Return of the Wohnzimmerclub
Wohnzimmerclub — dahinter verbirgt sich ein Hybrid aus Clubs und Bars. In den Nuller Jahren wurden sie groß, als in den Großstädten zwar jede Menge DJs rumschlichen, Clubs aber rar gesät waren. Im Wohnzimmerclub stehen in guter Tradition zwei altgediente 1210er-Plattenspieler und ein Mixer auf der Theke, DJs werden meist in Getränken bezahlt. Für eine Bar sind die Wohnzimmerclubs meist zu laut, die Boxen wummern nicht selten gerade so heftig, wie es Ordnungsamt und Nachbarn zulassen. Für das richtige Club-Gefühl sind sie aus dem gleichen Grund meist zu leise, die Anlagen an der Grenze der Zumutung und die Tanzflächen bloß provisorischer Natur. Light-Show und Nebel sucht man verständlicherweise vergebens.
Dennoch scheinen Wohnzimmerclubs derzeit so beliebt wie seit den späten 90ern nicht mehr. Wer dieser Tage das Acephale am Südbahnhof oder das King Georg am Ebertplatz besucht, der sieht: Volle Dancefloors, junge ausgelassene Tänzer*innen, die Stimmung ist gut.
Lohnt es sich, gleich den Kulturkampf zwischen den Institutionen auszurufen? Wohl kaum!
Warum auch nicht? Immerhin legen hier lokale DJs auf — im Acephale sogar häufiger Stars wie Robert Bergmann oder Matias Aguayo —, die in ihren jeweiligen Szenen — elektronischer Underground, Beatscene-HipHop, Nu Disco — mit einiger Bekanntheit und etlichen Followern gesegnet sind. Wenn man vor den Türen der Läden bei den Besucher*innen, die gerade eine Raucherpause einlegen, nachfragt, warum sie gerade hier sind, kommen nachvollziehbare Antworten: »Kostet halt keinen Eintritt«; »Hier muss ich mich nicht anstellen«; »Getränke sind billig«; »Man kann immer noch weiterziehen, wenn man mag«.
Es ist eine ganze Kaskade, die vor allen Dingen von jüngeren Party-Semestern vorgebracht wird. Hermes Villena, Booker des Wochenend-Programms im King Georg, kann das verstehen: »Als wir jünger waren, haben wir auch jeden Cent zweimal umgedreht. Außerdem hört man ja nicht irgendwelchen Anfängern zu, sondern hat namhafte Szenegrößen, die am nächsten Tag oder eine Woche später genauso im Club auflegen könnten — und das auch tun.« Er weiß, wovon er redet, war er doch schon in den Nuller Jahren im Stecken auf der Maastrichter Straße zugegen, in gewisser Weise dem Ahnherr aller modernen Wohnzimmerclubs in Köln. Aber auch das Stecken kannte Vorgänger: Das Blue Note auf der Brüsseler Straße oder das Liquid Sky auf der Kyffhäuser funktionierten schon ähnlich. Alle Wohnzimmerclubs eint, dass sie es schaffen, DJ-Kunst und Eckkneipen-Gefühle zusammen zu bringen.
Die Elektra, nur unweit vom King Georg gelegen, war in ihren Anfangstagen eine laute, dann eine etwas leisere Bar — und ist heute, nach einem Betreiber*innenwechsel, wieder lauter und auch selbstbewusster, was das DJ-Booking angeht. Und vor allen Dingen gut besucht. Obwohl wenig in der stets beliebten und bis heute wunderschön eingerichteten Bar dafür spricht, wird hier am Wochenende regelmäßig getanzt. Das Programm lehnt ähnlich wie das alte Stecken in eine HipHop-Ecke, aber auch House- oder Wave-Nächte sind möglich. Der frische Geist hinter den Neuerungen, Daniel Gadzinowski, ist hin- und hergerissen, ob des aktuellen Andrangs: »Ich wollte immer eine Bar betreiben, und weniger einen Club. Gleichzeitig freue ich mich natürlich, dass es so gut läuft. Das war nach den Corona-Tagen, in denen ich den Laden übernommen habe, auch dringend nötig.« Genau jene Corona-Monate des Verzichts haben den Hype um Club-Alternativen noch befeuert. Während nämlich die offiziellen Clubs geschlossen hatten, durften Bars unter Auflagen öffnen. Die Wohnzimmer-Clubs konnten sich als Surrogat etablieren.
