Beeindruckend und verstörend: Andreas Maus, Anne Frank, Copyright: Andreas Maus & Strzelecki Books

»Die Leute haben vergessen, was Diktatur bedeutet«

Andreas Maus widmet Anne Frank ein ganzes Künstler-Buch

Ein Bild in vier Farben: Schwarze, grüne, blaue und rote Kugelschrei­berstriche zeigen eine comichafte, plakative Figur mit schwarzen Haaren. Es ist Anne Frank, die ­gerade ihr Tagebuch schreibt. ­Hinter ihr lauert der Tod als Sensenmann — ein Ausblick auf die weltbekann­te Lebensgeschichte der gebürtigen Frankfurterin, die als Jüdin mit ihrer Familie in die Niederlande floh, hinterm Schrank wohnte, denunziert wurde und als eines der abermillionen Opfer der Shoah litt und starb. ­Andreas Maus, 1963 in Köln geboren, zeichnet in »Ausgelöscht für immer. Anne Frank« eine brutale Bildwelt des Zweiten Weltkriegs und des industriellen Völkermords an den europäischen Juden.

Jeden Tag fährt Maus aus ­Pulheim in die Kölner Südstadt, ins Kunsthaus KAT18, eine Ateliergemeinschaft für Künstler*innen mit Beeinträchtigung und/oder Behinderung. Hier arbeitet er in Kugelschreiber, Acryl, Tusche, aber auch in Ton. Der Künstler ist eine der packendsten und verstörendsten Stimmen der Kölner Kunstszene. Jahrelang fristete er ein Schattendasein im Kunst­betrieb — ein Schicksal, das er mit vielen Künstler*innen mit Beeinträchtigung teilt. Erst vor drei ­Jahren entstand auf sein Betreiben hin, die von der Kölner Verlegerin Carmen Strzelecki veröffentlichte Sammlung seiner Zeichnungen aus den Jahren 2013 bis 2018. Nun erscheint sein Buch über Anne Frank.

Wann hast du mit dem Malen an­­ge­fangen?

1968. Da kam ich in den Kindergarten und mein Vater hatte eine Gehirnhautentzündung. Mein Vater wurde von einer Zecke gebissen. Seitdem habe ich immer gemalt.

Um diese Situation, die gesundheitliche Krise des Vaters, zu ­verarbeiten, hast Du angefangen Kunst zu machen?

Ich habe das als Kind nicht wirklich wahrgenommen, dass mein Vater schwer krank war.

Gab es denn sonst einen Anlass für dich?

Nein. Das Malen habe ich von meinem Vater geerbt.

Der hat auch gemalt?

Aber als Laie, nehme ich an. Mein Vater war von Beruf Verwaltungsangestellter.

Deine Karriere sieht also anders aus. Du bist seit ein paar Jahren professioneller Künstler, richtig?

Seit dem 25. Mai 2020. Ich bin seit dem Tag Vollzeitkünstler und jeden Tag hier.

Was hast du vorher gemacht?

Ich habe immer gezeichnet und ge­­malt. Vorher auch in der GWK Pesch. [Eine gemeinnützige Werkstatt für Menschen mit Beeinträchtigung und Behinderung.]

In der Zeit sind die Arbeiten entstanden, die man zum Beispiel in deinem ersten Buch bei StrzeleckiBooks sehen konnte. Haben sich damals auch deine Motive entwickelt, an denen du immer noch arbeitest?

Die Zeichnungen gegen die Nationalsozialistische Diktatur habe ich 2021 im Haus der Kunst in München ausgestellt. An dem Tag, als ich den Preis [euward 8 — Kunst­­preis für Menschen mit geistiger Behinderung] gewonnen habe, ist meine Mutter gestorben.

Wann fing deine Arbeit hier im KAT18 an?

2008 habe ich in Rodenkirchen angefangen, erst einmal die Woche, dann zweimal die Woche. 2020 dann jeden Tag. Seitdem bin ich Künstler.

Gibt es für deine künstlerischen Motive konkrete Inspiration?

Ich frage vor allen Dingen nach der Ästhetik und deiner Art zu zeichnen. Nein, es gibt keine Vorbilder.

Hast du Comics gelesen? Sind Comicwelten vielleicht eine Inspiration für Dich?

Wenig. Aber 2015 habe ich in der Stadtbücherei ­Pulheim einen Anne-Frank-Comic gesehen.

