Unbefangen und zutiefst individuell: Rebecca Saunders; © Astrid Ackermann

Mit den Ohren gemischt

Die Komponistin Rebecca Saunders steht dieses Jahr im Mittelpunkt des »Acht Brücken«-Festivals

Kürzlich einen Ausflug gemacht: Es ging in die Rheinauen. Obwohl eingezwängt zwischen den Großstädten und Industriestandorten Köln, Leverkusen und Düsseldorf und zerschnitten von Autobahnen, war es doch idyllisch. Am Ende der Strecke lag ein Ausflugs­café, direkt an der Hauptstraße von Düsseldorf und Monheim. Auf den ersten Blick eine absurde Konstellation: Die Leute, die gerade aus der Natur aufgetaucht waren, saßen jetzt im Außenbereich der Gastronomie, direkt an der vielbefahrenen Straße. Es brauste und rauschte, und die Leute ­ließen es sich gut gehen, dabei herrschten noch nicht mal sommerliche Temperaturen.

Wenn man die Musik von ­Rebecca Saunders hört, die Interviews liest, in denen sie über ihre Kompositionsästhetik spricht, lässt sich sagen: Die Leute dort an der Straße erleben — gar: genießen — ihren Rebecca-Saunders-Moment. Das Brausen und Brummen der Autors, dessen An- und Abschwellen durch Ampelschaltungen geregelt sind, Vögelgezwitscher, Wind, der durch die Weiden rauscht, weit entfernt brummt die Autobahn oder es sind die großen Kähne auf dem nahegelegenen Rhein — tatsächlich ist es uns möglich, die Klänge zu integrieren, dass eine eigenartig-eigenwillige Atmosphäre ­entsteht. Rebeca Saunders sagt 2019 in einem Interview mit der ZEIT: »Klänge so in ein Gewebe einzuarbeiten, dass nicht erkennbar ist, wo sie her­kommen und wo sie hingehen — das hat mich immer fasziniert und stark beschäftigt. Schon als Kind war Musik für mich allgegenwärtig. Dass ein Klang in den anderen mutiert, ist ein Grundprinzip meiner Arbeit.« Saunders, gebürtige Londonerin, lebt und arbeitet in der Stadt, seit Jahrzehnten schon in Berlin. »Auf dem Land, finde ich, ist jedes ­Geräusch fürchterlich laut, jedes Auto klingt wie ein Höhepunkt bei Wagner! Da könnte ich nicht leben«, sagt sie noch.


Saunders ist eine der großen Komponisten der Gegenwart, weil ihre Musik — nein, nicht einen Nerv trifft, sondern das ganze Gewebe und Geflecht der Nerven aktiviert

Saunders ist eine der großen Komponisten der Gegenwart, weil ihre Musik — nein, nicht einen Nerv trifft, sondern das ganze Geflecht der Nerven aktiviert. Ihre Musik ist organisch, ein flächiger, gleichwohl dynamischer Prozess der Klangverwandlung, des ­Übergangs und Wechsels. Wohl entscheidend ist, dass sie dabei nicht »technisch« denkt, also keine Prinzipien z.B. aus der Kybenetik anwendet, sie geht nicht von kosmischen oder philosophischen Leitbildern aus, huldigt keiner ­mathematischen Formel, aber auch nicht der launischen Göttin Intuition. Kurzum: Sie ist weit ­entfernt von den Heroen der ­musikalischen Avantgarde der 50er, 60er und 70er Jahre mit ­ihren überhöhten ­Weltbildern. Sie braucht keinen quasimystischen Überbau für ihre Kunst der Klangverschmelzung, nur eine ­unbedingte Passion fürs Hören. Deshalb klingt ihre Musik eigentümlich befreit: unbefangen und zutiefst individuell.

Wie Saunders’ Kompositionen die Interpreten dazu einlädt, die Klänge schweben zu lassen, sie zu einem Umschlagpunkt zu bringen, wie einzelne Stimmen hervortreten, dann wieder eingehen in dieses Gewebe, das keinen ­Anfang und kein Ende zu kennen scheint — das ist auch einladend für die Zuhörer. Nichts an dieser Musik ist vordergründig, dennoch ist sie unmittelbar zugänglich, weil sie so plastisch ist, weil Saunders die Klangfarben in all ihren Schattierungen präzise herausarbeitet, um sie dann zu mischen.

Wenn Saunders zu komponieren beginnt, erforscht sie zunächst das klangliche Potential des Instruments, das im Mittelpunkt stehen wird. »Ich will mich hineinversetzen in die Art, wie ein Ins­trument gespielt wird«, sagt sie der ZEIT, »ich suche nach seinem Kernklang und habe hier ein paar Intervalle ausgesucht, in denen er womöglich steckt.« Sie setzt sich mit Blastechniken auseinander, dem Schimmern von Metall und Vibrieren der Felle, die mensch­liche Stimme rückt seit einigen Jahren mehr und mehr ins Zen­trum ihrer Arbeit.

Dass ihre Musik und Ästhetik dieses Jahr das »Acht Brücken«-Festival prägen wird, ist eine glückliche Wahl. Die ästhetischen, also sinnlichen, Mischungen, die man hier am Rhein erlebt ­— wenn man links den Dom sieht, rechts schon die Bayerwerke und vor sich die sanft wogenden Rheinwiesen hat­ —, können einmalig sein. Es wäre vielleicht zu populistisch zu sagen, dass Saunders dazu die Musik geschrieben hat. Aber ihre Kompositionen sind eben auch Mischungen — aus gegensätzlichen, mitunter höchst schroffen Klängen, die zu einem fragilen und sich immer wandelnden Miteinander finden.

Acht Brücken. Musik für Köln: 28.4.–9.5., Philharmonie und zahlreiche andere Spielorte. Wir stellen auf den Seiten 44/45 Highlights und ­Konzerte mit Stücken von Rebecca Saunders vor.