Ironie als Waffe
Grégory Pierrot mochte Portland gerne. Die Stadt im Nordwesten der USA gilt als eine der lebenswertesten Städte des Landes: Yogakurse, Bioläden, Geschäfte für Platten und Bücher, viele Lesungen und Konzerte und eine Bevölkerung, die stolz auf ihre Toleranz ist — fast ein wenig wie in Ehrenfeld, Nippes oder der Südstadt. Aber je länger Pierrot in Portland war, desto mehr fiel ihm eine Tatsache unangenehm auf: Oft war er der einzige Schwarze im Raum.
Mit dieser Geschichte beginnt der französischstämmige Literaturdozent aus Connecticut seinen Essay »Dekolonisiert den Hipster«. Wobei »Hipster« dabei mehr meint als junge, bärtige Männer mit Skinny Jeans, Baseball-Kappe und einer sorgsam kuratierten Wohnungseinrichtung. Was für Pierrot auf dem Prüfstand steht, ist eine Lebenseinstellung: offen zu sein für neue Erfahrungen, für neue Musik, Literatur oder Serien. Und gleichzeitig die eigene Individualität ausleben zu können; Trends zu setzen anstatt ihnen hinterherzulaufen. Die Hipster scheinen kulturell immer woanders zu stehen als dort, wo man sie erwartet, ihre Grundhaltung ist Ironie. Nur politisch sind sie meistens leicht zu beschreiben: als linksliberal. Sie mögen individuelle Freiheitsrechte und damit implizit oft auch keinen Rassismus, Sexismus und Queerfeindlichkeit — selbst wenn sie das nie so äußern würden. Bekenntnisse sind zu uncool. Und ökonomisch ziehen sie kleine, lokale Firmen den Großkonzernen vor. »Ein gewisses Bewusstsein haben die meisten Hipster«, sagt Grégory Pierrot, »aber auf mich wirkt das wie ein Vorwand, hinter dem alte Praktiken der Vorherrschaft und des Kolonialismus betrieben oder sogar erneuert werden«.
Der Grund ist, was in dieser Aufzählung fehlt: ihre materielle Stellung in der Gesellschaft. Hipster sind die Subkultur der Ober- und Mittelschicht. Und als solche haben sie eine ökonomische Macht, die auch dann nicht verschwindet, wenn man sie im Modus der Ironie verhandelt. »In vielen Stadtvierteln können wir ein sehr konkretes, koloniales Element des Hipstertums entdecken«, sagt Grégory Pierrot. »Hipstertum und Gentrifizierung gehen einher: Es ist eine physische Übernahme von Orten, die vorher von der Arbeiterklasse oder Migranten bewohnt wurden.« Das gilt für viele Stadtviertel: Brooklyn in New York, Hackney in Ost-London oder auch für Ehrenfeld. Dass sich die meisten Zugezogenen selbst als antirassistisch und mit sozialem Bewusstsein ausgestattet verstehen, ist dafür unerheblich.
Aber Pierrot reduziert kulturelle Prozesse nicht auf ihre materielle Basis. Schließlich hat er verstanden, dass der Kolonialismus zwar die Unterwerfung von Land und Arbeit unter ein kapitalistisches Regime ist, die Unterworfenen jedoch nicht einfach so darin aufgehen, sondern Formen des Widerstands entwickeln, die sozial und damit auch kulturell sind — so wie die ersten Hipster.
In den 50er Jahren bezeichnete der Begriff »Hipster« eine Gruppe von Schwarzen Jazz-Fans. Sie haben mit Fashion und Slang gespielt, und zwar so, dass es für Außenstehende kaum zu erkennen war. Ihr Auftreten war ironisch uneindeutig und oft eine Parodie des »guten Geschmacks«, der damals noch recht eindeutig der der Weißen Mittelschicht war. Als »Signifyin‘« bezeichnet Pierrot diese Art von Ironie und stellt sie in eine lange Tradition der Uneindeutigkeit, mit der sich Schwarze Menschen rassistischen Fremdzuschreibungen widersetzt haben — erst in der Sklaverei, dann als doppelt freie Lohnarbeiter*innen.
