Tobias Flessenkemper vor dem künftigen »Laurenz-Carree«, Foto: Jennifer Rumbach

Wir müssen die Abrisswelle stoppen

Der NRW-Landtag hat ein neues Denkmalschutzgesetz verabschiedet. Es wird unsere Innenstädte fundamental verändern, befürchtet Tobias Flessenkemper, Vorsitzender des Rheinischen Vereins für Denkmalpflege und Landschaftsschutz

Herr Flessenkemper, das neue Denkmalschutzgesetz soll es Eigentümern erleichtern, ihre Gebäude klimagerecht und barrierefrei umzubauen. Was ist falsch daran?

Das konnten sie vorher schon. Neue Heizung, Fenster und ­Verputz können die Energiebilanz von Denkmälern entscheidend verbessern. Aber man kann nicht Top-Normwerte von Neubauten erfüllen. Das ist bei 1,5 Prozent Denkmälern im Baubestand von NRW auch nicht entscheidend im Kampf gegen die Klimakatastrophe. Alle 30, 40 Jahre neu zu bauen, kann jedoch nicht nachhaltig sein. Und was die Inklusion angeht: Der Gürzenich hat eine Fassade aus dem 14. Jahrhundert und davor einen gläsernen Fahrstuhl. Man kann auch neben Kirchtürme Fahrstühle aus Glas stellen. Uns Denkmalpflegern ist an maximaler Teilhabe der Menschen gelegen, von den Behinderten­ver­bänden wurde nie Protest erhoben. Da versteht auch jeder, dass man im Schloss Augustusburg in Brühl keinen Lift auf die Barocktreppe setzen kann.

Nun werden auch Solaranlagen auf dem Dach leichter genehmigt. Ich wüsste gern, wie viele Besitzer von Fachwerkhäusern in bergischen Dörfern es wirklich gibt, die eine Solaranlage auf dem Dach wollen. Können die die Anlage nicht auf ein Grundstück nebenan stellen, damit man die Schieferdächer noch erkennt?

Abgesehen davon ist eine Solaranlage ein reversibler Eingriff. Wenn das einer unbedingt haben will, so what? Das Thema hatten wir schon mit den Satellitenschüsseln. Es wird immer so getan, als hassten alle das Denkmal. Dabei identifizieren sich die meisten Mieter oder Eigentümer mit ihrem Gebäude. In den neuen Gewerbegebieten, auf den Hallen von Amazon, finden Sie keine einzige Solaranlage!

Also sind Klimaschutz und Inklusion nur vorgeschoben?

Ministerin Ina Scharrenbach sagt selbst: Prozesse sollen beschleunigt werden. Deshalb wird das europaweit hochgelobte Vier-Augen-Prinzip ausgehebelt: Angenommen, es steht die Sanierung eines mittelalterlichen Hausrestes in Erftstadt an. Das dortige Amt ist zuständig, hat Orts-, aber keine Fachkenntnis. Die Mittelalterexpertin vom Fachamt des LVR in Brauweiler schon. Gibt es einen Konflikt, müssen beide sich so lange auseinandersetzen, bis sie »ins Benehmen kommen«. Das ist zivilisatorischer Fortschritt! Doch nun gilt das fachliche Urteil nichts mehr. Es zählt nur noch, dass Kommunen Gebäude und Grundstücke leichter vermarkten können.


Nun öffnen wir Korruption und Integritätsproblemen Tür und Tor

Für den Kölner Stadtkonservator Thomas Werner wird der Schutz des Denkmals doch weiter im Vordergrund stehen.

Aber auch ihm fehlt nun das unabhängige Fachamt in Brauweiler als Rückendeckung — zumal er inzwischen aus dem Kultur- ins Baudezernat geschoben wurde! Und es gibt vor allem in kleineren Gemeinden personelle Interessensverflechtungen, Abhängigkeitsverhältnisse. Das Vier-Augen-Prinzip hat das abgeschwächt. Nun öffnen wir Korruption und Integritätspro­blemen Tür und Tor.

Sie glauben, dass es vor allem den Bauten der Nachkriegsmoderne an den Kragen gehen wird. Warum?

Weil sie die NRW-Innenstädte prägen und der größte Eigentümer dieser Gebäude die Gemeinden sind, oder Körperschaften öffentlichen Rechts wie Sparkassen oder Hochschulen. Ihnen redet niemand mehr herein. Alle größeren Bauprojekte der jüngeren Vergangenheit haben den Charakter Kölns stark verändert, etwa die Wallarkaden am Rudolfplatz, wo alles Kleinteilige weggefallen ist und bei den Volumina nur Kapitalverwertung zählt. Diese Idee wird alles dominieren.

Auch die katholische Kirche ist in Köln ein Groß-­Immobilienbesitzer. Sie kritisieren, den Kirchen werde jetzt ein Sonderstatus eingeräumt. Aber Kirchen genießen auch in anderen Bereichen Privilegien, weil sie dem Staat Aufgaben abnehmen.

Die Kirchen haben eine kulturelle Verantwortung, der sie sich nun zu unser aller Schaden entziehen könnten. Wenn sie ihre Grundstücke verwerten wollen, können sie sich einfach an das Ministerium wenden und gegen eine Unterschutzstellung angehen. Ab dem 1. Juni dürfen Kirchen den Denkmalbehörden Zutritt verwehren. Ob ein Bau Denkmal ist oder nicht, kann nicht mehr im öffent­lichen Interesse ermittelt werden. Zudem darf die Kirche über ihren eigenen Abbruchantrag im Ausschuss mitberaten.

Sie haben der Landesregierung eine »Magy­arisierung« des Gesetzgebungsverfahrens ­vorgeworfen.

Weil es absolut intransparent war! Anhörungen wurden so organisiert, dass Dialog unmöglich war. Warum macht die Ministerin nicht öffentlich, mit wem sie sich im Vor­hinein getroffen hat? Die Klientelpolitik für Kirchen und Immobilienwirtschaft wird kaum verschleiert, trotzdem wird von Klimaschutz geredet. Die Landesregierung hat eine Eva­luation des alten Denkmalschutzgesetzes in ­Auftrag gegeben. Ergebnis: Das alte Gesetz ist gut. Doch weil das Ergebnis nicht passte, wurde es ignoriert.

Sogar der einleitende Satz »Das Denkmal ist zu schützen« ist nun aus dem Gesetz gestrichen.

Das materielle Kulturerbe ermöglicht es, uns als Menschen zu verorten. Sie können sagen, das ist nicht wichtig und kann weg. Aber das ist Enttraditiona­lisierung. Die Denkmalschutzbewegung stoppte die Kahlschlagssanierung der 60er und 70er Jahre und neue Lebensmodelle wurden möglich, etwa wenn in den Altbauwohnungen junge Menschen WGs gründeten. Nun werden Möglichkeiten verschlossen. Mit der Nachkriegsarchitektur werden viele öffentliche Säle verschwinden, in denen wir uns treffen könnten. Das ist auch ein Problem für die Demokratie. Für uns als Zivilgesellschaft heißt es nun wie vor 50 Jahren: Abrisswelle stoppen und die Trendumkehr bei Denkmalpflege und Landschaftsschutz schaffen.