irgendwo hineinstolpert, sich rasch ein Instrument schnappt (ziemlich gleich, welches) und binnen weniger Minuten alles im Griff hat, alles überschaut und nicht eine Sekunde irgendwelche stumpfen Tribal-Klischees reproduziert. Die New Yorker Bands, die unbedingt die Dienste Ismailys in Anspruch nehmen wollen, sind ungezählt.

Gerade hakt es aber, irgendwo zwischen der Ostküste und dem Linksrheinischen steckt Ismaily fest, seine Anreise verzögert sich. Achim Tang ist ebenfalls Improvisator, und Improvisation heißt nun mal: mit Widrigkeiten arbeiten. Zusammen mit Louis und Jannik und natürlich den Kids auf dem Campus klappt das. Die Monheim Triennale hat schon längst begonnen.

Einen Tag später: Pressekonferenz im soziokulturellen Zentrum »Zum goldenen Hans« am Ernst-Reuter-Platz. Das Kuratorenteam um Reiner Michalke stellt das ­Programm vor. Mittlerweile angekommen: Shahzad Ismaily. Los geht’s! 

Felix Klopotek

 

 

Herr Ismaily, Sie haben als Improvisationsmusiker mit sehr unterschiedlichen Künstlern zusammengearbeitet, zuletzt mit der kanadischen Songwriterin Feist. Was bedeutet Zuhören für Ihre Arbeit?

Zuhören ist sehr wichtig. Ich habe tatsächlich eine Art akustisches Bewusstsein davon, was in einem Raum passiert. Vielleicht ist das so ein Bassspieler-Ding. Es wird ja oft behauptet, dass Bassisten etwas zurückhaltender, stiller sind, obwohl sie den Sound ganz grundsätzlich mitbestimmen. Wenn du viel Bass spielst, entwickelst du meist ein Gefühl dafür, ob der Groove stimmt, ob die Klang-­Architektur funktioniert. Ich habe ein Gefühl für den langen Bogen, also darüber, wohin sich eine Improvisation entwickelt, und betrachte meine Musik aus einer Art Vogelperspektive.

Das ist eher ungewöhnlich für Improvisatoren, die ja auf sehr engem zeitlichen Raum aufeinander reagieren und interagieren. Heißt das, dass Sie erst einmal den Musikern zuhören, bevor Sie in die Improvisation einsteigen?

Nein. Ich will die Welt erfahren, dazu gehört es, spontan zu sein, ohne zu zögern »Ja« zu sagen, wenn sich eine Gelegenheit bietet. Es ist vielmehr so, dass ich mich frage, ob ein Musiker, der imstande ist, beim Spielen die Musik aus der Vogelperspektive zu erfahren, ob durch diese Distanz das »Herz« verloren geht, also ob das Gehirn übernimmt und man das Gefühl für die Musik verliert. Die Frage ist also: Wie kann ich sicherstellen, dass ich trotzdem noch mit dem Herzen bei der Sache bin? Das ist eine beständige Herausforderung für mich. Ich habe diesbezüglich viel von Leuten wie Milford Graves, Marc Ribot, Teji Hajno und Laurie Anderson gelernt — bei denen hört man sofort, dass sie ganz bei der Sache sind, wenn sie anfangen zu spielen.

Mit dem Herzen etwas tun und jemandem zuhören — gehört das nicht organisch zusammen?

Musikmachen ist ja immer eine soziale Praxis. Das Zusammenspiel funktioniert nur, wenn man sich auf den Anderen einlässt, sich in ihn hineinversetzt und eben nicht auf Distanz bleibt. Ja, das ist richtig. Ich merke das beispielsweise bei meiner Tochter, die im Juli sechs Jahre alt wird: Immer wenn sie sich über etwas aufregt, ging ich bislang offensiv in die Situation hinein und suchte ein klärendes Gespräch. Das funktioniert aber meist nicht. So habe ich gelernt, Menschen, wenn sie sich aufregen, Raum zu geben, um ihren Ärger hinauszulassen. Konzentriertes Zuhören kann sehr produktiv sein.

Ich habe auf YouTube ein Video einer Soloperformance von Ihnen gesehen. Da bitten Sie das Publikum, nicht zu applaudieren. Ist das das Zuhören, von dem Sie sprechen: keine Rituale, einfach still sein und zuhören?

Exakt das ist es. Es ging mir dabei vor allem darum, aus diesem Automatismus rauszukommen: Jemand macht Musik, jemand anderes hört zu, bewertet es und applaudiert. Dieses automatisierte Leben aufzubrechen und zu dem zu kommen, was wirklich passiert — das ist es, was ich suche.

