Manches wirkt wie im Traum: Sheila Vand als Simin

Land of Dreams

Die iranische Regisseurin Shirin Neshat schickt eine Traumfängerin durch Amerika

Der Traum eines reichen amerikanischen Vorstadt-Ehepaars in einer unbestimmten Zukunft: Beide tragen VR-Brillen, man ist gemeinsam einsam. Die Frau, gespielt von Anna Gunn (Walter Whites Gattin in »Breaking Bad«), feilt sich wie eine Karnevalsversion von Marilyn Monroe auf dem Sofa die Nägel und singt dabei John F. Kennedy ein Geburtstagsständchen. Daneben steht ihr Mann (Christopher McDonald) und spielt imaginär Golf. Bis plötzlich beide aus ihren virtuellen Welten gerissen werden: Simin (Sheila Vand), eine Mitarbeiterin der »Zensurbehörde«, klingelt an der realen Tür und will wissen, was die beiden zuletzt geträumt hätten. »Es geht um Ihre Sicherheit«.


Das Satirische in »Land of Dreams« wird von Anfang an von einer schwelenden, David-Lynch-haften Unsicherheit unterfüttert und gerahmt. Denn was es genau mit dem Zusammenhang von Traum und nationaler oder persönlicher Sicherheit auf sich hat, wird nicht geklärt, jedenfalls nicht im Sinne einer abstrus-konzisen Verschwörungstheorie. Die seit ihrem 17. Lebensjahr in New York lebende, im Iran geborene Künstlerin und Regisseurin Shirin Neshat hatte »Land of Dreams« bereits 2021 als Foto- und Videoprojekt vorgestellt, das Drehbuch des in Venedig gezeigten Spielfilms schrieb ihr Co-Regisseur Shoja Azari zusammen mit dem 2021 verstorbenen Jean-Claude Carrière, der unter anderem für Luis Buñuel arbeitete.


Wie in ihren vorherigen Filmen »Women without Men« (2009) und »Auf der Suche nach Oum Kulthum« (2017) errichtet Neshat eine Parallelwelt, die sich mit der realen verschränkt. Nur dass diesmal die Grenze schwindet, die ein einzelnes Land oder eine bestimmte Gruppe als kritikwürdig oder schutzbedürftig definiert. Der gleißende Horizont, immer wieder grandios inszeniert, und seine staubigen, einsamen Straßen liegen in den USA und zugleich im Iran. Es ist eine Kino- und Seelenlandschaft, in der die wortkarge Simin arbeitet.


Stellt sie ihre Arbeit insgeheim in Frage? Um den real existierenden American Dream einzusammeln, klopft sie an den Türen von Indigenen, die nichts sagen wollen. Besucht Weiße, die sich abfällig über sie als vermeintliche »Araberin« auslassen. Ein von Krähen umschwärmter schwarzer Künstler zeichnet die Traumata der Sklaverei. Eine »Kolonie« betagter iranischer Revolutionskämpfer hat eine geheime Botschaft für sie. Simin macht jedes Mal »nur ihren Job«. Nach Feierabend allerdings schlüpft sie in die Rollen mancher der Befragten, kostümiert sich sorgfältig, spricht die Traumerzählung in Farsi nach und lädt die Videos in ihrem Social-Media-Account hoch. Wozu?


Man muss sich die vignettenhaften Teile des Films schon selbst zusammenbauen. Wenn Simin selbst träumt, sieht sie ihren Vater wie tot in der Wüste liegen. Er wurde einst im Iran hingerichtet. Sein Bild sucht, findet und verliert sie, die Bildproduzentin, immer wieder. Simin zur Seite stehen zwei Männer wie aus dem kollektiven filmgeschichtlichen Unterbewusstsein gecastet: Matt Dillon als cowboyhafter Bodyguard, und William Moseley als blitzverliebter Dichter und manischer Spaziergänger, der wie durch Superkräfte überall gleichzeitig auftauchen kann. Beide heften sich an die Fersen der Traumfängerin, sie erträgt es mit Humor, Ungeduld und Furchtlosigkeit.


»Land of Dreams« ist ein visuell prachtvoller Film über Bilder und ihre psychische und datenmäßige Verarbeitung und Verfügbarmachung. Das tröstet über seine gesellschaftskritische Seichtheit hinweg. Neshat und Azari formulieren keine Thesen über den Überwachungsstaat, über Migrationsgeschichte(n) und Traumata der Entwurzelung. Sie lassen stattdessen den Film selbst traumlogisch flimmern und unbehaust schweifen, etwa wenn Anna Gunn als Chefin Nancy wieder auftaucht und der Golf spielende Gatte als radikaler Prediger. Spiegelnde Fenster wirken wie Doppelbelichtungen, und Erzählungen rufen Geistererscheinungen hervor, »die Anderen« sind dann wirklich im Raum. Die Grenze zwischen Realität und Traum sei sehr dünn, diese Binsenweisheit gibt die Chefin tatsächlich einmal zum Besten. Wie im Traum wirkt in »Land of Dreams« manches bedeutsamer, als es bei Licht betrachtet ist, und vieles am reichhaltigsten, wenn es am wenigsten auserzählt wird.

 
USA / D 2021, R: Shirin Neshat,
D: Sheila Vand, Matt Dillon,
William Moseley, 118 Min., Start: 3.11.