Viel Lärm um die Volksbühne
Es war ein rabenschwarzer Tag für die Volksbühne am Rudolfplatz, als die völlig überraschenden Neuigkeiten eintrafen. Dem Konzertbetrieb im Haus droht die Schließung. Ein Nachbar hatte wegen Lärmbelästigung geklagt — und Recht bekommen, wie das Kölner Verwaltungsgericht nun entschied. Das Urteil trifft mit seinen schwerwiegende Konsequenzen nicht nur eine der ältesten und traditionsreichsten Kultureinrichtungen der Stadt, sondern könnte möglicherweise noch viel weitere Kreise ziehen. Dafür zunächst ein Blick in die Vergangenheit.
Im Jahr 2018 erteilte die Stadt Köln auf Beantragung der Volksbühne am Rudolfplatz, ehemals Volkstheater Millowitsch, eine Baugenehmigung für eine Renovierung und Erweiterung um eine ganzjährige Konzertnutzung sowie für Kabarett und Seminar- und Vortragsveranstaltungen. Als Grundlage für die einzuschätzende Lautstärke hatte man sich — so ist es in der Gerichts- und Verwaltungspraxis in diesen Fällen üblich — an der »TA Lärm« orientiert, einer Richtlinie zum Schutz von Anwohner*innen vor schädlichen Geräuscheinwirkungen.
Ein Nachbar, dessen Wohnung an das Theater angrenzt, fühlte sich durch die Veranstaltungen gestört und zog schließlich gegen die Stadt Köln und die von ihr erteilte Baugenehmigung vor Gericht. Dieses Verfahren hat die Stadt nun vor dem Verwaltungsgericht verloren. Die Baugenehmigung wurde aufgehoben und die Volksbühne am Rudolfplatz ist in ihre gegenwärtige missliche Lage geraten. »Wir sind die Leidtragenden in dieser ganzen Sache«, sagt Geschäftsführer Axel Molinski. »Das gesamte Haus war überrumpelt, geschockt und enttäuscht.« Dabei habe man viele Vorkehrungen der Rücksichtnahme getroffen, hatte die Länge der Veranstaltungen auf 22 Uhr begrenzt, Lärmmessungen durchgeführt und Geld für Schallschutzmaßnahmen investiert.
Die Spielstätte veröffentlichte unmittelbar nach dem Urteilsspruch ein Statement, das die Entscheidung des Verwaltungsgericht immens kritisiert. Der Welle der Entrüstung folgt nun — wie man es aus der Gemeinschaft der Kulturschaffenden kennt — die Solidarität. Sogar in einer spontanen Demo wenige Tage nach der Urteilsverkündigung Ende Mai haben Bekannte, Angehörige und Wegbegleiter*innen der Volksbühne ihrem Ärger vor der Aachener Straße 5 Luft gemacht. Aber auch die Stadt Köln war mit Funktionsträger*innen vertreten. Ein deutliches Symbol für die Zusammenarbeit in dieser Sache, weiß auch Axel Molinski: »Wir stehen im Schulterschluss mit der Stadt. Diese steht in der Pflicht, ein historisches Theater zu erhalten. Darüberhinaus haben wir den Beistand einer kompletten Kulturszene, die durch dieses Urteil extrem beunruhigt ist.« Und das nicht zu Unrecht: Das Urteil könnte in der Tat eine schlechte Signalwirkung für Kulturbetrieb und Öffentlichkeit haben.
Denn das Gericht zog für sein Urteil nicht die »TA Lärm« als Maßstab heran, sondern die sogenannte Freizeitlärmrichtlinie. Diese bezieht sich allerdings auf Events und Einrichtungen wie zum Beispiel Open Air Veranstaltungen, Vergnügungsparks oder Freilichtbühnen und ist damit kaum vergleichbar mit den Gegebenheiten der Volksbühne am Rudolfplatz.
Was wir gerade erleben, kann für viele Kulturstätten in der Stadt ein sehr großes Problem werden.
Jutta Unger
»Das, was wir grade erleben, kann für viele Kulturstätten in der Stadt ein sehr großes Problem werden.« Diese Auffassung vertritt Jutta Unger. Sie ist die Geschäftsführerin des Verein Freie Volksbühne Köln e.V., der das KölnerKulturAbo vertreibt, gleichzeitig aber auch als Eigentümer und Vermieter des Gebäudes in der Aachener Straße 5 fungiert. Der Verein zelebriert in diesem Jahr sein hundertjähriges Bestehen. Für die Feierlichkeiten hätte man sich schönere Umstände gewünscht. Jetzt dominiert der Ärger: »Wenn man ein Haus wie die Volksbühne als Freizeiteinrichtung einstuft, gehen damit Richtlinien einher, die man gar nicht realistisch einhalten kann. Die Rechtsnormen sind nicht sauber voneinander abgetrennt. Unter diesen Umständen wird es viel wahrscheinlicher, dass Kultureinrichtungen vor Gericht Lärmschutzklagen verlieren, die aber eigentlich gar keine klar definierte Grundlage haben. Wenn das Schule macht, könnte das den gesamten Kulturbetrieb perspektivisch erheblich einschränken«, warnt Jutta Unger.
Eine weitere Forderung des Vereins ist, dass bei der Vergabe von Baugenehmigungen das Umfeld näher unter die Lupe genommen werden muss. Das betrifft nicht nur Anwohner*innen, sondern auch die Kulturstätten. Worauf Jutta Unger anspielt ist, dass der betroffene Nachbar seinerseits von der Stadt eine Genehmigung für den an das Theater angrenzenden Raum erhielt, weil er die Fläche, die ursprünglich gewerblich war, gekauft und umgebaut hatte, obwohl die Nähe zu den Räumlichkeiten der Volksbühne am Rudolfplatz bekannt gewesen war.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, was bedeutet, dass der Spielbetrieb in der Aachener Straße fürs Erste so wie bisher weiterläuft. Von der Stadt und dem Verein Freie Volksbühne als beigeladener Partei wurde Berufung eingelegt. Sobald diese bewilligt ist, wird der Fall vor dem Oberverwaltungsgericht Münster verhandelt. Bis dahin heißt es warten und hoffen.
Trotzdem fehlt natürlich die Planungssicherheit, dieses wertvolle und grade wieder gewonnene Gut nach den vielen Monaten coronabedingter Unklarheit. Doch auch wenn der Ausgang noch offen ist, hat das Urteil schon jetzt dringend notwendige Diskussionen angestoßen und Defizite offenbart. »Wir müssen weiter Dialoge führen und den Kontakt mit der Stadt und unseren Kolleg*innen halten. Es braucht eine Präzisierung der Verordnungen, auf deren Grundlage Baugenehmigungen erteilt werden. Das betrifft nicht nur unsere Stadt, sondern auch die Landes- und sogar Bundesebene«, so Jutta Unger.
Der Konflikt, der immer wieder zwischen den Kultureinrichtungen einer Großstadt und den Nachbar*innen aufkommt, ist sensibel und schwelt schon lange. Auch wenn Urteile wie dieses bisher noch Einzelfälle sind, haben sie, wie man sieht, große Sprengkraft. Wir wissen: Dort wo wir auf engem Raum zusammenleben, hören wir einander. Um zwischen Lärmschutz und dem Schutz von Kultur zu differenzieren, müssen die juristischen Lücken geschlossen werden, die scheinbar noch zwischen den dichten urbanen Flächen klaffen. Zu gewinnen gibt es dabei nicht weniger als einen großen Schritt Richtung Koexistenz in seiner besten Form — zwischen Kulturhäusern und Stadtbewohner*innen.