Neue Armut — Die Krise hat gerade erst begonnen
Heike Towae bittet ins Wohnzimmer ihrer kleinen Erdgeschosswohnung in Mülheim, wo sie eine Schorle mit selbstgemachtem Waldmeister-Sirup serviert. Mehrmals klingelt das Telefon, Heike Towae hat viel zu tun, seit sie sich in der Kölner Ortsgruppe von #Ichbinarmutsbetroffen engagiert. Unter dem Hashtag berichten seit Mai Betroffene von ihrem Leben in Armut, einige Tweets las die Fraktionschefin der Linken Janine Wissler im Bundestag vor. Inzwischen haben sich in mehreren Städten Initiativen gebildet, die bei Kundgebungen auf die bedrohliche Lage der Armen aufmerksam machen. Wenn die Regierung keinen »Rettungsfallschirm« schicke, warnen sie, dann »werden Menschen in Deutschland verhungern«.
Heike Towae ist seit knapp zehn Jahren arm. Sie wurde erwerbsunfähig, als sie mit 44 Jahren einen Hirnschlag erlitt und an einer schweren Form der Epilepsie erkrankte. Der Regelsatz der Grundsicherung, 449 Euro pro Monat, habe eigentlich nie ausgereicht, sagt Towae. Vor ihrer Erkrankung hat sie als Sozialarbeiterin und Köchin gearbeitet. »Ich habe einen Autonomiewahn. Ich wusste mir immer zu helfen.« Sie zeigt ihr Küchenregal, in dem sich Gläser mit eingekochtem Obst und Gemüse stapeln. Im Sommer hilft sie anderen bei der Ernte und bekommt dann einen Teil geschenkt. Überhaupt macht sie viel selbst. »Aber im Moment fehlt mir die Phantasie, wie es weitergehen soll.« Towae verzweifelt vor allem an den steigenden Lebensmittelpreisen. Sie geht zwar zur Tafel. »Aber da gibt es wenig frisches Obst und Gemüse.« Towae muss auf ihre Ernährung achten, weil sie erhöhte Cholesterinwerte und zu hohen Blutdruck hat. »Und ständig ist da die Panik, dass ich keinen Zehner mehr für die Zuzahlung der Medikamente übrig habe.«
Zeitung liest Heike Towae beim Arzt. »Der ganze Kulturbereich fällt für mich flach«, sagt sie. Über den Verein Kulturliste Köln, der freie Plätze in Oper oder Theater kostenlos an Arme vermittelt, konnte sie ein paar Mal ins Theater. »Das war jedes Mal ein Fest!«
Heizung aus, Saunen an?
Dass sie sich gesundes Essen kaum noch leisten kann, hat Heike Towae zu Beginn der Corona-Pandemie gemerkt. Schon damals stiegen die Lebensmittelpreise deutlich. Die staatlichen Hilfen in zwei Jahren Pandemie erschöpften sich jedoch in einer Einmalzahlung über 150 Euro. »Das reichte kaum, um sich mit ausreichend FFP2-Masken zu versorgen«, sagt Heike Towae. Die Entlastungspakete im Zuge der Gas-Krise findet sie ebenso wenig hilfreich, mit einer Ausnahme: dem Neun-Euro-Ticket. »Das hat uns Freiheiten ermöglicht, die wir gar nicht mehr kannten. Und es war wichtig für unsere politische Arbeit.« Jetzt, wo das Ticket ausgelaufen ist, fürchtet Towae, dass viele nicht mehr zu den Kundgebungen fahren können.
