Jeder Rückschlag ist eine Chance
Wahrscheinlich gibt es in Köln keine Party- oder Festivalreihe, die länger läuft als »die PollerWiesen«. In den Anfangstagen feierte das Gründerteam um Patrick Peiki noch illegal in Erdbeerfeldern, auf Waldlichtungen und auf der Kölner Rheinaue in Poll. Diese legendäre Location sollte, beeindruckend in Szene gesetzt durch Domblick und Sonnenuntergang, nicht nur ikonisch werden, sondern auch der Party den Namen schenken. Seitdem ist einiges passiert, die Welt und die Techno- und House-Szene haben sich grundsätzlich geändert. Wo sollte man das besser erkennen als bei einer Party, die es aus der Illegalität in unvorhergesehene Größenordnungen getrieben hat?!
Der PollerWiesen kommen gleich mehrfache Vorreiterrollen zu: Erstens etablierten die Macher*innen recht früh ein Format, das auch heute noch zwischen Party im Großformat und Mini-Festival vermittelt; schon früh etablierte man mit dem PollerWiesenBoot eine Reihe, die heute europaweit etliche Ableger gefunden hat — und beim Thema Digitalisierung war man mit der eigenen App sogar federführend im globalen Maßstab.
Das alles feiert man dieses Jahr — wie auch in den Vorjahren — mit zwei Partys in Köln (Opening und Closing), sowie der legendären Bootsfahrt. Dazu gesellt sich das Riesenevent im Dortmunder »Revierpark Wischlingen«. Dort feiert man dann Ende Mai gleich auf fünf Bühnen.
Wir sprachen mit Michael Kastens — im Nebenberuf auch DJ (MK Braun) und Cologne Sessions-Mitbetreiber —, der die aktuelle Generation der Veranstalter:innen repräsentiert. Wo er 2009 noch als Fotograf tätig war, leitet er mittlerweile die traditionsreiche Reihe.
Was hast du 2009 mit der PollerWiesen verbunden?
Wofür stehen die Festivals und Aktivitäten heute für dich? Zu dem Zeitpunkt war die PollerWiesen schon zu einer gewissen Größe gereift und das größte Event im Bereich der elektronischen Musik Kölns. Mich hat von Anfang an fasziniert, an einem Projekt beteiligt zu sein, das die elektronische Musik seit dem Beginn der 90er Jahre maßgeblich begleitet und geprägt hat. Ich kann mich bis heute dafür begeistern und es ist ein Teil meiner Identität geworden. Wir machen Raves, wir sind überdurchschnittlich verrückt nach elektronischer Musik und feiern selbst gerne. Das trifft alles auch auf mich zu.
Ich bin davon überzeugt, dass junge Menschen weiterhin genauso das Bedürfnis haben werden, auf ein Festival zu gehen, wie vor der Pandemie
Michael Kastens
Wie kam es, dass du zunächst zum PollerWiesen Team gestoßen bist — und es seit ein paar Jahren sogar mit weiteren Freunden übernommen hast?
Die PollerWiesen hat sich bis auf die Basics ständig verändert, und so kam es auch, dass wir als die damalige »junge Generation« das Projekt übernommen haben. Das Grundprinzip bleibt gleich: ein Open-Air-Festival in urbanen Grünflächen. Inhaltlich und auch im Team dahinter, muss sich die PollerWiesen ständig verändern, um ihren ursprünglichen Spirit zu erhalten und aber auch weiter innovativ zu sein. In unserem Büro wächst gerade eine neue Generation geborener Party-Veranstalter:innen heran.
Wie stellt sich das Team heute auf?
Wie groß ist die Maschine PollerWiesen? Und welche anderen Aktivitäten organisiert ihr noch? Wir sind in etwa zehn Personen, die das gesamte Jahr über an den PollerWiesen und auch anderen Großveranstaltungen fest bei uns im Büro arbeiten. Es ist eine bunte Mischung und faszinierend zu sehen, wie wir von den sehr vielfältigen Projekten lernen und als Firma wachsen können.