Und dann hast du gedacht: Sowas will ich auch machen?

Das war 2018. Da habe ich gedacht: Jetzt kann ich auch selber ein Anne-Frank-Buch zeichnen.

Sollen wir über Anne Frank reden? Warum Dich das Thema so bewegt?

Da geht es um ein jüdisches Mädchen, das wegen der nationalsozialistischen Diktatur nach Holland flüchten musste.

In deinem Buch »Ausgelöscht für immer. Anne Frank« zeigst du sehr blutig, gewalttätig und monströs die Taten der Nazis. Auf der anderen Seite zeichnest du die Familie Frank sehr liebevoll und friedlich.

Die sind unschuldig gestorben. Anne Frank ist an Typhus und Krätze gestorben. Im KZ Bergen-Belsen. Die ist nach Auschwitz deportiert worden und dann nach Bergen-Belsen.

Du hast mir eben, vor dem Interview, verraten, dass du dich zu den Schwächeren in der Gesellschaft zählst. Und Anne Frank war ein Opfer der Nazis. Hast du deswegen eine so große Sympathie für sie?

Ja.

Dann wurde 2020 dein erstes Buch bei StrzeleckiBooks veröffentlicht: »Andreas Maus. 2013 — 2018.«

Das war eine Sammlung deiner Zeichnungen. Genau. Aber eigentlich wollte ich mein Anne-Frank-Buch veröffentlichen. Da gab es eine erste Version: Das rote Buch. Das sollte nachgedruckt werden.

Nun gibt es im Zuge einer solchen Buchproduktion auch Vorgaben, wie zum Beispiel ein konkretes Format, oder es wird nach einem neuen Titelblatt gefragt: Ist das eigentlich für dich als Künstler ein Problem, solchen Aufträgen nachzukommen?

Nöö. Das gehört zum Profi-Künstler dazu.

Es gibt verschiedene Themenstränge in deiner Kunst. Neben Krieg, Gewalt und Politik liegt dir auch Sport am Herzen. Meine erste Goldmedaille habe ich vor 30 Jahren gewonnen. 100 Meter Brustschwimmen bei den Special Olym­­pics in Essen. Ich habe mit zwölf Jahren Schwimmen gelernt, das war im Friedrich-Karl-Bad in Nippes.

Und daneben gibt es noch abstrakte Bilder ohne konkrete Bezüge. Gibt es einen Prozess, der entscheidet, wann Du was malst?

Die abstrakten Bilder male ich zur Entspannung. Die anderen, wenn ich sie zeichnen will.

Du hast noch ein viertes Thema, Architektur.

Ja, ich male Gotteshäuser wie Synagogen, christliche Kirchen und Moscheen. Ich bin voriges Jahr in einer Synagoge in Prag gewesen: Ein prächtiger Bau aus dem Mittelalter. Prag ist sowieso eine altehrwürdige Stadt — es ist wirklich zu empfehlen, dahin zu fahren. Original echt.

Warum warst Du da?

Ich habe da ausgestellt. [Seine Werke wurden 2022 in der Ausstellung »Power­(less)« gezeigt.]

Du bist politisch sehr interessiert. Das findet sich auch in deiner Kunst wieder, wenn du zum Beispiel auf die Gefahren eines Rechtsrucks aufmerksam machst. In deinen Bildern findet man Bezüge zum Kaiserreich, zu den Nationalsozialisten, aber auch zur AFD …

Ich habe mal einen AfD-Anhänger gezeichnet, der einen Hitlergruß macht und sich dabei voll kackt.

Kenne ich, das ist ein super Bild! Du hast also ein großes Problem, auch mit aktu­ellen Rechten und mit der Gefahr, die von ihnen ausgeht?

Die AFD hat dieselben Ziele wie die NSDAP.

Jetzt gibt es Leute, die sagen, man soll mit den Rechten und der AfD reden. Was sagst du dazu?

Daumen runter. Die Leute haben vergessen, was Diktatur bedeutet.

Einen Satz, den man in verschie­denen Varianten bei dir immer wieder findet, lautet sinngemäß: »Demo­kratie rettet Leben, Diktatur tötet«. Malst Du gegen das Vergessen an?

Mit hundertprozentiger Sicherheit.

Andreas Maus: »Ausgelöscht für immer. Anne Frank«, StrzeleckiBooks, 978-3-910298-07-1, 152 Seiten, 35 €