Von Fans und Techno-Elegien
Wir machen diesen Monat keinen Hehl daraus, extrem froh zu sein, wieder etwas von Facta präsentieren zu dürfen. Oscar Henson, wie der Produzent hinter dem Pseudonym bürgerlich heißt, betreibt von London aus seit fast neun Jahren das geschmackssichere und abenteuerlustige Label Wisdom Teeth. Für seine aktuelle EP macht er allerdings einen Ausflug nach Amerika und zu Incienso, dem im New Yorker Stadtteil Brooklyn ansässigen Label von Jenny Slattery und Anthony Naples.
Mit Incienso denken die beiden Tanzmusik weniger formalistisch, dafür sinnlicher — und etablieren so nebenbei gleich noch ein eigenes, sympathisch-eigensinniges House-Subgenre. Wo man beim Label mit old-skooly Deep-House-Verständnis flirtet, setzt Facta direkt zum Frontalangriff an: »Emeline« auf der A-Seite erinnert an die End-90er-Jahre-Soundexperimente von Roman Flügel und Jörn Elling Wuttke. Cool werden simple Chord-Progressions und ein leicht chaotischer Synth parallel geschaltet; fast droht einen das etwas unterkühlte Temperament verrückt zu machen. Dann aber schiebt die Kick sachte die Arme nach vorne, und man erwischt sich bei verrenkten Tanzmanövern. »Felt« hingegen erinnert sehr an Factas 17 Monate altes Album »Blush«: Hier gibt es Braindance der besten Sorte. Wie beim Opener wird allmählich eine beängstigende, packende Kühle durch viel Liebe (zum Detail) verdrängt. Das ginge ebenso als großer Pop-Song durch. »Sick Pup« ist, selbst wenn der Titel es behauptet, kein kranker Welpe, sondern eine knurrende Bass-Miniatur voller heiterer Verspieltheit. Facta zeigt mal wieder, auch mit bloß einer EP, die übrigens nicht seine beste ist, dass er einen genialen Masterplan hat: Was für ihn Mittelmäßigkeit ist, wäre für andere ein Hit.
Dasselbe galt lange für das Brüderpaar Ed und Tom Russell, die früher als Tessela & Truss für die britische Post-Dubstep und Bristol-inspired Bass-Musik das waren, was die natürlich vorkommende, halluzinogen wirkende Substanz DMT für amerikanische Frat-Boys und Slacker ist: der heilige Gral. Hier rollten die Drums in frenetischer Selbstverständlichkeit durch die schroffen Böden kantiger Industriehallen. Trotz einer gewissen Breitbandigkeit war das zum Hinknien. Das erschien bei befreundeten Labels à la R&S oder Punchdrunk, seit 2013 auch auf dem eigenen Label Poly Kicks. 2016 unterschrieben Ed & Tom beim britischen Indie-Riesen XL — und hoben gleich ein neues Projekt aus der Taufe: Overmono. Als solche ging es anfangs um eine Vision von hart-geilen Tools und geil harten Break-Smashern.
Diese Zeiten sind derweil vorbei, wie die erste Single-Auskopplung (»Is U«) ihres kommenden Albums beweist. Statt Underground-Dancefloor stehen jetzt große Hallen wie der Alexandra Palace in London an: Overmono wollen auf den Bicep-Zug aufspringen und absahnen. No hard feelings. »Is U« klingt nach einer gefälligen Rave-Pop-Nummer mit pitched Vocal-Sample. Was fürs Herz, was zum Kuscheln — und mit einer garantiert überwältigenden Bühnen-AV-Show. Das ist selbstverständlich inspirierend groß, aber nicht mehr ganz so verlockend, wenn man ehrlich ist. Hatte man gehofft, dass mit dem Ende von EDM auch die Megalomanie verschwinden würde, sieht man sich getäuscht. Das Schönste an der ganzen Nummer ist nämlich das Originalmaterial, das hier gesamplet wird: »Gladly« der Londoner Künstlerin Tirzah und ihrer Produzentin Micah Levi.
Fans baut sich indes auch die Berliner Produzentin JakoJako auf: Sibel Koçer ist derzeit eine von vielleicht fünf ausgesuchten Berliner*innen, die den Stern der Bundeshauptstadt hochhalten und strahlen lassen. Denn statt importiertem Sound, der sich längst woanders bewährt hat, setzt sie sich in das Cockpit ihres Modular-Synthesizer-Systems und erzählt originäre und originale Berliner Geschichten.
Die »Verve EP« drückt denn auch ordentlich auf die Tube — wie man das gerade halt pflegt. Das Besondere: Die 142 BPM des Openers »Impetus« wirken nicht unnötig rabiat, sondern ganz logisch und natürlich. Nein, mit großen Gesten und Chichi hält sich JakoJako nicht auf. Die Techno-Elegie »Opak« zelebriert eine saftige Kick und atmosphärische Flächen, sanft trippeln Percussions im Hintergrund: Liebeslieder für den interstellaren Reiseverkehr im Jahr 2340. Wild wird es auf dem Closer »Nexus«, der auf einem Bass-Fundament aufbaut, dort pusht, pusht, pusht und dann einen hoch-modernen Dancefloor-Sound liefert, der sich — ein Glück dieser Tage — mal nicht mit Hard-Trance und anderen Retro-Wellen auseinandersetzt, sondern einfach nur aktuell ist. Das deutliche Summe-Geräusche im Ausklang ist im Übrigen eines der nettesten »Outros« der jüngeren Techno-Geschichte.
Facta, »Emeline« (Incienso / Clone), Overmono, »Is U« (XL / Beggars), JakoJako, »Verve EP« (Mute / PIAS)