Nun herrscht ja in den Clubs und Konzertsälen wieder Alltag, fast wie früher. Wie nehmt ihr die Verhältnisse wahr? Wirklich alles wie früher oder hat sich was verändert?
Ich denke, momentan befinden wir uns noch in einer Übergangsphase und es ist schwer zu sagen, wie es sich weiter entwickelt. Was sich stark verändert hat, sind die Produktionsbedingungen: Kostensteigerungen um im Schnitt 25 Prozent bei Materialien und Dienstleistungen, die natürlich auch Preissteigerungen für die Besucher:innen nach sich ziehen. Ich bin allerdings grundsätzlich davon überzeugt, dass junge Menschen weiterhin genauso das Bedürfnis haben werden, auf ein Festival zu gehen, wie vor der Pandemie.
Hat euch die Pandemie und das generelle Umdenken geholfen? War es einfacher thematische und sound-mäßige Veränderungen durchzusetzen?
Mein Eindruck ist, dass sich während der Pandemie bereits vorher absehbare Trends innerhalb der elektronischen Musik noch verstärkt haben. Der Sound ist schneller, härter, tranciger geworden. Unsere Herausforderung ist es, ein möglichst ausgewogenes Programm zusammenzustellen, dass sowohl innovativ als auch der Größe unserer Veranstaltungen angepasst ist. Beim PollerWiesen Festival am 28. Mai in Dortmund können wir das auf mittlerweile fünf Bühnen am besten umsetzen.
Empfindest du die lange, wechselhafte Geschichte manchmal auch als Druck?
Für mich persönlich ist es eine große Verantwortung und auch ein Stück weit etwas sehr Besonderes, ein so langfristiges Projekt mitzugestalten. Denn ich liebe elektronische Musik und die damit verbundene Kultur. Andererseits sind wir als Team natürlich mit einer gewissen Erwartungshaltung konfrontiert, die wir oft ausbalancieren müssen. Wir möchten etwas Neues erschaffen, das den Ursprung im Kern beibehält.
Die PollerWiesen starteten, als illegale Raves als Techno in Deutschland in den Kinderschuhen steckte. Wie stehst du zu dem damaligen Pioniergeist?
Und zu der »Einfach Machen«-Attitüde, die man heute in die wilden Zeiten reinliest? Ich denke, dass es generell beim Veranstalten von Partys auf genau diese »Einfach Machen«-Attitüde ankommt. Denn es braucht Mut und auch aufopferndes Engagement, um die nötige Energie für sich selbst und das Team aufzubringen. Wenn dann noch ein gewisser Pioniergeist hinzu kommt, kann etwas ganz Besonderes entstehen. Schließlich ist es ein stark risikobehaftetes Unterfangen eine Veranstaltung durchzuführen, gerade wenn du dich in der Größenordnung einer heutigen PollerWiesen bewegst. Das musst du aus Leidenschaft wollen und nicht aus finanziellen oder anderen Beweggründen.
So ein Jubiläum ist ja auch ein guter Moment, um zurück zu blicken — auf schöne Ereignisse, aber auch auf Momente der Demut, wo die Dinge vielleicht nicht perfekt liefen. Was sind deine Take-Aways aus der PollerWiesen-Historie?
Jeder Rückschlag bedeutet eine Chance, um das Projekt weiter zu entwickeln. Es gibt natürlich Faktoren, wie beispielsweise das Wetter, eine Pandemie oder behördliche Auflagen, die wir nicht in der Hand haben. Genauso gibt es aber auch Faktoren, die wir sehr wohl beeinflussen können. Da müssen wir uns rantasten und nach bestem Ermessen das tun, von dem wir glauben, dass es für das Projekt am förderlichsten ist. Ich denke Veränderungen sind zwingend notwendig, ohne dabei die ursprüngliche Idee aus den Augen zu verlieren. Dazu braucht es eine gehörige Portion Leidenschaft, um seinen Idealen treu zu bleiben und gleichzeitig wirtschaftlich arbeiten zu können.