In einem Offenen Brief an die Bundesregierung fordern Mitglieder der Bewegung neben einer Entlastung bei den Energiekosten auch eine Erhöhung der Regelsätze auf 678 Euro, eine eigene Kindergrundsicherung und die Abschaffung der Bedarfsgemeinschaft sowie aller Sanktionen. Viele Forderungen decken sich mit denen des Paritätischen Gesamtverbands. »Es mag Leute geben, die nicht arbeiten wollen«, sagt Heike Towae. »Ich persönlich kenne keine. Menschen brauchen das doch, die sozialen Kontakte durch die Arbeit, die Bestätigung.«
Das Neun-Euro-Ticket hat uns Freiheiten ermöglicht, die wir gar nicht mehr kannten
Heike Towae, #Ichbinarmutsbetroffen
Und dann ist da noch eine Sache, die ihr Sorgen macht. Einmal stieß sie bei Instagram auf ein Foto ihrer Kundgebung vorm Dom — gepostet von einer Frau aus dem Querdenker-Umfeld. Es ist nicht der einzige Versuch von Querdenkern oder Rechtsextremen, die Bewegung der Armen für ihre Zwecke einzuspannen. Neulich sei sie auf dem Heumarkt angesprochen worden: »Wir Nazis sind doch auch arm«, habe die Frau zu ihr gesagt. »Mit solchen Leuten rede ich gar nicht, das bringt nichts«, sagt Heike Towae. Doch sie sorgt sich, dass nicht alle Armutsbetroffenen sich so deutlich abgrenzen. »Es haben sowohl linke als auch rechte Gruppen einen heißen Herbst angekündigt. Ich habe keine Ahnung, in welche Richtung das gehen wird.«
Sorgen dieser Art werden derzeit häufig formuliert, auch von Menschen, deren Job es ist, sich um die Armen in Köln zu kümmern. »Ich mache mir Sorgen wegen einer gesellschaftlichen Spaltung«, sagt Peter Krücker, Leiter der Kölner Caritas. »Wenn ich mir vorstelle, dass viele Menschen die Heizung auslassen, während woanders Saunen in Betrieb sind, ist das eine soziale Schieflage«, sagt Harald Rau, Kölner Sozialdezernent. Rau befürchtet, dass die Energiearmut von verschiedenen Gruppen genutzt werde, um »demokratische Strukturen zu gefährden«. Ist das begründet?
Roncalliplatz, Anfang September. »Unser Leben muss bezahlbar bleiben« steht auf einem Banner, dahinter versammeln sich Akteure der rechten Szene: der rechtsextreme Leverkusener Anwalt Markus Beisicht, der wegen gefälschter Fotos verurteilte AfD-Politiker Theo Gottschalk aus Kerpen sowie der ehemalige AfD-Vorsitzende aus Sachsen-Anhalt, André Poggenburg, und der Leipziger Neonazi Alexander Kurth, die beide schon bei Beisichts Anti-Corona-Demonstrationen in Leverkusen zu Gast waren. Mit Elene Kolbasnikova, die bereits am 1. Mai einen pro-russischen Autokorso veranstaltete, demonstrierten sie gegen deutsche Waffenlieferungen an die Ukraine und für die Eröffnung der Gas-Pipeline Nordstream 2.
Obwohl drei Milieus angesprochen waren — klassische Rechtsextreme, Putin-freundliche Deutsch-Russen und Querdenker-Bewegung —, kamen nach Angaben der Polizei lediglich 400 Menschen. Der Aufstand gegen die Regierung existiert bislang nur in den Köpfen der Organisatoren. Aber auch linke Proteste gegen steigende Preise und Gewinne der Energiekonzerne gibt es in Köln bislang kaum. In Ostheim hat sich eine kleine Initiative gegen die Preiserhöhungen gegründet, die Linkspartei hofft, dass das kirchlich-gewerkschaftliche Bündnis »Köln stellt sich quer« den gesellschaftlichen Zusammenhalt im Angesicht der ökonomischen Krise thematisieren wird.
Aufnahmestop bei den Tafeln
Doch dass sich die Lage verschärft hat, zeigt sich in Köln deutlich — etwa an den Ausgabestellen der Tafel. Die Hilfsorganisation sammelt überschüssige Lebensmittel von Händlern und verteilt sie an Bedürftige. Noch nie kamen so viele Menschen zur Tafel wie jetzt, der NRW-Landesverband spricht von einer Verdopplung der hilfesuchenden Menschen seit 2020. An allen vierzig Ausgabestellen Kölns herrscht Aufnahmestopp, die Wartelisten sind voll. »Wir merken, dass nun auch der Mittelstand Probleme bekommt«, sagt Karin Fürhaupter, Vorsitzende der Kölner Tafel.