Es ist eine Misere, die vor allen Dingen die Clubbetreiber*innen trifft. Nicht nur sind diese mit (halb-)legalen Partys und Kollektiven konfrontiert, die sowieso in den Sommermonaten stets sehr beliebte Veranstaltungen ohne Eintritt bieten und durch Corona-Tanzverbot zusätzlichen Zulauf begrüßen durften; jetzt setzen ihnen auch noch die Wohnzimmerläden zu. Von den angefragten Clubbetreiber*innen wollte niemand etwas zu der Causa sagen. Es ist aber auch ein schwieriges Unterfangen, da die »richtigen« Clubs eben zugleich seit Jahrzehnten davon profitieren, dass junge und aufstrebende Künstler*innen ihre Skills nicht bloß Zuhause, sondern auch in DJ-Booths erweitern und ausbauen. Wie etwa im Acephale, das seit seiner Eröffnung den Balance-Akt aus Bar und Tanzgelegenheit nicht nur meistert, sondern zur hohen Kunst erhoben hat.
Seit nun knapp acht Jahren ist der Laden jenseits des Bahnhof Süd nicht mehr aus dem Nachtleben der Kölner*innen wegzudenken. Kein Wunder: Mit Volker holte man sich damals ja die federführende Kraft hinter dem Stecken als DJ-Booker ins Boot. Diese Kölner Kontinuität, gepaart mit aufstrebenden DJs wie Alex Tackenberg, sowie vielen Freund*innen des Hauses, die ihre europa- und weltweiten Vernetzungen einbringen, hat das Profil entscheidend geschärft: In kleineren Städten sucht man vergeblich nach Clubs mit dem Booking eines Acephals. Allein, das Tanzvergnügen und die Lautstärke kennen auch hier ihre Grenze.
Besonders auf die Probe wurde dieses Selbstverständnis derweil während und nach des Club-Lockdowns gestellt, denn: auch die Wohnzimmerclubs hatten ausdauernd geschlossen, da sie mit ihren »großen Geschwistern« lange gleichgestellt waren. Danach hieß es auch weiterhin »Tanzverbot« — im Acephale stellte man das DJ-Pult um und machte es zu einem Listening-Pult. Jetzt stand im Mittelpunkt, was sowieso bei allen Clubs, ob Wohnzimmer- oder veritabel, immer als erstes kommen sollte: die Musik.
Die gemütliche, heimische Atmosphäre wurde sogar noch verstärkt. Plötzlich musste eben solche Läden auch als Heimathafen fungieren für Menschen, die von Lockdown und Isolation angeschlagen waren, aber noch lange keine Lust auf irgendwelche illegalen Lustbarkeiten hatten. Die 3G- oder sogar 2G-Regelung versprach zusätzlichen Schutz.
Lohnt es sich deswegen gleich den Kulturkampf zwischen den Institutionen auszurufen? Wohl kaum. Ob Acephale, Elektra, King Georg oder etwa das Nachtigall in Ehrenfeld, man muss stets mitbedenken: Hier wird tatsächlich im kleinen Rahmen agiert. So gut das Booking auch ist, werden Clubs ihren Rang schon bald wiedererlangen. Sobald die aufgerufenen DJ-Gagen wieder auf Prä-Corona-Niveau gesunken sind, wird sich nochmal viel in der Szene ändern. Ja, ändern müssen, denn eins können die Wohnzimmerclubs eben nicht: hohe Gagen zahlen. Von Drinks und freundlich-bemessenen Trinkgeldern kann kein*e DJ neue Platten kaufen, geschweige das Leben bestreiten.