Katharina Koselleck, seit April Direktorin des Käthe Kollwitz Museums Köln

»Uns interessiert die Erzählung«

Der Rundgang mit der neuen Direktorin des Käthe Kollwitz Museums Katharina Koselleck führt von den jüngsten Ankäufen zur aktuellen Ausstellung »Der neue Simplicissimus«

 

Am Anfang stand ein eiliger Ankauf: Der Umstand, welcher der weltweit umfangreichsten Sammlung von Werken der Künstlerin Käthe Kollwitz zugrunde liegt, ist schon fast typisch kölsch. Als eine der beiden in Köln lebenden Kollwitz-Enkelinnen im Jahr 1983 ihre Blätter aus dem Nachlass der Groß­mutter veräußern will — die bis dahin im Wallraf-Richartz-Museum aufbewahrt wurden — hat die Stadt kein Geld. Es droht der Abzug und die Zerschlagung eines Konvoluts von Zeichnungen, die der Künstlerin so wichtig waren, dass sie immer in der Familie verblieben. Der damalige Vorstandsvorsitzende der Kreissparkasse, Dr. Hans-Joachim Möhle, verhinderte den Verlust und erwarb die 60 Werke umgehend. 1984 gab auch die zweite Kölner Enkelin die Werke aus ihrem Besitz dazu. Zusammen bildeten die so innerhalb von anderthalb Jahren erworbenen 112 Zeichnungen den Grund­stock für die Kölner Kollwitz-Sammlung. Nachdem die Kunst eine Zeit lang nur provisorisch in Fluren und ehemaligen Büros der Sparkasse ausgestellt wurde, machte eine gewachsene öffentliche Nachfrage die Unterbringung in neuen Räumen notwendig. 1989 zog die Sammlung in die oberen Geschosse des Gebäudekomplexes der Kreissparkasse am Neumarkt ein. Das Käthe Kollwitz Museum Köln war geboren.  

Dort, im vierten Stock schließt heute die Direktorin Katharina ­Koselleck einen hölzernen Zei­chen­­schrank auf und öffnet eine Schub­lade, um behutsam zwei Mappen herauszunehmen. Das Archiv des Käthe Kollwitz Museums ist eine kleine klimatisierte Kammer in einem für den Besucher unzugäng­lichen Seitentrakt mit Büroräumen. Dort werden die wertvollsten Werke des Sammlungsbestands lichtgeschützt verwahrt. Koselleck ist seit April im Amt, nachdem sie zuvor 14 Jahre lang als hauptverantwortliche wissenschaftliche Mitarbeiterin und Kuratorin für Sonderausstellungen im Team ihrer Vorgängerin Hannelore Fischer tätig war. Dem Werk und der Person Käthe Kollwitz ist sie seitdem eng verbunden und präsentiert nun voller Begeisterung die neuesten Zugänge einer dank eines stabilen Ankaufsetats stetig wachsenden Sammlung.

Gerade von einem Schweizer Auktionshaus eingetroffen, liegt unter einem säurefreien Passepartout eine seltene frühe Zeichnung aus der Zeit um 1886, von Kollwitz noch als unverheiratete Frau mit ihrem Mädchennamen Schmidt unterzeichnet. Auf Anhieb ist die illustrative Genreszene der gelernten Historienmalerin mit ihrer naturalistisch genauen, akademisch geprägten Darstellungsweise kaum als Werk von Kollwitz auszumachen, da jene markanten Stilmerkmale des bekannten späteren Hauptwerks noch nicht gänzlich ausgebildet sind. Gerade darin liegt für Koselleck der besondere Wert für eine museale Kollek­tion: »Ein Sammler kauft ein Werk meist aufgrund des hohen Wiedererkennungswertes, um es solitär und prominent auszustellen. Uns interessiert vor allem die Erzählung dahinter, die Einbindung in einen Kontext — in diesem Fall Kollwitz‘ Ausbildungsjahre und ihr Frühwerk.«