Ich denke Veränderungen sind zwingend notwendig, ohne dabei die ursprüngliche Idee aus den Augen zu verlieren. Dazu braucht es eine gehörige Portion Leidenschaft
Michael Kastens
Die Aufgaben werden nicht weniger: Die Club-Welt hat sich krass geändert in den letzten Jahren. Besonders vier Komplexe sind in den Fokus gerückt, die wir nur kurz verschlagworten müssen, damit klar ist, was gemeint ist: a) Diversität; b) Safer Spaces; c) Nachhaltigkeit; d) Safer Use. Wie steht ihr als Großveranstaltung zu diesen Themen?
Wir nehmen jeden der genannten Punkte sehr ernst und stehen aus voller Überzeugung dahinter, diese Themen noch stärker in den Fokus zu rücken. Dazu haben wir regelmäßig Workshops und nehmen auch Beratung von externen Stellen an. Das Thema Diversität in unseren Line-ups und in der Besucherstruktur können wir sehr gut von uns aus beeinflussen, da wir uns auf natürliche Weise mit der Entwicklung der Szene im Allgemeinen auseinandersetzen und selbst beeinflussen können, wen wir einladen oder wen wir rein lassen. Das hängt auch direkt mit den Themen »Safe Space« und »Safer Use« zusammen, denn die Erschaffung und Erhaltung eines Safe Spaces und das Wohlbefinden unserer Besucher:innen auf unseren Veranstaltungen ist für uns maßgeblicher Bestandteil einer guten Veranstaltung. Genauso müssen wir dafür Sorge tragen, dass unser Team und auch die Besucher:innen dafür sensibilisiert werden, diese Werte weiter zu tragen. Das Thema Nachhaltigkeit ist in der Hinsicht schon etwas komplexer, da für so ein Projekt wie die PollerWiesen grundsätzlich viel Energie und Material verbraucht wird. Wir müssen hier im Rahmen der Machbarkeit und auch Wirtschaftlichkeit handeln und zusätzlich dahingehend Druck ausüben, dass alle Dienstleister, Zulieferer und Partner mitziehen. Das kann damit anfangen, dass wir keine Künstler:innen buchen, die mit einem Privatjet reisen und geht natürlich weiter bis hin zu Verbrauchsmaterialien wie Mehrwegbecher, Beschilderungen, Werbemittel. Es ist ein Work-in-Progress, und mit Sicherheit sind diese Themen momentan etwas, bei denen wir am meisten reden, zuhören und lernen wollen.
Was steht für 2023 noch an?
Dieses Jahr ist für uns der nächste Schritt in Richtung Normalität. Während 2022 noch sehr unvorhersehbar war und sich manchmal so angefühlt hat, als würde man alles zum ersten Mal machen, läuft die Planung in diesem Jahr wieder etwas routinierter. Insofern konzentrieren wir uns auf unsere drei PollerWiesen-Ausgaben in diesem Sommer und werden erstmal nicht aktiv mit neuen Projekten oder Verantaltungsformaten.
Michael, letzte Frage: Gibt es einen Track, der für dich die PollerWiesen symbolisiert wie kein anderer?
Oh, da gibt es viele Tracks, die mich an eine bestimmte PollerWiesen erinnern. Aber wenn es der eine sein muss, dann ist es ganz einfach: Underworld mit »Dark and Long«. Ein Track, der seit seinem Release 1994 die Hymne der PollerWiesen war und auch heute noch gerne über die Wiese schallt.
Das Opening der PollerWiesen am Ostersonntag musste wetterbedingt verschoben werden. Aktuelle Infos gibt's auf Instagram.