Wirkliche Kommunikation stattfinden zu lassen und im Kollektiv ein Werk entstehen zu lassen, das waren auch Ziele der politisierten Improvisationsgruppen in den 1960ern. Ist Ihre Arbeit von diesen sozialutopischen Experimenten inspiriert?

Unbedingt. Es gab in dem Free Jazz dieser Zeit eine Freiheit, zu der ich mich sehr hingezogen fühle. Beim Art Ensemble of Chicago war es beispielsweise so, dass es sein konnte, dass während eines Konzertes plötzlich drei Musiker meinten, das Becken schlagen zu müssen. Es passierte einfach. Es wurde nicht verabredet, »Du spielst heute den Bass mit dieser Linie und das Schlagzeug mit jenem Rhythmus«, sondern jeder konnte seiner Inspiration folgen. Plötzlich entstehen Situationen, mit denen niemand gerechnet hat. Das sind magische Momente; alles erscheint möglich und dadurch wird eine ganz andere Art von Aufmerksamkeit erschaffen — beim Publikum wie bei den Musikern.

Wir sitzen hier, während wir uns unterhalten, am zentralen Monheimer Platz, dem Ernst-Reuter-Platz, an dem sich neben einem türkischen Imbiss die Festivalzentrale befindet — ein kleinstädtischer Platz, kein Idyll, aber lebendig. Ist das vielleicht ein Ort, an dem sich eher so etwas wie eine soziale Utopie realisieren lässt, als in einer Metropole, wo das Publikum »very sophisticated« ist?

Ich denke, man kann hier eher das emanzipatorische Potenzial der Musik aktivieren, ja. Als ich in das Gemeindezentrum von Monheim kam, habe ich Kids gesehen, die aus komplexen Verhältnissen stammen. Die Eltern kommen aus anderen Ländern und arbeiten hart, um sich über Wasser zu halten, ihre Kinder wachsen kulturell »halb deutsch« auf und bauen so eine Distanz zu ihren Herkunftsmilieus auf. In den USA haben wir eine ähnliche Situation. Als ich also in dem Gemeindezentrum war, kamen zwei Kids auf mich zu. Sie haben sich wie Jugendliche ihres Alters verhalten, unbeholfen, dabei natürlich supercool. Dann haben die beiden über YouTube-Videos gerappt — darin steckt natürlich das Bedürfnis so cool zu sein, wie die Typen aus den Clips. In dem Moment, in dem sie in das Mikrofon rappen, träumen sie sich in ein anderes Leben, ein Leben, das ganz anders ist, als das was sie hier haben. Das zeigt wie bedeutsam Musik für sie ist. Mit diesen Jungs werden wir im Rahmen eines Workshops arbeiten.


Ich will die Welt erfahren, dazu gehört es, spontan zu sein, ohne zu zögern ›Ja‹ zu sagen, wenn sich eine Gelegenheit bietet

Was sind Ihre Grundideen bei der Arbeit mit Kindern?

Ich versuche, die schüchternen Kinder zum Sprechen zu bringen. Wenn diese Kinder auftauen, ist viel möglich — für die gesamte Gruppe. Und ich versuche, eher bildliche Vorgaben zu machen. Wenn man von Akkorden und Noten spricht, dann werden Kinder wie Erwachsene schnell verunsichert: Sie wollen nichts falsch machen, nicht eine falsche Note spielen etc. Also gebe ich den Kindern ein Bild, zu dem sie musikalisch arbeiten sollen.

Wie möchtem Sie Ihr Bild von Monheim beschreiben?

Dadurch dass ich hier letztes Jahr vier Tage während des Festival-Prequels vor Ort war und gemeinsam mit anderen Künstlern in einem Hotel gelebt habe, ist mir die Stadt bereits vertraut. Wir haben schon sehr viel Spaß hier gehabt und dieses positive Gefühl umfasst in meiner Wahrnehmung den ganzen Ort. Ich gehe zudem jeden Tag in einem bestimmten Restaurant essen, die Leute kennen mich dort schon, man kommt ins Gespräch. Wenn ich dann erzähle, ich spiele am Wochenende auf der »MS Rheingalaxie«, dann wollen sie dorthin kommen und mich sehen. Und ich sag dann, »Ja bitte, und bringt eure Familie mit«! 

Interview: Bastian Tebarth

Info: s. unsere Konzertvorschau, monheim-triennale.de