Othello ohne Brille
Wie kann man einen Stoff »dekolonisieren«, dessen Hauptfigur als schwarzer, wilder Mörder auftritt? Das Drama »Othello«, in dem ein schwarzer General seine weiße Frau Desdemona aus Eifersucht umbringt, scheint durchdrungen von rassistischen Klischees, obwohl Shakespeare vor rund 400 Jahren vermutlich sogar dagegen anschrieb. Doch die weiße Brille lässt sich nicht so einfach abnehmen. Die südafrikanische Regisseurin Lara Foot versucht allerdings genau das: einen neuen Blick auf das alte, schwierige Drama zu werfen.
Davon erzählt eine Probendokumentation von Kirsten Edinger, abrufbar in der 3Sat-Mediathek. Das Schauspielhaus Düsseldorf wurde vor eineinhalb Jahren selbst von einem Rassismus-Vorwurf erschüttert. Es zeugt von Selbstreflexion, mit »Othello« die Spielzeit zu eröffnen. Die Doku erzählt, wie Lara Foot die Handlung in die Zeit des Kolonialismus um 1900 verlegt, die berüchtigte Berlin-Konferenz von 1884 nachspielen lässt, die Afrika in Raubbeute aufteilte, den schwarzen Aufsteiger-General Othello selbst den Völkermord im »Schutzgebiet« Deutsch-Südwestafrika kommandieren lässt, der heute als Genozid gilt: Rund 80.000 Herero und Nama kamen damals um, im Film gibt Jeremiah Arowosegbe, Professor an der Humboldt-Uni Berlin, erschütternde Auskunft. Bilder des ersten deutschen Völkermordes werden gezeigt, die übrigens eine Trigger-Warnung verdient hätten (und etwa im Kölner RJM nicht mehr offen gezeigt werden).
Dennoch ist beeindruckend, wie Lara Foot Othello mit eigenen Motiven ausstattet: Der stets gedemütigte Aufsteiger, adoptiert, auf der Suche nach Wurzeln, hat Desdemona heimlich geheiratet. Das lässt den Rassismus am Hof offen eskalieren.
Doch ihre wichtigste Wahl ist der südafrikanische Starschauspieler und Regisseur Bongile Mantsai, der für ein Jahr nach Düsseldorf gezogen ist. Die Kamera reist mit ihm in seine Heimat nach Kapstadt, wo noch in den 80er Jahren Weiße und Schwarze nicht gemeinsam auf der Bühne stehen durften, aber 2015 das erste Kolonisatoren-Denkmal vom Sockel gestürzt wurde. Heute wird Mantsai dort an jeder Ecke erkannt, fährt regelmäßig in die Townships, um junge Schauspieler*innen zu empowern. Seine Figur Othello ist kraftvoll und authentisch, spricht Englisch, nutzt traditionelle Gesänge und Stoffe. Seinem Charisma kann man sich weder auf der Bühne noch in diesem kleinen, spannenden Theaterfilm entziehen.
Abrufbar in der 3Sat-Mediathek