»Es geht um Selbstermächtigung«
Mit weit geöffneter Seitenplane parkt ein Laster in der Einfahrt zum Handwerkerinnenhaus. Große Holzbretter werden ausgeladen, sorgsam an den Radkasten gelehnt und dann von aufgeregt plappernder Mädchen in die Werkstatt getragen. »Toll, was ihr euch da vorgenommen habt«, ruft eine Mitarbeiterin, einen Stoß Papiere in der Hand. »Da habt ihr ja jetzt Nachschub.« Es ist Mittagszeit im »Worringer Bahnhof« an der Kempener Straße in Nippes, einem Holzbau, der an schwedische Häuser erinnert. In den 80er Jahren wurde er von einer Initiative arbeitssuchender junger Erwachsener, dem Zug um Zug e.V., in Worringen ab- und hier wieder aufgebaut — und beheimatet heute auch den 1989 gegründeten Lern- und Bildungsort, das Handwerkerinnenhaus.
»Selbstbestimmt und frei von Rollenzwängen« sollen Mädchen und junge Frauen hier begleitet werden — an der Werkbank mit Kreissäge und Bohrmaschine oder bei Beratungen zu Ausbildungs- und Berufsmöglichkeiten. Dafür kooperiert das Handwerkerinnenhaus mit Schulen, bietet aber auch offene Angebote in den Ferien oder nachmittags an, etwa die »Mädchenwerkstatt« oder den Kurs für Mädchen mit Fluchterfahrungen. An den Wochenenden gibt es Workshops für Frauen, bei denen sie lernen, Reparaturen im Haushalt, am Fahrrad oder am Auto zu machen, und kleine Möbelstücke zu fertigen. »Es geht um Selbstermächtigung«, sagt Mira Sin, geschäftsführende Vorständin des Vereins. »Darum, dass Mädchen und Frauen erleben, welche vielleicht bislang ungeahnten Potenziale und Fähigkeiten in ihnen stecken, um selbstbestimmt ihr Leben gestalten können.«
Rund 15 Mitarbeiterinnen sind hier beschäftigt, finanziert wird die Einrichtung mit öffentlichen Geldern, aber auch von Stiftungen und mit Spenden. Handwerkerinnen, Sozialpädagoginnen und eine von der Förderschule an der Nippeser Auguststraße abberufene Lehrerin arbeiten hier, denn im Programm »Kneifzange« können Mädchen sogar ihren Hauptschulabschluss machen. Das Projekt richtet sich an Schülerinnen, die schon länger nur unregelmäßig oder gar nicht mehr am Schulunterricht teilnehmen. Im Handwerkerinnenhaus werden sie ein Jahr lang begleitet. »Nach zwei Jahren Pandemie stehen viele Mädchen extrem unter Druck«, beobachtet Mira Sin. »Denn in dieser Zeit sind auch viele Angebote zur beruflichen Orientierung weggefallen, die für die Wahl eines Ausbildungsplatzes wichtig wären.«
Das alles gilt es nun nachzuholen — und Mädchen und Frauen darin zu bestärken, dass auch handwerkliche Berufe, eines von vielen möglichen Berufsfeldern ist. Denn noch immer sind Frauen in diesen Betrieben unterrepräsentiert: Laut Zentralverband des Deutschen Handwerks waren 2019 gerade einmal 13 Prozent der Auszubildenden in Tischler-Werkstätten weiblich. Immerhin: Tendenz steigend.
»Für die Mädchen und Frauen, die zu uns ins Handwerkerinnenhaus kommen, sind wir und vor allem die Handwerkerinnen role models, erzählt Diplom-Pädagogin Charlotte Senf. »Sie erleben, wie wir uns als Frauen ganz selbstverständlich in der Werkstatt bewegen und fühlen sich dadurch ermutigt, selbst die Werkzeuge und Maschinen auszuprobieren.« Seit mehreren Jahren ist Senf schon im Verein tätig, auch als Vermittlerin, wenn es um das Aufbrechen von Rollenklischees geht. Natürlich gebe es da die Gespräche zwischen Tür und Angel, die sich immer wieder von allein ergäben, aber auch Methoden, wie etwa die Einordnung von Aussagen auf einem »Sexismus-Barometer«, mit denen man Mädchen für Stereotype sensibilisieren und zum Umdenken zu bringen versuche. »Besonders spannend ist es, wenn dadurch untereinander Diskussionen entstehen«, sagt Charlotte Senf. »Denn gerade dazu wollen wir die Mädchen ja bringen: die Dinge in Frage zu stellen und selbstbestimmt über das eigene Leben zu entscheiden.«
Weitere Infos auf: handwerkerinnenhaus.org