Artischockenraub

Im Kleingarten gehen Diebe um. Sie brechen nicht ins Gartenhaus ein — sondern ins Gemüsebeet

Es waren wahrhaft prächtige Artischocken. Liebevoll hatte unser Nachbargärtner sie zuhause vorgezogen, sie waren sein ganzer Stolz, und inzwischen so gut wie erntereif. Oft schauten wir neidisch über den Gartenzaun. Doch eines Morgens waren sie plötzlich weg, sauber abgeschnitten mit einem ­Messer. In Reih und Glied, aber ohne Kopf stehen die Pflanzen nun da. Es ist ein Trauerspiel. Unser Nachbar ist untröstlich.

Es kommt oft vor, dass in Schrebergärten eingebrochen wird. Als wir unsere Parzelle bekamen, war der erste Ratschlag: Kauft euch ein gutes Schloss für das Gartenhaus! ­Bewahrt keine wertvollen Sachen darin auf! Offenbar haben Diebe es vor allem auf Bohrmaschinen oder anderes Werkzeug abgesehen. Auch bei unserem Nachbarn wurde das Haus schon aufgebrochen, aber ich habe ihn damals nicht so geknickt erlebt wie jetzt bei den Artischocken.

Auch anderen wurde schon das Gemüse gestohlen. »Mein bester Kürbis«, erzählte mir eine andere Gärtnerin. Ihren schönsten wollte sie bis zum Schluss aufbewahren: ein Fehler, den sie nicht noch mal ­begeht. Auch der Stachelbeerstrauch wurde ihr bereits geplündert. Einmal erwischte die Pächterin die Diebe sogar in flagranti. Sie lag im Liegestuhl, gut abgeschirmt von hohem Schilfgras, als das Tor zu ihrem Garten aufging und zwei Männer mit Eimern und hoher Leiter eintraten, die Augen auf den reich tragenden Pflaumenbaum geheftet. In Windeseile kehrten sie um, als die Gärtnerin sich von ihrem Liegestuhl erhob.

Mich verstören diese Berichte. Nicht nur, weil ich das Gefühl kenne, wenn das mühevoll gepflegte Gemüse plötzlich weg ist. Jeder Gärtner weiß, was Nacktschnecken anzurichten imstande sind. Aber hier sind ja eben keine Tiere am Werk! Und ich frage mich, welche Notlage Menschen zu solchen ­Taten bringt. Müssen wir jetzt mit noch mehr Gemüseraub rechnen, wo die Lebensmittelpreise immer weiter steigen? Wo Tafeln die Menschen wieder nach Hause schicken müssen, weil nicht genug für alle da ist? Andererseits, den Kohl im Nachbargarten hat der Dieb stehenlassen. Und sind Artischocken nicht auch ein sehr instagram-taugliches Gemüse?

Ich weiß nicht, ob es solche Fragen sind, die meinen Nachbarn so traurig machten. Doch als er ein paar Tage später in den Garten kam, lächelte er schon wieder. Er hatte jede Menge Artischockensetzlinge dabei.