»Wir warten nicht auf den großen Wurf!«
In Köln gründen sich immer mehr Initiativen, die sich für ein besseres Leben in ihrem Veedel einsetzen. Sie wollen mehr Grün in ihrer Straße, weniger Autoverkehr, mehr Aufenthaltsqualität. Doch ihre Ideen stoßen vor Ort oft auf heftigen Widerstand — und auf einen Verwaltungsapparat, der mit der Tatkraft der Engagierten nicht Schritt halten kann. Reinhold Goss kennt das aus eigener Erfahrung
In meinem Bücherregal stehen zwei dicke Wälzer neben einem sehr dünnen Buch. Der eine heißt: »Die Stadt, das Land, Die Welt verändern!« Er beschreibt die Initiativen der 70er und 80er Jahre Kölns. Diese, so Günter Wallraff im Vorwort, hätten sehr erfolgreich das NS-vermiefte Köln durchlüftet, Machtgeflechte offengelegt und Strippenzieher entlarvt. Die Herausgeber:innen betrachten diese Rückschau gleichzeitig als eine Gebrauchsanweisung für neue Initiativen.
Auf dem zweiten Umschlag stechen die Wörter »Zukunft Werk Stadt« ins Auge. Es geht hier um die Vision, wie aus dem Areal der ersten Gasmotorenfabrik der Welt, dem Otto-Langen-Quartier, ein besonderer »Bewegnungsort« werden kann, nein, muss (wie ich finde). Die Kraft der Kunst soll dabei der Transmissionsriemen sein und nicht etwa der finanzielle Profit von Projektentwickler:innen — die Macher:innen von Raum 13 bezeichnen ihr Projekt übrigens als andauerndes Reallabor.
Das Büchlein wird mit dem Zitat »Visionen brauchen Fahrpläne« eingeleitet. Der Autor Jürgen Wiebicke zeigt in seinen »Zehn Regeln für Demokratie-Retter«, dass — bei allen Ohnmachtsgefühlen aufgrund der Weltlage und des Klimawandels — die Stadt oder das Veedel genau der Raum sind, an dem unmittelbar erfahren werden kann, dass Dinge tatsächlich zu beeinflussen sind. Die zehn Regeln sind wesentliche, sehr mutmachende Tipps, mit der eine Einflussnahme gelingen kann.
Initiativen operieren ehrenamtlich und mit flachen Hierarchien. Ist die Hürde »Politik« genommen, stoßen sie auf ein System, das diametral entgegengesetzt funktioniert
Aber mit Fahrplänen ist das so eine Sache. Die Vorstellung davon, in welcher Zeit das gemeinsam erarbeitete Ziel umgesetzt werden kann, wenn man dann am Tisch mit Politik und Verwaltung sitzt, weckt schnell Erinnerung an Becketts »Warten auf Godot«. Denn der politische Beschluss, den eine Initiative erreicht, ist zunächst einmal nur das Ticket für einen Zug, für den jetzt noch ein Gleis und die Abfahrtszeit festgelegt werden müssen. Und das führt nicht selten zu einem Problem: Während Initiativen ehrenamtlich und mit flachen Hierarchien operieren, stoßen sie, wenn die Hürde »Politik« genommen wurde, auf ein System, das diametral entgegengesetzt funktioniert. Die (Kölner) Stadtverwaltung ist ein komplexer Organismus, der kaskadierend meist von oben regiert wird und dessen Umsetzungshorizonte oftmals weit von dem entfernt liegen, was Bürger:innen als vertretbar ansehen. Wiebickes Buch fehlt also ein elftes Kapitel: »Erfolg braucht einen langen Atem«. Wobei es mit dem besonderen Kapitel »Verbinde Gelassenheit mit Leidenschaft« endet.
