Reduziert aufs Frau-Sein
Adelina hat kein leichtes Leben. Als Tochter eines exilierten Italieners stößt sie in der Schweiz der 70er Jahre auf unbewusste Ablehnung. Ihr Vater weiß nichts mit ihr anzufangen und widmet seine Zeit lieber seinem brotlosen Privatgelehrtentum anstatt sie bei den Schwierigkeiten in der Schule zu unterstützen. Als er stirbt, hinterlässt er ihr Analphabetismus, Schulden und eine etwas zu gutherzige Haltung gegenüber Männern.
So folgt in Adilenas Leben ein Mann, der sie ausnutzen will, auf den nächsten. Der Vater ihres Kindes Emma, ein italienischer Arbeitsmigrant, kehrt irgendwann nicht mehr aus dem Heimaturlaub zurück und stellt die Unterstützung ein. Ihr Vermieter bietet ihr Mieterlass gegen Sex, und ein schüchtern wirkender, männlicher Freund und Liebhaber will ihr und ihrer Tochter ein Leben in der italienischen Provinz aufzwingen. Dagegen wehrt Adelina sich mithilfe einer linken Terroristen-Gruppe, deren Wortführer ihr erst ihre marginalisierte Existenz in der kapitalistischen Wirtschaft erklärt, um sie danach für eine gefährliche Kuriertätigkeit einzuspannen, die niemand von den Genoss:innen übernehmen will.
Büchner-Preisträger Lukas Bärfuss erzählt Adelinas Geschichte in seinem neuen Roman »Eine Krume Brot«. Dabei bedient er sich eines gewissen Anachronismus. Denn obwohl die Kurzformel der »strukturellen Diskriminierung« heute oft gebraucht wird, um Ungleichheit zu erklären, findet man selten Protagonist:innen, die als Produkt dieser Strukturen angelegt sind — so wie Adelina. Sie ist keine Heldin, die gegen die Verhältnisse anrennt, sondern deren Zuspitzung: eine weibliche Person, der nur soviel Bildung zugestanden wurde, dass sie Hausfrau, ungelernte Arbeiterin und Mutter werden kann. So wandelt sie reduziert auf ihre Instinkte durch die Welt: Männer gegenüber handelt sie affektiv, erst im Laufe des Romans bildet sie zaghaft eine Grammatik der Gefühle und Bedürfnisse heraus. Und motiviert sind ihre Handlungen vor allem durch die Sorge um ihre Tochter Emma — ein Mutterinstinkt.
Bärfuss schildert dies mit einer Erzählstimme, die allwissend ist und zügig durch die 200 Seiten lange Geschichte führt. Und wirft damit eine Frage auf, die nicht im Roman selbst beantwortet wird: Ist Adelina eine Figur, in der eine radikale Gesellschaftskritik ihren Ausdruck findet oder ein politisches Phantasma, das seinen Ursprung im Wunsch nach Kontrolle und Bevormundung hat?
Lukas Bärfuss: »Die Krume Brot«, Rowohlt, 224 Seiten, 22 Euro