Miyama, Kyoto Prefecture
An einem nebeligen Tag nahe des Bergdorfs Miyama nördlich von Kyoto schlendert ein wild gelockter, ungefähr 60-jähriger Mann aus Gelsenkirchen in einem Alpaka-Pullover durch einen engen Straßentunnel. Er spielt auf einer Shakuhachi-Flöte. Dieses Bild allein erklärt die Faszination, die Regisseur Rainer Komers für das Verhältnis seines Protagonisten Uwe Walter zu der Umgebung, in die es ihn verschlagen hat, empfunden haben muss. Sie transportiert sich äußerst respektvoll und bewegend in seinem »Miyama, Kyoto Prefecture«.
Der Dokumentarfilm fügt sich wunderbar ein in die konstante Weltvermessung, die das Kino des Filmemachers aus Mülheim an der Ruhr beseelt. Bescheiden ertastet er die Mechanismen der Dorfgemeinschaft, in welcher der Künstler und Lebemann Walter lebt. Was sich auf dem Papier wie eine fernsehtaugliche Auswandererdoku liest, widmet sich bedeutenderen Fragen. Es geht um Werden und Vergehen, um Heimat und Fremde und ein sich gegen ungeschriebene Gesetze gerichtetes Verlangen. Das betrifft sowohl die Kamera wie Walter. Man lauscht den Menschen, die sich über Tiere beschweren, die ihre Sojabohnenernte bedrohen, begleitet sie in der täglichen Arbeit, erfährt aus ihrem Leben.
Gleichzeitig interessiert sich Komers für die Natur. Nistende Schwalben, die Försterei und wiederholte Aufnahmen der entrückten Landschaft werden allerdings nie voneinander losgelöst gezeigt. Stattdessen erlebt man diesen Ort und seine Menschen im ständigen Austausch, und lebt für die Dauer des Films mit Walter in Miyama. Komers findet genau die Distanz, die erlaubt, etwas zu erkennen. Er ist da, aber bleibt außen vor. Walter ist in einer anderen Situation. Er lebt seit drei Jahrzehnten im Ort, spricht fließend Japanisch, hat die Kultur in sich aufgesogen. Trotzdem singt er deutsche Lieder, und erwägt, in Deutschland begraben zu werden. Die Dorfbewohner wollen, dass er sein altes, teilweise selbstgebautes Haus räumt. Es soll abgerissen werden. In einer schmerzhaften Auseinandersetzung mit anderen Männern aus dem Dorf entfaltet sich ein Gefühl der Wurzellosigkeit, die letztlich alle Fremdheitserfahrungen bestimmt. Komers aber verzichtet auf jeglichen Sentimentalismus, weil er — genau wie Walter — weiß, dass wir ohnehin nur Durchreisende sind, egal wo wir leben.
D/J 2022, R: Rainer Komers, 97 Min. Start: 11.5.