Ach, Menschheit…
Wie wirkt eine 22 Jahre alte, zynische Boomer-Komödie über das Aussterben der Menschheit heute auf junge Erwachsene — in Zeiten der »Letzten Generation«, ? In Sibylle Bergs Stück »Helges Leben« aus dem Jahr 2000 hat die Menschheit »einfach aufgegeben«. Tiere machen sich nun einen Spaß daraus, — analog zur Naturdoku — Menschenschicksale aus dem Entertainment-Katalog von Frau Gott zu bingewatchen. Heute steht Helge auf dem Programm, ein Durchschnitts-Cis-Mann der seine Ängste durch Gewalt kompensieren wird.
Mit dem Import Export Kollektiv tritt im Depot 1 eine erprobte Truppe an, um sich Bergs sarkastisches Resümee eines Menschenlebens vorzuknöpfen. Gegründet 2008 als freies Jugendtheaterensemble in Mülheim, ist die Laiengruppe seit 2015 ein fester Teil des Schauspiels. Zuletzt zeigte sie 2019 die beeindruckende Inszenierung »Schöne Neue Welt« in der Regie von Ensemblegründer Bassam Ghazi. Genauer, sie zeigte, was von Aldous Huxleys Dystopie übrig blieb, nachdem die jungen Erwachsenen den Text seziert, diskutiert und mit großer Ernsthaftigkeit daraufhin befragt hatten, was ihnen da eigentlich von wem erzählt wird.
»Helges Leben« inszeniert Saliha Shagasi nach einem ähnlichen Prinzip. Wieder unterbrechen die jungen Spieler*innen die Aufführung auf der bunt ausgeleuchteten Halfpipe von Bühnenbildner Sebastian Bolz. Sie treten aus ihren Rollen und bringen eigene Fragen ein, sie sprechen über Ängste oder darüber, was Erfolg für sie bedeutet. Nur bleibt das irritierend oberflächlich, mehr Brainstorming als Deep Talk. Mit einer Ausnahme.
Als in lockerer Runde über den Sinn des Lebens geplaudert wird, springt ein Darsteller auf und erzählt: von einem Jungen, der mit 13 Jahren willkürlich in den Knast gesteckt wird, dessen Eltern flüchten müssen, der ein halbes Jahr später entlassen wird und dann völlig allein ist, in einem Land mitten im Krieg — »und da fragt ihr, wofür es sich zu leben lohnt?« Kurzes, betretenes Schweigen, dann muss die Show weitergehen. Helge trifft Tina, sie zeugen ein Kind, Care-Arbeit ist nicht Helges Ding, Trennung, Absturz, zwei Femizide, Altenheim, Tod. Der erwartete große Clash zwischen Werk und Lebenswirklichkeit der Spieler*innen bleibt bei Shagasi und ihrem Team aber eher ein leichtes Aneinanderrumpeln.