»Psychodramatische Wahrheiten«
In einer stürmischen Nacht, im Morgengrauen des Sabbat, wurde Jacob Levy Moreno geboren, auf einem Schiff unbekannter Nationalität, irgendwo auf dem Bosporus in Richtung der rumänischen Hafenstadt Constanta. Den Tag seiner Geburt datierte Moreno auf den 16. März 1892, den Gedenktag der Vertreibung der Juden aus Spanien — wie vermutlich alles an dieser Geschichte eine »psychodramatische Wahrheit« ist.
Schließlich war Moreno der Begründer dieser damals noch neuen psychotherapeutischen Methode: Das Psychodrama als erste Formen der Gruppentherapie. Ein Protagonist bearbeitet auf der Psychodrama-Bühne mittels »Hilfs-Ichs« und dem Therapeuten als Spielleiter sein Thema, um so »Rollenkonserven« aufzubrechen und zu spontanem, konstruktivem Verhalten zu gelangen.
Die Begrifflichkeiten verraten es: Moreno, der in Wien aufwuchs, war fasziniert vom Stehgreiftheater, das zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine außergewöhnliche Blüte in der Stadt erlebte. Rund hundert Bühnen zeigten Theaterabende »im Stehgreif«, reinste Improvisation — und manchmal großes Chaos.
Letzteres war für Moreno undenkbar. In seinem 1924 veröffentlichten Buch »Das Stehgreiftheater« skizzierte er strenge Regeln, die die »Spielmächtigen« auf dem Weg in jenen »Zustand« zu befolgen hatten, wo Schein und Sein zusammenfließen, wo das Spiel nicht willkürlich, sondern Ausdruck des freien Willens wäre. Auf großes Gehör stieß er mit seinen Ideen nicht, vielleicht auch, weil er das herkömmliche Theater zum »Totendienst« an »starr gegebenen Worten« deklarierte, unterrichtete aber immerhin Elisabeth Bergner und Peter Lorre, die später zu weltberühmten Schauspieler*innen werden sollten.
Heute gilt Moreno als Pionier des modernen Improvisationstheaters, er selbst hat diese Auszeichnung zu Lebzeiten nicht erlebt. 1925 reiste er, auf Einladung eines Elektrokonzerns (er war Mitentwickler des Radio-Films, ein Apparat, der Bild und Ton erstmals synchronisieren konnte) in die USA, ging eine Scheinehe mit der Kinderpsychologin Beatrice Beecher ein, die ihm damit eine Aufenthaltsgenehmigung verschaffte, und übernahm 1936 eine kleine psychiatrische Klinik in Beacon, in der er die Methode des Psychodramas weiterentwickelte.