Ohne die Tafel wäre ich wohl schon verhungert
Gaby Sinz, Bickendorf
An einem Mittwoch im August staut sich die Hitze zwischen den Hochhäusern am Ossendorfer Weg. Hier, im Bickendorfer Westend, sitzen ältere Leute auf Klappstühlen vor dem Familientreff, trinken Kaffee und schauen zu, wie ein Helfer eine Kiste nach der anderen auf einen Klapptisch hievt. Gleich beginnt hier die Lebensmittelausgabe, die vom Verein »Aktion Nachbarschaft« koordiniert wird. Seit 2015 ist der Verein von der Stadt für die Gemeinwesenarbeit im Quartier beauftragt.
Olga Kemmet (Name geändert), blonder Pagenschnitt und weißes Sommerkleid, verstaut Obst, Gemüse, Brot und einen Strauß Lilien in ihrem Trolley. Kemmet kam 1996 als Spätaussiedlerin nach Deutschland, sie holt die Kisten für ihre Mutter und Schwester ab. Sie selbst bekommt keine Sozialleistungen. Die dreifache Mutter ist Altenpflegerin, aber seit einem Jahr an Long Covid erkrankt. Noch drei Monate bekommt sie Geld von der Krankenkasse, danach muss sie wieder arbeiten, obwohl sie noch immer unter Schmerzen, Atemnot und Müdigkeit leidet. Ob sie sich als arm bezeichnen würde? »Es hat immer gerade so gereicht. Aber jetzt sind die Lebensmittel so teuer geworden, wir können sie nicht mehr bezahlen.«
In jeder Ecke des Familientreffs stapeln sich Kisten — Lebensmittel für rund 500 Menschen, von denen viele in den vier Y-Häusern wohnen, die so heißen, weil sie von oben wie ein Y aussehen. In einem wohnt auch Izabela Trojanowska mit ihren zwei Kindern. »Es kommen jede Woche mehr Leute«, sagt die Frau mit blondem Pferdeschwanz, die jeden Mittwoch und Donnerstag die Lebensmittelausgabe regelt. »Mir bricht es das Herz, wenn ich Leuten absagen muss«, sagt Trojanowska. Dreißig Menschen stehen derzeit auf der Warteliste. »Es gibt neuerdings viele, die hungrig kommen und erst mal nach einem Stück Brot oder einer Banane fragen.« Ganz leer geht in Bickendorf niemand aus: Lebensmittel, die kurz vor dem Ablaufdatum stehen oder etwas angedrückt sind, werden in Kisten vor die Tür gestellt. Jeder kann sich bedienen, ob registriert oder nicht.
Auch Gaby Sinz (Name geändert) wird sich dann etwas aus dieser Kiste nehmen. Noch wartet sie vor dem Familientreff. »Mütter mit Kindern und die armen Flüchtlinge aus der Ukraine haben Vorrang«, sagt die 63-Jährige. »Mein letztes warmes Essen ist schon ein paar Tage her.« Dünn sei sie immer gewesen, jetzt habe sie aber nochmal sechs Kilo abgenommen. Sinz war Tierpflegerin im Kölner Zoo, bis sie krank und arbeitsunfähig wurde. Neben ihrer Rente bekomme sie monatlich knapp 100 Euro vom Sozialamt. »Früher wurde es Mitte des Monats eng, jetzt schon am Anfang«, sagt Sinz. Was sie ohne Tafel, Mittagstisch und den Verein »Aktion Nachbarschaft« machen würde? »Ich glaube, ich wäre schon verhungert.«
Insgesamt rund 95 Mrd. Euro hat die Bundesregierung an Hilfen zugesagt. Doch diese Entlastungspakete unterstützen nicht gezielt die Ärmsten. Auch Spitzenverdiener erhalten die Energiepreispauschale. Dafür wurde die Ampel-Koalition in Berlin vielfach kritisiert. »Besser als die Berücksichtigung fast sämtlicher Gesellschaftsmitglieder nach dem Gießkannenprinzp wäre eine passgenaue Unterstützung der Finanzschwachen«, sagt der Kölner Armutsforscher Christoph Butterwegge. Von den im ersten und dritten Entlastungspaket geplanten steuerpolitischen Maßnahmen, etwa Erhöhung der Pendlerpauschale und Abbau der Kalten Progression, profitierten gar vor allem Besserverdienende. »Hier wird eher nach dem Matthäus-Prinzip vorgegangen: Wer hat, dem wird gegeben«, so Butterwegge. Lediglich dem Neun-Euro-Ticket attestiert Butterwegge eine »tolle Sozialbilanz«. Ein mögliches Nachfolgeticket für 49 bis 69 Euro aber sei für Arme zu teuer, weil im Regelbedarf der Grundsicherung nur 40 Euro für Mobilität vorgesehen sind.
