Gleich klopft der große Fame an: Julia Hingst; © Joshua Hoffmann

Pop, pop, pop muzik

Unter dem kuriosen Namen stud.mp3 nimmt Julia Hingst den Mainstream ins Visier

Natürlich gibt es sie auch heute noch — die Vertreter der reinen Jazz-, Indie- oder Avantgarde-Lehre, die beim Stichwort »Pop« despektierlich die Nase rümpfen. Auf der anderen Seite genießen Platin-veredelte Mainstream-Phänomene wie Taylor Swift und Billie Eilish, die eigentlich primär eine sehr junge Zielgruppe im Visier haben, einen immens hohen Status im Feuilleton oder bei geschmacksicheren Musikgourmets. Die machen sich bewusst locker und wollen zeigen, dass der Puls der Zeit nicht gänzlich an ihnen vorbeiklopft.

Pop im Sinne einer größtmöglichen Zugänglichkeit — also ohne vermeintlich coole Abgrenzungscodes — macht auch die 25-jährige Kölner Musikerin Julia Hingst, die in den vergangenen beiden Jahren eine Reihe höchstcharmanter Songs veröffentlichte und nun mit »Hungry And Sad« eine 5-Track EP in den digitalen Umlauf gebracht hat, bei der man sich nicht wundern würde, wenn demnächst der große Fame anklopft.

Aber beginnen wir doch mit dem Namen: stud.mp3 hat die in Ehrenfeld wohnende Porzerin ihr Projekt getauft. Eine Schnapsidee, wie sie im Interview erzählt: »Mein Nachname ist Hingst, das ist Schwedisch für Hengst, ich dachte, das ist schon ein bisschen funny, wenn ich mich Deckhengst nennen würde. Aber ich habe nach einer Weile gemerkt, dass man meinen Namen bei Spotify nicht findet, da kommen nur Study-Playlists, dann hab ich da noch so ein .mp3 drangehängt.«

Man merkt sehr schnell: Auch wenn Julia es ernst meint mit dem Pop, ist der Humor doch ein wesentlicher Bestandteil ihrer künstlerischen Persönlichkeit: In den bei YouTube einzusehenden Promo-Clips zur EP inszeniert sie sich gekonnt als leicht behämmerter Möchtegern-Star kurz vor dem Nervenzusammenbruch, neben der Musik ist sie zudem als Comedy-Autorin fürs Fernsehen tätig.

Der Weg zum Pop führte für sie über Umwege: »Ich komme eigentlich aus dem Jazz, hab in einer Bigband gesungen, dann ein bisschen Neo-Soul gemacht, hab mir dann aber eingestanden, dass ich gerne Pop höre«, führt sie aus. »Wenn man viel mit Jazzern zu tun hat, kommt oft die Meinung, das sei alles viel zu einfach und für dumme Menschen, aber ich habe gemerkt, dass ich mich trauen muss, dazu zu stehen. Dann habe ich mit Tim Bücher einen Produzenten gefunden, der das Gleiche durchmacht, an der Folkwang in Essen studiert hat, aber auch Katy Perry hört.«

Als weiterer Kooperationspartner kam der Produzent Nicolai Brandenburger hinzu — und mit vereinten Kräften wurde »Hungry And Sad« auf den Weg gebracht. Eine kreative Formel haben sie dabei nicht befolgt: »Es gibt Songs, die ich auf dem Klavier geschrieben habe und die von meinen Produzenten modelliert wurden, dann gibt es einen, da hatte der Kollege den Beat schon, und ich hab in zehn Minuten den Song drauf geschrieben, und dann einen, den haben wir zusammen geschrieben mit der Vorgabe, dass es so poppunk-mäßig klingen soll wie Olivia Rodrigo.«

Natürlich gibt es auch für Julia den schmalen Grad zwischen gutem und schlechtem Mainstream-Pop: »Ich feier total solche sad-banger-mäßigen Sachen, wenn man im Text noch leicht mitspürt, dass nicht alles Party und Trinken ist, sondern dass da ein kleiner Bruch drin ist und sich drei Leute einen Gedanken mehr gemacht haben.« Genau diese kleinen Brüche sind es, die die Musik von stud.mp3 so interessant machen — wenn zum Beispiel im Song »Intellect« einfach mal die Geschlechter-Stereotype auf den Kopf gestellt werden: »You just want my intellect, you don’t want my body, babe, you can’t have just my brain, I’m a novel, not a story«.

Gesanglich und in Sachen Erscheinungsbild würde stud.mp3 alles mitbringen, um auch bei einer Casting-Show wie Voice of Germany (eine der wenigen Möglichkeiten, heutzutage abseits von Netz-Algorithmen noch eine große mediale Aufmerksamkeit zu erhalten) ganz vorne zu landen. Doch dieser Weg ist für sie keine Option: »Ich arbeite ja beim Fernsehen, ich weiß, wie scheiße das ist. Ich habe auch diese Ambition nicht, dass mich unbedingt ganz viele Leute sehen müssen. Ich mach das, weil ich Bock drauf habe, deshalb bin ich dankbar, dass ich mich nicht musikalisch an ein Publikum anpassen und gucken muss, was der Markt gerade möchte.«

Das ist vielleicht der entscheidende Punkt: Guter Pop, egal ob schräg oder slick, ist immer ein Ausdruck von Selbstermächtigung. Wir sind gespannt, welche Tore sich für stud.mp3 noch öffnen werden.

Tonträger: »Hungry And Sad« ist bereits digital erschienen

stadtrevue präsentiert
Konzert: 28.12. im Rahmen des Indie.Cologne.Fest, Subway