Dresscode für den Unterricht
»Wer eine Jogginghose trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren«, sagte schon Karl Lagerfeld vor über zehn Jahren, der unverwechselbare Modeschöpfer mit der spitzen Zunge. Ähnlich sieht es wohl auch heute noch die Leitung einer nordrhein-westfälischen Sekundarschule in Wermelskirchen: Zu Beginn des Jahres begann sie die schon seit längerem geltende Kleiderordnung in den Klassenzimmern umzusetzen — und schickte Schüler*innen, die in Jogginghosen im Unterricht erschienen, schnurstracks wieder nach Hause.
»Unterricht in Jogginghose? Schule sagt Nein«, titelte kurze Zeit später das ZDF in einem Online-Artikel im März 2023, nur ein Beispiel für den medialen Aufschrei, der folgte. In einer Stellungnahme von Seiten der Schulleitung in Wermelskirchen hieß es hingegen: »Kinder und Jugendliche sollen lernen, dass in verschiedenen sozialen Räumen verschiedene Verhaltensweisen gelten. Kleidung, die zu Hause auf der Couch angemessen ist, ist es unter Umständen in der Schule nicht.« Und löste damit erneut eine Diskussion aus, die seit Jahrzehnten immer wieder geführt wird: in den 50er Jahren, als die Jeans für Kontroverse sorgte, später als Rocker in den 60er Jahren und Punks in den 80er Jahren mit ihrer Kleidung Unruhe in den Klassenzimmern stifteten. Was ist ein angemessener Dresscode für den Unterricht? Ist die Hose zu kurz, der Ausschnitt zu tief, der Trainingsanzug zu leger oder der Aufdruck auf dem T-Shirt zu provokativ? Sollte es womöglich sogar für alle Schüler*innen eine einheitliche Kleidung geben?
Während die Einführung einer Schulkleidung — keine Schuluniform, sondern eine Reihe von Kleidungsstücken, aus denen frei gewählt werden kann — in der Politik und unter Eltern, Lehrkräften und Schüler*innen umfassend diskutiert wird, ist die wissenschaftliche Datenlage dünn. Nur wenige Studien, deren Veröffentlichungen bereits Jahre zurück liegen, haben die Wirkung und Akzeptanz von Schulkleidung erforscht, zuletzt in einer Umfrage des Ministeriums für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen. Rund 2.000 Personen wurden 2008 telefonisch zu ihrer Haltung zu Schulkleidung befragt: Dabei befürworteten 66 Prozent der Eltern und 54 Prozent der allgemeinen Bevölkerung die Einführung, in der Hoffnung, die Schulkleidung könne soziale Unterschiede beseitigen, Ausgrenzung verhindern und das »Wir-Gefühl« an einer Schule stärken. Aber wie sieht es eigentlich bei den Schüler*innen selbst aus?
Der Wirtschaftswissenschaftler Roland Multhaup von der Fachhochschule Münster veröffentlichte im März 2009 eine Studie, in der er und sein Team eben dies untersuchten, nämlich die Meinung von Schüler*innen in Nordrhein-Westfalen zur Einführung von Schulkleidung. Das Ergebnis: Nur circa 26 Prozent der Schüler*innen stand einer speziellen Kleidung für den Unterricht positiv gegenüber. Vor allem an Hauptschulen war die Ablehnung besonders hoch, weil die Schüler*innen dort Diskriminierung fürchteten: Ein auf der Schulkleidung aufgebrachtes Logo könnte sie auf dem Schulweg als Hauptschüler*innen leichter für andere identifizierbar machen. Für sie bedeutete die Schulkleidung eine Stigmatisierung.
Rein rechtlich gesehen kann die Kleiderordnung an einer Schule übrigens nur eine Empfehlung sein. So zumindest äußerte sich Professor Hinnerk Wissmann, Hochschullehrer von der Uni Münster, gegenüber der Deutschen Presse-Agentur. Die Schule könne zwar im Einzelfall Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen gegen Schüler verhängen, wenn ein Pflichtverstoß vorläge. Das Tragen einer Jogginghose gehöre dazu aber nicht. »Da müsste schon noch mehr dazu kommen«, sagte Wissmann, der das Land NRW in Fragen des Schulrechts beraten hat. Es dürfte also schwer werden, die Jogginghose aus dem Klassenzimmer zu verbannen. Und die Frage nach der Sinnhaftigkeit eines Verbotes, nun, die stellt sich außerdem auch weiterhin.