Gelassenheit und Leidenschaft scheint offensichtlich den Kölner:innen eigen und lässt sie gar nicht davon abbringen, Initiativen und Vereine zu gründen — Köln ist von einer unglaublichen Vielfalt derartiger Zusammenschlüsse geprägt. Schaut man genauer hin, findet man dafür unerwartete Beispiele, ohne die unsere Stadt gar nicht funktionieren würde. Sebastian Tautkus stellte in dem Podcast »Ohrenblut« unlängst die Ultra-Fangruppe Coloniacs vor, die u.a. mit ihren Engagement in der Flutkatastrophe sehr berührte.
Das Credo ›die Politik denkt und die Verwaltung lenkt‹ ist eindeutig überholt. Unsere Gesellschaft muss sich zu einer Bürger:innengesellschaft entwickeln
Leider zeigen die aktuellen Krisen so deutlich wie nie zuvor: Nix bliev wie et wor. Und die Zeiten der langsamen, absehbaren Veränderungen sind vorbei. Deswegen und um den Zusammenhalt wie das Zusammenleben weiterhin gut zu organisieren, brauchen wir neue, effiziente Strukturen, die die Bürger:innen eindeutig in den Mittelpunkt stellen. Das Credo »die Politik denkt und die Verwaltung lenkt« ist eindeutig überholt, alle demokratischen Parteien benennen dies auch in ihren Programmen: Unsere Gesellschaft muss sich zu einer Bürger:innengesellschaft entwickeln.
Damit dies gelingt, brauchen wir ein klares Bekenntnis, Förderung und Wertschätzung von Initiativen und Gruppierungen. Gleichzeitig müssen Strukturen innerhalb der Verwaltung implementiert werden, die die Selbstbestimmung und Autonomie von Bürger:innen stärken. Es braucht Räume, um dies zu erproben, sprich: Reallabore. Es braucht Zutrauen und Geld! Ohne einen Bürger:innenhaushalt, der diesen Namen verdient, bleiben alle Beteuerungen letztendlich nur rückwärtsgewandte Lippenbekenntnisse.
Natürlich verweilen wir jetzt nicht bis zum Eintritt besserer Bedingungen in Schockstarre. Das wäre mehr als widersprüchlich, steckt doch der Beginn, das Anfangen in dem lateinischen Wortes initium. Die Spontis der 70er brachten es — ein wenig martialisch — mit »Wer kämpft, kann verlieren. Wer nicht kämpft, hat schon verloren« auf den Punkt. Ins Heute übersetzt, heißt es etwas vermittelnder: »Warte nicht auf den großen Wurf! Alle Veränderung beginnt mit dem ersten Schritt.«
Berührungsängste vor Parteien des demokratischen Spektrums sind wirklich unbegründet
Aber wer losläuft, möchte auch ankommen. Und da drängt sich die Frage auf, was denn grundlegend hilft, eine Vision in die Realität zu überführen? Die Erfolgschancen steigen, wenn diese Vision breit »unters Volk« gebracht wird: Keine der relevanten Gruppen sollte hier außen vor bleiben — und Berührungsängste vor Parteien des demokratischen Spektrums sind wirklich unbegründet. Sehr wichtig ist übrigens der unmittelbare Austausch mit den Jugendorganisationen. Am besten lässt man sich von den jeweiligen Gruppierung einladen und stellt die Planungen und angestoßenen Prozesse vor.
Wer so den Austausch gestaltet, schärft nebenher nicht nur die eigenen Argumentationsketten und macht gute PR für die gute Sache, sondern richtet die Beteiligungsmöglichkeiten eben auch horizontal gut aus, ganz im Sinne einer breiten Partizipation. Das sichert nachhaltig bereits Erreichtes ab, selbst dann, wenn politische Kräfte den Rückwärtsgang einlegen — wie gerade die Kölner CDU in Sachen Verkehrswende. Wohlan!
Der Text ist ein Teil unseres aktuellen Titelthemas »So geht's besser – Wie Initiativen Köln lebenswerter machen«. Wir waren in Deutz, Kalk und in der Südstadt und haben dort Initiativen nach Problemen und Erfolgsrezepten gefragt. Lest den ganzen Titel in der Print-Ausgabe der Stadtrevue Dezember.