Eine Vervielfachung der Energiepreise wird aber nicht nur jene in Bedrängnis bringen, die schon arm sind. »Die relative Einkommensarmut wird sich in die Mitte ausbreiten«, glaubt Butterwegge. »Und zum Teil wird die relative Armut in absolute umschlagen.« Butterwegge schlägt deshalb vor, was auch der Paritätische Wohlfahrtsverband und #Ichbinarmutsbetroffen« fordern: die Regelbedarfe in der Grundsicherung und die Löhne deutlich anzuheben. Die geplante Erhöhung um rund 50 Euro zum Jahreswechsel sei viel zu gering. »Es müssten wenigstens 150 Euro mehr sein.«
Ich sehe die Gefahr, dass die hohen Energiepreise unsere Stadtgesellschaft erheblich fordern bis spalten
Harald Rau, Sozialdezernent
Auch in Köln könne man etwas tun: »Die Kommunalpolitik kann bei der Rheinenergie dafür sorgen, dass Strom-und Gassperren ausgesetzt werden.« Außerdem habe sie Einfluss auf die KVB-Preise und könne sich für Sozialtickets und -tarife einsetzen. SPD und Linke sind in Köln mit ihrer Forderung nach einem Moratorium für Strom- und Gassperren aber bereits gescheitert; und auch Kölns Sozialdezernent Harald Rau ist bei dem Mittel skeptisch: »Die Hürde für Stromsperren ist sehr hoch. Ohne dieses Instrument besteht die Gefahr von Missbrauch — durch Menschen, die zahlen könnten, es aber aus irgendwelchen Gründen nicht tun.«
»Im Moment liegt das Preisniveau auf dem Energiemarkt rund 450 Prozent über dem, was wir die vergangenen zwei Jahre gehabt haben«, sagt Christoph Preuß, Sprecher der Rheinenergie. Mit der Gas-Umlage liegt der Gaspreis des städtischen Energieversorgers ab Anfang November bei 19,2 Cent pro Kilowattstunde. Für eine durchschnittliche Kölner Wohnung mit 76 Quadratmetern sind das rund 2.050 Euro pro Jahr. »Aber wir erleben auf dem Gasmarkt noch nicht das Ende der Preisspirale«, so Preuß. Auch auf dem Strommarkt lasse sich eine Verdopplung der Preise beobachten, was dazu führe, dass der Terminmarkt — der Einkauf von Strom zu einem garantierten Preis, der dann später geliefert wird — zusammengebrochen sei. »Wir müssen deshalb am total überhitzten Spotmarkt kaufen.« Dort sind die Preise auch so hoch, weil sie nach dem Merit-Order-Prinzip gebildet werden: Sie orientieren sich am teuersten Energieträger. Das ist im Moment Gas.
Diese Preise werden an die Haushalte weitergegeben und erhöhen so das Risiko der Energiearmut. Damit ist gemeint, dass ein Haushalt zehn Prozent des Netto-Einkommens dafür aufwenden muss, die Wohnung auf 21 Grad zu heizen. Dieses Problem betrifft besonders eine Bevölkerungsgruppe: »einkommensschwache Haushalte, die keine Transferleistungen beziehen können«, wie Caritas-Chef Peter Krücker sagt. Denn für Haushalte, die Hartz IV beziehen oder aufstocken, werden die Heizkosten vom Jobcenter übernommen — jedoch nicht die Stromkosten. Deutlich wird das Problem ab dem Frühjahr werden, wenn die Nachzahlungen der Nebenkosten fällig sind.
