Nö
Hallo? Kann man mal eine Antwort erhalten? Ich habe den Eindruck, dass die recht grundlegende Kulturtechnik von Frage und Antwort zusehends aus der Mode kommt. Alle Welt »kommuniziert«, aber es ist nur noch ein großes Tohuwabohu. Man stellt Fragen, auf dass alles etwas klarer werde. Doch es ist naiv. »Kommunikation« — das ist bloß eine Maschine zur Produktion von Missverständnissen und Verdruss. Das Highend-Gerät für diese Zwecke nennt sich Tobse Bongartz! Besondere Ausstattungsmerkmale von Tobse Bongartz: Schriftliche Anfragen, in welcher Darreichungsform auch immer, versanden zuverlässig — während gleichzeitig weiter unentwegt Nachrichten eintrudeln mit Meinungen, Ratschlägen, Späßen. Sollte ich dazu übergehen, Tobse Bongartz Brieftauben zu schicken oder Kunstflieger meine Frage an den Himmel schreiben zu lassen? »Hi Tobse, bleibt’s bei Freitag halb acht?« Besser noch, ich sende einen Boten. Hoch zu Ross! Dieser schlägt dreimal ans Hoftor. Tobse öffnet verdutzt, blickt von seinem Handy auf, murmelt »Hä?«. Der Bote lässt eine Trompetenfanfare erschallen und deklamiert lauthals meine Frage! Verflixt und zugenäht! Es muss doch einen Weg geben, einfach ein Ja oder Nein zu erhalten! »Bleibt’s bei Freitag halb acht Bierchen im Park oder warten wir, bis Gesine Stabroth vom Volleyball kommt?« — »Nein.« Hm... aber, ehrlich, damit wäre ich fast schon zufrieden.
Man kann auch eine Scheu bemerken, mit »Ja« oder »Nein« zu antworten. Ich vermutete zunächst, die Menschen dächten, es klinge zu schroff. Dabei sind das doch wohltönende Silben! Ja. Nein. Da sind Vokal, Diphthong und Konsonant: Alles schmiegt sich butterweich in den Gehörgang und kitzelt neckisch unsere Flimmerhärchen. Ja. Nein. Alles könnte so einfach sein.
Was aber hört man stattdessen? Man hört einen Wust an Varietäten. Bloß, wie verhält sich Nö zu Nein? Und wie Okidoki zu Ja? Heißt Echt jetzt? etwa nein oder »Was bist du nur für ein elender Volltrottel«? Eigentlich sind diese Schattierungen eine Eigenart des mündlichen Gesprächs, doch seitdem die Schriftsprache sich immer mehr dem annähert, wie wir reden, wird es kompliziert.
Man muss sehr genau unterscheiden. Es gibt längst auch im Schriftlichen das quengelnd-patzige »Nää...«, aber man darf es nicht mit dem freundlicheren, stillen »Nee...« verwechseln, in dem immer auch Zweifel an der eigenen Entscheidung mitschwingt. Die aggressivste Variante ist freilich das »Nö.« Im Mündlichen tönt hier eine schlaffe Gemütlichkeit, aber schriftlich entspricht es dem diktatorischen »Punkt!« oder »Basta!«.
Ich schlage ein System vor, das sowohl dem Zeitgeist entgegenkommt, der jedes binäre System kritisch hinterfragt, als auch Anspruch auf Präzision erheben kann. Das System geht so: Statt ja oder nein, antworten wir ab jetzt alle immer auf einer Skala von null bis zehn. Null heißt nein, zehn heißt ja. Und es gibt alles dazwischen! Wer sich damit besser fühlt, darf auch »siebenkommaneunacht« oder »Pi« antworten. Fragte man mich, ob ich gern Kartoffelsalat von Oma Porz esse, antwortete ich »Zehn!«. Würde man aber wissen wollen, ob ich der Europäischen Zentralbank zu einer weiteren Erhöhung des Leitzinses rate, rettete ich mich mit »fünf«.
Wem das immer noch zu technisch erscheint, könnte die Skala stauchen — und auf das etwas in Vergessenheit geratene Ja-Nein-Vielleicht-System zurückgreifen. Es eröffnet die Möglichkeit zu einer befreienden Offenheit, die mich irgendwie an »(m/w/d)« erinnert. Was ja auch nur die Kurzfassung ist. Eigentlich sollte man doch schreiben: »Wir suchen: Möbelpacker (b/g/l/m/t/i/q/w)«.
Man sieht gleich, es gibt immer viel zu diskutieren, niemanden lässt das kalt, und es ist doch wichtig, miteinander ins Gespräch zu kommen und zu kommunizieren, oder? Hallo? Nö?