Talent leiht, Genie klaut
Hardrock! Frederik Fog Bruun und Jan Philipp zeigten sich etwas amüsiert, als in einer Besprechung ihres Debüt-Albums »Sci-Fi Immune« versuchte wurde, ihre Musik so einzuordnen: »Jemand wollte Art-Rock schreiben, aber dabei ist das herausgekommen«, erklärt Philipp im Interview am Sudermanplatz. Ob es jetzt ein Autocorrect, ein Verschreiber oder sogar ein musikalisches Missverständnis war — ganz verhehlen kann man nicht, dass die exaltierte, psychedelische, krachige und extrem vielseitige Gitarrenmusik der beiden ehemaligen Studenten der hiesigen Hochschule für Musik und Tanz den Genrekanon des Musikjournalismus an seine Grenzen bringt, vielleicht sogar sprengt.
Wie komplex der Sound von Infant Finches ist, zeigt sich spätestens auf der Bühne: Gleich drei Sampler dienen ihnen als Quellen für jene Spuren, die sie nicht an Ort und Stelle produzieren können. Live holen sie sich noch mit dem Musiker Jannis Carbotta (gemeinsam mit Philipp auch beim Drone-Projekt AEOL) Verstärkung, aber auch hier gilt: Viel ist gerade genug — mehr wäre noch besser. Das verwundert, wenn man bedenkt, dass Philipp als Schlagzeuger vor allen Dingen in Jazz-Gefilden unterwegs ist und als Sideman für Johanna Klein oder das Projekt BÖRT spielt — der Geist der vornehmen Zurückhaltung prägt auch sein eigenes Debüt »Fake Folks«. Fog Bruun initiiert derweil sein Solo-Projekt Auxjahat und produziert Soundtracks. Im Mittelpunkt ihres Schaffens steht aber unvermindert das überbordende Projekt Infant Finches.
Jan, wie beginnt für dich persönlich die Geschichte von Infant Finches?
Jan: Ich bin zum Wintersemester 2013 zum Musikstudium nach Köln gekommen. Nach einiger Zeit habe ich einen Freund besucht, der gerade in Kopenhagen studierte. Bei einer Jam-Session habe ich Frederik kennen gelernt. Er kam dann selbst kurze Zeit später nach Köln. Es war relativ schnell klar, dass wir musikalisch etwas zusammen machen wollen.
Ihr habt also zusammen studiert?
Jan: Nicht wirklich. Ich war schon dabei das Studium zu beenden, als Frederik begann.
Als du dann 2018 nach Köln gekommen bist, habt ihr dann sofort als Band losgelegt?
Frederik: Ja, in der Zeit, also direkt in den ersten zwei Monaten, ist das »Yellow Tape« entstanden. Jan hatte einen Proberaum und wir haben mehr oder weniger sofort angefangen aufzunehmen. Das ging schnell und war sehr roh.
Ihr beide seid Infant Finches, live tretet ihr aber zu dritt und manchmal zu viert auf. Wie unterscheidet ihr da zwischen dem Kern der Band und den Mitmusiker*innen, wie gerade Jannis Carbotta oder früher Sophie Spies?
Jan: Das sind erstmal gute Freund*innen. Das ist für uns Hauptbedingung und -grund zugleich. Infant Finches ist sehr persönlich — das muss sich richtig anfühlen. Im Studio sind wir als Band immer zu zweit und schreiben und arbeiten sehr intensiv. Da wäre gar kein Platz für eine weitere Person. Das wissen alle Beteiligten. Live bekommen die Songs dann eine andere Facette und werden derzeit von Jannis mitgeformt.
Bis zu eurem Album »Sci-Fi Immune« hattet ihr kleinere Songs und zwei Mixtapes rausgebracht. Was ist da für euch der Unterschied?
Jan: Ich erkläre das am besten anhand des Albums. Dafür gab es eine Förderung der Initiative Musik, da wussten wir schon beim Antrag, dass es eine »richtige« LP wird. Da muss man sich vorher Gedanken machen und da war klar, dass wir nicht wieder zu zweit unser Tape rausbringen, sondern diesmal anders rangehen müssen. Zum Beispiel haben wir das erste Mal mit einem Produzenten gearbeitet, mit Olaf Opal.
Frederik: Ja, wir haben das sogar in den Antrag geschrieben, bevor wir mit Olaf gesprochen hatten, weil wir seine Arbeit und seinen Ansatz sehr gut finden.
Jan: Wir haben diesmal mit einem ganz anderen Plan gearbeitet. Oder das erste Mal überhaupt mit einem Plan. Das generelle Niveau, oder besser: Level, der Arbeit war ein ganz anderes.
Frederik: Man muss sich das vorstellen: Wir haben einen Monat lang nur Demos für das Album produziert. Isoliert in einem Haus immer weitergearbeitet. Das waren am Ende, ich sag, »unendlich« viele.