200.000 Kölner könnten in Not geraten
Wie groß wird das Problem in Köln werden? »Wir wissen nicht, wie viele Menschen in Köln durch die Preissteigerungen in finanzielle Not geraten«, sagt Sozialdezernent Harald Rau. Gefährdet sind jedoch viele. Eine grobe Rechnung: Etwa 400.000 Menschen in Köln verdienen laut Sozialdezernat so wenig, dass sie Anspruch auf einen Wohnberechtigungsschein haben. Bei einer Vervielfachung der Energiepreise dürfte die Hälfte von ihnen in wirtschaftliche Not geraten, also ungefähr 200.000 Menschen. »Die Dimension ist mir wichtig«, sagt Rau. »Wir sprechen von einer sechsstelligen Zahl an Menschen.« Haben sie Ersparnisse? Rutschen sie in die Armut ab? Vieles hängt davon ab, wie sich die Hilfen der Bundesregierung auswirken werden. Linke und SPD in Köln haben nun eine Anfrage gestellt, ob eine hohe Heizkostennachzahlung nicht eventuell dazu berechtigt, Sozialleistungen in Anspruch zu nehmen. Eine Antwort der Verwaltung stand bei Redaktionsschluss noch aus.
Sozialdezernent Rau sieht die Gefahr, dass die hohen Energiepreise »unsere Stadtgesellschaft erheblich fordern bis spalten.« Der Krisenstab der Stadt beschäftigt sich derzeit viel mit einer möglichen Energiemangel-Lage — und zunehmender Not durch die steigenden Preise. »Je mehr Krisen, je mehr wirtschaftliche Not auf Menschen zukommen, desto vulnerabler werden ihre persönlichen Systeme. Und dann ist auch die Gefahr größer, die Wohnung zu verlieren«, sagt Rau. Kölns Notunterkünfte, die Wohnungslosen eine Schlafstelle bieten, sind aber bereits jetzt vollständig belegt.
Das dritte Entlastungspaket sieht auch eine Reform des Wohngelds vor. Künftig sollen mehr Menschen Anspruch darauf haben, und es sollen auch Heizkosten darin enthalten sein — in welchem Maße, steht noch nicht fest. Auch die bisherigen Empfänger sollen im Herbst einen einmaligen Zuschuss zu den Heizkosten erhalten. Die weitere Maßnahme des Entlastungspakets ist ein Strompreisdeckel für einen Grundbedarf, voraussichtlich 30 Cent pro Kilowattstunde für drei Viertel des Durchschnittsverbrauchs. Doch noch tun sich in Köln viele schwer, zu einer Einschätzung des Entlastungspakets zu kommen. »Die entsprechenden Verordnungen werden erst noch geschrieben«, sagt Daniel Bauer-Dahm (Grüne), Vorsitzender des Sozialausschusses.
Ratsfraktionen mit Ausnahme der AfD, 500.000 Euro zur Verfügung zu stellen, um die kommunalen Beratungsangebote zum Thema Energiekosten zu verbessern. »Darauf können sich Initiativen bewerben«, sagt Bauer-Dahm. Das Geld solle auch Menschen helfen, denen wegen der Energiekosten Überschuldung drohe. Der Grünen-Politiker hofft, dass sich auch kleine Initiativen bewerben. »Wir wollen damit auch Communitys ansprechen, die wir im Moment noch nicht erreichen«, so Dîlan Yazicioglu, migrationspolitische Sprecherin der Grünen. Mehrsprachige Broschüren und Websites sollen helfen.
Das Problem ist, wenn die Bürgerlichen sich zurückziehen und auch sparen. Deshalb muss man die gut behandeln!
Pfarrer Franz Meurer, Höhenberg /Vingst
Die Rheinenergie will ihre Kunden mit einem eigenen Hilfsfonds unterstützen. Dafür stellt der Stromanbieter eine Million Euro zur Verfügung — eine Summe, die schnell aufgebraucht sein dürfte. Das Angebot richte sich besonders an jene, die keine Transferleistungen beziehen, sagt Rheinenergie-Sprecher Christoph Preuß. Sie können bis zu 500 Euro erhalten, müssen aber ihr Einkommen offenlegen.
