Tiefe Gräben
Gerade erst hatte das Stück »Vögel« des libanesisch-kanadischen Dramatikers Wajdi Mouawad in München Premiere — dann wurde es wieder vom Spielplan des dortigen Metropol Theaters genommen. »Um weitere Gräben in der Gesellschaft zu verhindern und um ein klares Zeichen gegen Antisemitismus zu setzen«, wie Jochen Schölch, Leiter des Hauses, in einer Pressemitteilung schrieb. Der Grund: Jüdische Studierendenverbände hatten das seit 2017 hundertfach an verschiedenen internationalen Theaterhäusern gespielte Stück als antisemitisch kritisiert. In einem offenen Brief vom 11. November schrieben sie, es mache »Holocaust-Relativierung sowie israelbezogenen Antisemitismus salonfähig«. Doch dazu gleich mehr.
Wajdi Mouawad erzählt in »Vögel« eine jüdische Familiengeschichte und von einer Liebesbeziehung zwischen dem Sohn dieser Familie, der sich in eine Muslima verliebt — unglücklich, weil seine Eltern diese Verbindung nicht akzeptieren wollen. 2017 wurde »Vögel« in Paris uraufgeführt, 2018 in Tel Aviv. Die israelische Presse war begeistert, vor allem von der Zusammenarbeit von arabischen und jüdisch-israelischen Schauspieler*innen und von der Mehrsprachigkeit des Stückes. »Was mich zutiefst beeindruckt hat, war der Versuch von Wajdi Mouawad, den Schmerz und das Leiden des Feindes zu verstehen«, sagte damals Eli Bijaoui, der das Stück ins Hebräische übersetzte, der Zeitung Haaretz.
Worin besteht die jetzt geäußerte Kritik? In dem Offenen Brief, ein zehnseitiger Karusselpost im Instagramfeed des Verbands jüdischer Studenten in Bayern, ist zu lesen: Holocaust-Relativierung finde statt, etwa weil der jüdische Enkelsohn von seinem Großvater verlange, nicht alles mit »seinem Scheiß KZ« zu vergleichen, oder weil die Großmutter bedaure, dass dieser nicht im KZ gestorben sei, denn »dann würde sie ihn jetzt nicht mehr ertragen müssen.« Israelbezogener Antisemitismus, weil israelische Soldat*innen zu »den neuen Nazis« stilisiert würden und Warteschlangen am Flughafen in Tel Aviv vom Großvater kommentiert würden mit »Stecken sie uns jetzt in den Ofen?«
Das Metropol Theater hat auch eine Sonderveranstaltung abgesagt, weil sie »in der derzeit erhitzten Atmosphäre nicht möglich und nicht konstruktiv« erschien. Fällt das Theater unter der Kritik in sich zusammen? Schade, denn es sollte doch eigentlich die Auseinandersetzung und den Austausch nicht scheuen. Am Schauspiel Köln zeigte man das Stück kurzfristig am 4. Dezember im Stream.