Auch beim zweiten jüngst erworbenen Blatt, »Zwei Anstürmende« (1902), eine technische Probe zum »Losbruch« aus dem bekannten Bauernkriegszyklus, lässt sich die Besonderheit zunächst nicht erkennen. Erst als Koselleck das Blatt umdreht, werden die dicht von Kollwitz handgeschriebenen Notizen auf der Rückseite sichtbar, akribische Anmerkungen und technische Anleitungen zum Druckverfahren. Koselleck betont die Relevanz des Blattes auch in Bezug zur Sammlungspolitik des Hauses. »Wir kaufen für die Wand. Es gilt, genau zu prüfen, ob das einzelne Blatt einen Mehrgewinn innerhalb einer bestimmten Werkgruppe darstellt. Zum Beispiel bei den Zustandsdrucken. Wenn man es schafft, eine Reihe von Entwicklungsschritten auszustellen, kann man die Geschichte der Motivfindung sichtbar machen und zeigen, wie Kollwitz um das Ergebnis ringt.«

In unmittelbarer Konfronta­tion mit dem Leid der Menschen, die ihren Mann, den Arzt Karl Kollwitz, aufsuchten, gehörte das Elend in den Arbeitervierteln zu ihrem gelebten Alltag und nahm in ihren Werken eindrückliche Gestalt an. »Kollwitz hat Tür an Tür mit der Praxis und den Patienten gelebt. Diese Erfahrung prägt ihre Motive und ihr Menschenbild entscheidend mit: Am Ende steht bei ihr immer das allgemein Menschliche im Vordergrund.«

Durch diese zugleich emotional teilnehmende und gesell­schafts­kritische Betrachtungs­weise beansprucht das Werk von Kollwitz eine unverminderte, all­ge­meine Gültigkeit und Aktualität, die auch in zeitgenössischen Themen und Positionen anklingt und für zukünftige Ausstellungsprojekte fruchtbar gemacht werden soll. Derzeit ist eine Ausstellung zum »neuen Simplicissimus« zu sehen, die Katharina Koselleck gemeinsam mit dem ehemaligen langjährigen Leiter des Graphischen Kabinetts des Wallraf-Richartz Museums, Dr. Uwe Westfehling, kuratiert hat. »Ein dankbarer Auftakt«, so Koselleck, die das Thema der politischen Satire und Karikatur schon immer interessiert hat. Dankbar ist sie auch für die mit dieser Präsentation verbundene Schenkung der nahezu lückenlosen Sammlung von Ausgaben der Jahrgänge von 1954 bis 1967 durch Westfehling. Auch Käthe Kollwitz hatte zwischen 1908 und 1911 vierzehn Beiträge für den Simplicissimus geschaffen, davon setzten sich sechs  zu einer konzentrierten Folge mit dem Titel »Bilder vom Elend« zusammen. »Es ist die künstlerische Wiedergabe der Wirklichkeit um sie herum. Indem sie sich Themen wie Alkoholismus, Obdachlosigkeit oder Kindersterblichkeit widmet, mahnt sie gesellschaftliche Missstände an und lenkt die Aufmerksamkeit des Simplicissimus-Lesers, der aus der bürgerlichen Mitte stammt, auf diese unbequemen Tatsachen«, erläutert Koselleck.

Fast zeitgleich mit Kosellecks Antritt kam die Ankündigung der vorübergehenden Schließung des Museums — Klimaanlage und Beleuchtungssystem haben nach dreißigjähriger Laufzeit ausgedient und müssen erneuert werden. Wegen Umbaumaßnahmen können die Ausstellungsräume in den kommenden sechs Monaten nicht genutzt werden. Damit ist aber keinesfalls Stillstand angesagt. Koselleck steckt voller Ideen und Pläne und möchte die Zeit nutzen, um mit ihrem Team neue Präsentationsformen in Hinblick auf multimediale Formate zu entwickeln. Auch das Vermittlungsprogramm soll weiterlaufen mit regelmäßigen Aktivitäten und Veranstaltungen. Koselleck kann sich gut vorstellen, das Archiv für kleine Besuchergruppen nach vorheriger Anmeldung zu öffnen und ungewöhnliche Einblicke in die Bestände zu geben. Fest steht schon jetzt: »Wir bleiben sichtbar, wir melden uns!«


»Der neue Simplicissimus —
Satire für die Bonner Republik«,
Käthe Kollwitz Museum Köln,
Neumarkt 18–24, Di–So 11–18 Uhr,
1. Do. im Monat 11–20 Uhr, bis 3.10.