Sorge um die »Leute im Maschinenraum«
Eines der ärmsten Viertel der Stadt ist Höhenberg/Vingst, das Gebiet der Kirchengemeinde St. Elisabeth und St. Theodor. Deren Pfarrer Franz Meurer ist 75 Jahre alt und quickfidel, wenn man mit ihm sprechen will, gibt er bereitwillig Auskunft, ruft aber immer wieder auch Leute herbei: »Hier, Du kannst auch mal was erzählen, nicht nur ich! Komm mal!« Menschen einzubinden, ist Meurers Erfolgsstrategie. »Wir versuchen hier so viel Eigenverantwortung wie möglich«, sagt er. »Urkommunistisch und basisdemokratisch — ja, find ich gut.« Im Christentum gehe es vor allem um die Gemeinschaft und das Engagement für andere. Andere Pfarrer klagen, ihre Kirche sei leer und es gebe zu wenig Engagierte. Meurer kennt diese Probleme nicht. »Alle sind willkommen«, sagt er. »Aber die müssen auch was tun.«
In der Lebensmittelausgabe, aber auch in der Kinderkleiderkammer von St. Theodor ist der Andrang größer geworden. »Die Eltern kommen jetzt häufiger, weil sie weniger Geld haben«, erzählt Renate Wesierski, Leiterin des Teams. »Die Menschen brauchen alles, Schuhe, Unterwäsche, Jacken, Decken. Jeden dritten Monat vergeben wir einen Termin, aber jetzt kommen sie schon zwischendurch.«
Die Situation habe sich verschärft, auch wegen der Flüchtlinge aus der Ukraine. Von diesen wiederum hört man dann auch mal Ungewohntes zur Krise. Eine Ukrainerin sagt, sie glaube nicht, dass all die Menschen, die etwa zur Lebensmittelausgabe kommen, wirklich arm seien. Sie habe Armut erlebt, das sei etwas anderes. Für sie gebe es hier keine armen Menschen.
Durch das besondere Engagement in Höhenberg und Vingst können viele Probleme abgefedert werden. Aber was, wenn jetzt immer mehr Menschen die steigenden Preise nicht mehr zahlen können? Ob das System, das all die Ehrenamtlichen der Kirchengemeinde, unterstützt von Spenden, aufgebaut haben, auch dann noch trägt? »Erst mal muss man versuchen, gute Stimmung zu machen und unseren Standard zu halten«, sagt Pfarrer Meurer. »Das Problem ist, wenn die Bürgerlichen sich zurückziehen und auch sparen. Deshalb muss man die gut behandeln!«, so Meurer. Dazu gehören dann auch handschriftliche Briefe des Pfarrers oder auch ein Glas selbstgemachtes Apfelmus.
Natürlich müsse das Problem der drohenden Armut auch vom Staat gelöst werden, sagt Meurer. »Das Hauptproblem werden die sein, die noch nicht von Transferleistungen leben, aber es jetzt nicht mehr schaffen. Die Leute im Maschinenraum — in Frankreich sind die als Gelbwesten auf die Straße gegangen.« Für den gesellschaftlichen Zusammenhalt sei es die größte Gefahr, wenn diese Menschen jetzt merkten, dass sie mit ihren Kindern nicht mehr so oft in den Imbiss gehen oder ihnen Geschenke kaufen können.
Pfarrer Meurer unterstützt auch die Kölner Gruppe von #Ich bin armutsbetroffen, er hat schon auf ihren Kundgebungen geredet. Doch bedenkt man das Ausmaß der Preissteigerungen und die Lage bei den Tafeln, wundert man sich über den mäßigen Zulauf bei den Demos ihrer Gruppe. Heike Towae, die Organisatorin, glaubt zu wissen, wie es für diejenigen ist, die sich bisher immer durchwurschteln konnten, aber jetzt in die Armut rutschen. »Wenn du da neu reingerätst, fällt es schwer zu akzeptieren, dass du einfach nicht mehr weiterkommst, obwohl du dich abstrampelst.« Pfarrer Meurer sieht das ähnlich. »Man darf nicht glauben, dass die Betroffenen sich selbst sofort organisieren. Bis man das Bewusstsein hat, dass es jetzt eng wird, obwohl man sich anstrengt — das dauert.«