Als die Hipster in den Nullerjahren zur dominanten Jugendkultur wurden, blieb davon nicht viel übrig. Im Vice Magazine, dem gehassten und deshalb viel gelesenen Leitmedium aller Hipster, waren regelmäßig rassistische Stereotypen und Ausdrücke zu lesen. Klar, das war alles nur »ironisch«, und wer das problematisierte, ein politisch korrekter Spießer. Aber Pierrot entdeckt die gleiche Rhetorik ein paar Jahre später nicht mehr in hippen Clubs, sondern bei den Wahlkampfveranstaltungen der Trump-Kampagne, bei der die gleichen rassistischen Sprüche geklopft wurden. Einer der Gründer von Vice, Gavin McInnes, hat dann 2016 die rechte Organisation »Proud Boys« ins Leben gerufen, die auch am Sturm auf das Kapitol im Januar 2021 beteiligt war. »Die mächtigsten Länder der Welt und viele weitere werden von Autokraten regiert, hinter denen Idiotentruppen stehen, die bewiesen haben, dass sie mit zwei der gefährlichsten kulturellen Waffen umgehen können: Mode und Ironie«, schreibt Pierrot.
Hipstertum und Gentrifizierung gehen einher: Es ist eine physische Übernahme von Orten, die vorher von der Arbeiterklasse oder Migranten bewohnt wurden
Grégory Pierrot
In Pierrots konzisem Essay gibt es dennoch eine große Auslassung: die Literatur und ihren Betrieb. Dort ließen sich ähnliche Schlüsse ziehen. Die hübschen Brownstones von Brooklyn, die in den frühen Filmen von Spike Lee noch die Heimat einer multiethnischen Arbeiterklasse waren, wurden seit Mitte der 90er Jahre zur Heimat der literarischen Boheme — und ihre Häuser zu begehrten Anlageobjekten. Literatur-Superstar Jonathan Safran Foer konnte seines 2018 mit einem Gewinn von mehr als vier Millionen Dollar verkaufen.
Auch literarisch stellt sich die Frage, welche Rolle es spielt, wer wie welche Geschichte erzählt. Schließlich ist die Neuerzählung kanonischer Geschichten aus der Perspektive der Marginalisierten ein Standard postkolonialer Literatur — egal ob Jean Rhys in »Wide Sargasso Sea« den Roman »Jane Eyre« um die Geschichte von Mr Rutherfords erster Ehefrau aus Jamaika erweitert oder J.M.Coetzee in »Foe« den Robinson-Mythos dekonstruiert. In gewisser Weise macht Pierrot mit »Dekolonisiert den Hipster« dasselbe: Er stellt einer dominanten weißen Kultur eine andere Geschichte entgegen.
Für ihn liegt das Versprechen jedoch in der Popkultur. Grégory Pierrot nennt »Afro-Punk« als positives Beispiel, ein Festival das in den Nullerjahren für Schwarze Punk- und Hardcore-Bands wie TV on the Radio entstanden ist. Afro-Punk hat seine Ursprünge in einem Dokumentarfilm über Schwarze Musiker*innen, der auf Punk-Konzerten in den USA gezeigt wurde. 2005 führte dies zum ersten Afro-Punk-Festival in New York, auf dem nur Schwarze Musiker*innen aufgetreten sind. Das Afro-Punk-Festival findet seitdem regelmäßig statt und erreicht mittlerweile auch ein weißes Publikum — auch jenseits der Punkszene. Und damit taucht dann wieder das Problem auf: Ein Festival, das als Raum für Schwarze Punk- und Hardcore-Fans entstanden ist, muss sich jetzt dagegen wehren, von seinem weißen Publikum vereinnahmt zu werden, das wenig Interesse an den gesellschaftlichen Konflikten zeigt, die zur Gründung von Afropunk geführt haben. Ein Happy End gibt es auf der postkolonialen Musikbühne ebensowenig wie in der Literatur. Aber dank »Dekolonisiert den Hipster« gibt es jetzt zumindest Begriffe, mit denen man über diesen Konflikt sprechen kann.
Grégory Pierrot: »Dekolonisiert den Hipster«, Edition Nautilus, 136 Seiten, 18 Euro