Das Spiel mit den Referenzen kommt ganz natürlich und nicht kalkuliert
Jan Philipp
Nach der professionellen Arbeit an der LP — schaut ihr zurück und ärgert euch, dass ihr die früheren Tapes nicht richtig »hifi« aufgenommen habt und anders daran hättet arbeiten können?
Frederik: Nein, ich liebe das »Yellow Tape«. Persönlich finde ich das sogar das geilste, was wir bis jetzt gemacht haben. Die Intensität, mit der das Tape in zwei Monaten insgesamt entstanden ist, fühle ich immer noch sehr. Das war die Erfindung von dem Musiker, den ich mit 15 erträumt habe: Spielt in einer Band, liebt Pink Floyd etc.
Pink Floyd ist ein gutes Stichwort. Wenn man möchte, hört man bei »Sci-Fi Immune« etliche Einflüsse raus. Seid ihr denn wirklich »heavy influenced« oder tickt ihr da anders?
Frederik: Ja, wir arbeiten sehr viel mit Einflüssen. Zeigen uns gegenseitig Stücke und Stellen in Songs, hören uns das genauer an und gucken was wir damit machen können.
Infant Finches fungieren selbst als Sampler, vollgestopft mit Schnipseln aus der Musikgeschichte, kann man da so sagen?
Frederik: Es gibt da eine offizielle und inoffizielle Geschichte. (lacht)
Jan: Man kann sagen, dass es zu jedem Snippet eine Referenz für mich gibt. Die ist manchmal direkt, dann wieder versteckt.
Frederik: Wir klauen sehr viel. (lacht wieder) Ich finde das auch geil, zu klauen.
Oscar Wilde sagt: Talent leiht, Genie klaut.
Frederik: Das Zitat kaufe ich so. Als wir das erste Mal Olaf Opal getroffen haben, sagte er gleich: Ihr klaut verdammt gut. Wenn man bestimmte Sachen weiß, dann kann man das vielleicht sogar hören. Die Idee von einem ganz neuem Sound ist doch Quatsch.
Findet ihr es spannend, dass wir in einer Zeit leben, in der DJs mit mehr oder weniger geklauten Songs Millionen verdienen und an Bands immer noch der Anspruch herangetragen wird, etwas genuin Neues zu schaffen?
Frederik: Ich kann da nur für uns sprechen. Da gibt es keinen Masterplan, wo man sich bedient oder von wem man sich inspirieren lässt. Wir hören etwas, binden das auf unsere Weise ein, hören dann etwas anderes und verwenden auch das.
Jan: Das Spiel mit den Referenzen kommt ganz natürlich und nicht kalkuliert. Wir sind mit einem Song an einem Punkt angelangt und dann denkt man: »Hey, diese Stelle aus dem Lied könnte da voll gut reinpassen.«
Frederik: Ich möchte betonen, dass wir viel Jammen. Das ist natürlich losgelöst von solchen Gedanken. Wenn wir einfach drauf los spielen, was immer die Grundlage unserer Songs ist, dann sind wir zu hundert Prozent losgelöst von Zitaten und Referenzen. Aber ich bleibe gleichzeitig dabei: Ich habe kein Problem zu sagen, dass ich selbstverständlich sehr beeinflusst bin von alten und neuen Songs. Ich möchte das sogar betonen: Niemand erfindet das Rad neu.
War das auch der Grund, dass ihr euch für Olaf Opal als Produzent entschieden habt?
Frederik: Total. Olafs Recordings, Mixings und Produktionen sind richtig geil. Er hat schon so viele verschiedene Sachen gemacht. Als wir noch überlegten, wen wir nehmen können, kam die letzte The-Notwist-Platte raus, die Olaf aufgenommen hat. Das war genau das, was wir uns vorgestellt hatten.
Jan: Die Arbeit war sehr cool, weil Olaf eben nicht in der Vergangenheit schwelgt, sondern — genauso wie wir beide — auch permanent neue Sachen findet. Wir zeigten ihm eine Stelle aus einem Song von Oneohtrix Point Never: Er wusste sofort, was das für ein neuartiger Effekt war.
Wenn man den Sound des Albums mit dem vergleicht, was sonst von deutschen Gitarren- oder Indie-Bands produziert wird, fällt einem die Diskrepanz auf. Ihr scheint vornehmlich von Acts aus dem Ausland beeinflusst ... hadert ihr manchmal mit dem Standort Köln?
Jan: Wenn man sieht, dass Bands, die wir quasi vergöttern, dass die in Köln vor neun Menschen spielen, dann kommt man schon ins Grübeln.
Frederik: Das auf jeden Fall. Wir machen einen Sound, der in Deutschland nicht das größte Publikum zieht. Andererseits finde ich gut, hier in der Stadt zu sein, wo gerade viel passiert. Auch mit Acts wie Vomit Heat zum Beispiel, merkt man, dass sich gerade viel tut hier. Wir planen dennoch mal in die USA zu reisen, wo der Sound verbreiteter ist, und zu schauen, wie man da ankommt.