Rimini
Rimini ist ein Sehnsuchtsort, doch in Ulrich Seidls »Rimini« kann sich keine Sehnsucht erfüllen. Hier hat alles seine besten Zeiten hinter sich: die Menschen, die Bauten, die Liebe, sogar das Wetter. Der österreichische Autor und Regisseur macht den Zuschauenden mit jeder Einstellung klar: Nichts wird je wieder so sein wie früher, und es bleibt fraglich, ob es einmal besser war. Im Zentrum steht der einst erfolgreiche Sänger Richie Bravo. Die Figur des abgehalfterten Schlagersängers ist keine besonders originelle Wahl, um die Diskrepanz zwischen Glücksversprechen und Realität zu illustrieren. Doch wie Michael Thomas den aufgedunsenen blondierten Sänger spielt, das ist schon einen Kinobesuch wert. Sei es nur, um ihm dabei zuzuschauen, wie er sich in schmucklosen Hotelsälen vor mehrheitlich älteren Damen bemüht, wenigstens für die Dauer seines Auftritts ein wenig Lebensfreude zu simulieren. Und tatsächlich vergessen seine ergrauten Bewunderinnen kurz sogar die nicht weichen wollenden Nebelschwaden, die schwer über der Riviera hängen, und keinen Sonnenstrahl durchlassen. Noch glücklicher sind diejenigen, an deren Hotelzimmer der singende Witwentröster später klopft. Auch der Geschlechtsverkehr hat schon bessere Tage gesehen, aber das hindert den Gigolo nicht, sich diese Extraleistung bar bezahlen zu lassen. Richie Bravo braucht das Geld, denn sein Salär für die Auftritte vor halben Busladungen mit Touristen wandert umgehend in Spielautomaten oder geht für das Bier am Morgen drauf. Richtig teuer wird es, als seine Tochter Tessa (Tessa Göttlicher) auftaucht, an die er sich kaum mehr erinnert, und die umso energischer Alimente einfordert. Rückwirkend. Ihr Vater verfällt auf einen gleichermaßen naheliegenden wie perfiden Plan.
Auch mit diesem Werk ersucht Ulrich Seidl das Publikum, alle Hoffnung fahren zu lassen. Doch lässt er den Figuren seiner Welt mit einem Anflug von Zuneigung ihre Würde — während er sich beim Anschlussprojekt »Sparta« zuletzt mit Vorwürfen des Spiegel konfrontiert sah, zur Erzeugung der größtmöglichen Authentizität in Sachen Pädophilie minderjährige rumänische Laiendarsteller vor der Kamera traumatisierenden Erfahrungen ausgesetzt zu haben. »Rimini« überzeugt letztlich auch dank der fantastischen Schauspieler*innen, die über Längen und Redundanzen des Films hinweghelfen.
A/D/F 2022, R: Ulrich Seidl, D: Michael Thomas, Tessa Göttlicher, Hans-Michael Rehberg, 116 Min.