Eine Busreise aus der Zukunft
Mit ein bisschen Fantasie kann man ihn sehen: den Bus, der da parkt, mitten im Kellerraum. Paarweise stehen die Stapelstühle in zwei Reihen hintereinander, dazwischen ein schmaler Gang, durch den man laufen und auf einem der Sitze Platz nehmen kann. Es ist Probentag im KunstWerk in Deutz, einem der größten selbstverwalteten Atelierhäuser in ganz Europa. In der ehemaligen Gummifabrik, wo früher OP-Handschuhe, Badehauben und Kondome hergestellt wurden, wird seit einigen Wochen an dem Stück »ULTIMA RATIO — eine Busreise aus der Zukunft« gearbeitet — einer Reise in einem echten Doppeldeckerbus, doch für die Proben müssen die Stuhlreihen erst einmal reichen.
Regisseur Christoph Steć, Leiter dieses Sommerblut-Projekts, sitzt auf der Fensterbank, und macht Notizen. Zum ersten Mal zeigen die drei Schauspieler Arwen Schünke, Mira Wickert und Thomas Zimmer ihre Improvisationen, nachdem sie gemeinsam wochenlang an Recherche und Text für das Stück gearbeitet haben. »Wahrscheinlich haben Sie das nicht erwartet von der ersten öffentlichen Rede des Amazonas-Regenwaldes, nachdem ihm der Status einer juristischen Person zugestanden wurde«, beginnt Thomas Zimmer seine feierliche Eröffnung, während er den Gang entlang schreitet. Später wird er spontan einen Pop-Song über »Kohlekraft und Liebe« anstimmen, Arwen Schünke liest Nachrichten aus einer imaginierten Zukunft, in der Unternehmen mit großem Emissionsverbrauch deutschlandweit geschlossen werden, und Mira Wickert gibt Tipps fürs Flirten in ökologisch korrekter Sprache.
»ULTIMA RATIO« ist ein multimediales Theaterstück, basierend auf einem Forschungsprojekt der Scientists for Future zur Frage, wie unser Leben in zwanzig Jahren aussehen könnte. Die Initiative von Wissenschaftler*innen gründete sich im März 2019, um Fridays for Future zu unterstützen. In ihrem Projekt »Zukunftsbilder« zeigen sie vier unterschiedliche Szenarien für das Jahr 2040, in der Politik und Gesellschaft teilweise oder sehr konsequent auf Nachhaltigkeit ausgerichtet sind. Ihre Ideen fließen in das Stück ein, denn »ULTIMA RATIO« erzählt die fiktive Geschichte einer Menschheit, die es durch eine symbiotische Verbindung mit Pflanzen, die die Schauspieler*innen in einer Kugel vor der Brust tragen, in der Zukunft geschafft hat, die planetaren Grenzen nicht zu überschreiten. Doch einige Abtrünnige wollen, aus Egoismus oder Raffgier, zu der weltvernichtenden Lebensweise von früher zurückkehren. In einer Bildungsreise werden sie mit den Fehlern der Vergangenheit konfrontiert, die vor dem Hintergrund der fiktiven Errungenschaften in der Zukunft völlig absurd wirken.
Es ist bestärkend, an einer positiven Zukunftsidee zu arbeiten, während man sonst mit dystopischen Nachrichten konfrontiert ist
Arwen Schünke
»Wir starten mit dem Doppeldeckerbus in Köln und fahren erst einmal zum Hambacher Tagebau, wo wir an der Abbruchkante zum Halt kommen«, erzählt Christoph Steć. Gespielt wird im Bus selbst, aber auch vor Ort, wenn das Publikum aussteigt. Anschließend geht es weiter zum Schloss Türnich nach Kerpen. »Das ist ein wildromantisches Wasserschlösschen, das seit vielen Jahren im Bereich ökologischer Landwirtschaft aktiv ist«, sagt Steć. Und das selbst auch von den Folgen des Braunkohlentagebaus in der Region betroffen ist: Weil der Grundwasserstand Anfang der 1970er Jahre künstlich abgesenkt wurde, ist der Boden, auf dem das Barockschloss steht, instabil geworden. Steć und sein Team haben für »ULTIMA RATIO« mit den Menschen im Rheinischen Revier gesprochen und mit Wissenschaftler*innen, die Impulse für eine nachhaltige Lebensweise geben.
»Die Arbeit am Stück hat mir Mut gemacht«, erzählt Schauspielerin Arwen Schünke am Rande der Proben. »Es ist bestärkend, an einer positiven Zukunftsidee zu arbeiten, während man sonst mit dystopischen Nachrichten konfrontiert ist.« Denn die Forschungsergebnisse von den Scientists for Future verdeutlichen: Es gibt bereits eine Vielzahl von nachhaltigen Projekten und Ideen — etwa für kostenlosen öffentlichen Nahverkehr in Luxemburg oder für die Wasserstoffbusse in Köln. »Mit dem Stück haben wir uns selbst herausgefordert, unseren individualistischen Selbstverwirklichungsdrang zu überdenken«, sagt Steć. Denn mit kleinen Verzichten im Alltag fühle man sich zwar moralisch auf der richtigen Seite, aber: »ULTIMA RATIO« will vor allem den Blick weiten auf all die guten Ideen, die es noch umzusetzen gilt.