Lieber wütend als depressed
Eine junge Frau sitzt auf dem aus Holzpaletten gezimmerten Bett in ihrer Wohngemeinschaft, an der Wand hängen Poster: Autonomes Zentrum, Klimacamp, Hanau. Man beobachtet sie niedergeschlagen beim Telefongespräch mit ihren Eltern, die darauf drängen, dass sie endlich mit ihrem Bachelor fertig wird, bei der Therapiestunde via Zoom, zwischendurch wird man sogar selbst angesprochen: »Meinst du, dass das Rentensystem in der Form erhalten bleibt?«
Es gibt fünf von diesen Räumen in dem dunkelrot ausgeleuchteten Flur eines Bürogebäudes in der Subbelrather Straße 13, direkt neben dem Kölner Fernsehturm. In »Lieber wütend als depressed« läuft das Publikum durch sie hindurch — und gleichsam durch die Periode zwischen der Gegenwart und dem Ende der 60er Jahre. Man ist frei, zu gehen oder zu bleiben, wie man möchte, und mit den Spielenden zu interagieren. Im Stil eines lebenden Museums wandelt man durch die Zeit. Raum für Raum transportieren sich die mehr oder weniger subtilen Botschaften von Kapitalismuskritik und der Notwendigkeit von kollektiven Zusammenschlüssen. Die Frage, wie sich Menschen zu einem mangelhaften System verhalten, wird lebhaft verhandelt. Diskussionen zwischen Publikum und Protagonist*innen sollen angestoßen werden. Es geht um Entwicklung, Ausprägungen und Motivationen von linkem Aktivismus und Extremismus.
Ein an die nackte Wand geworfener Live-Stream in einem verwahrlosten Zimmer, dann ein mit verzerrter Musik beschallter dunkler Raum, an dem sich eine Frau an einem Tisch sitzend mit einem Zuschauer einen Apfel teilt. Über die verrauchten Kneipe mit linken Parolen landet man am Ende wieder in den 60ern bei einer jungen Frau in einem studentischen Zimmer. Vielleicht ist es Gudrun Ensslin, man erfährt es nicht.
Ihre 2003 erschienene Biografie »Lieber wütend als traurig«, geschrieben von Alois Prinz war es, die das junge, fünfköpfige Parasites Ensemble zu diesem Stück in Koproduktion mit der Studiobühne inspirierte. Der Anspruch lautete, die gesellschaftlichen Gründe für den RAF-Terror damals und die Möglichkeiten und Ohnmacht gegenwärtigen linken Engagements als Gegenüberstellung erfahrbar zu machen. Das gelingt: Die Inszenierung schafft eine extreme Nähe. Nicht nur, weil man ganz mit dem Bühnenbild verschmilzt, sondern weil man sich viele der drängenden Fragen der fünf Räume selbst oft stellt und an ihnen verzweifelt.