Schwebend rasant
Um sich dem Festival Oluzayo (ein Wort aus der Zulu-Sprache: »Was vor uns liegt«) zu nähern, das im Rahmen der African Futures, zeitgenössische afrikanische Musik nach Köln bringt, hilft der Griff zur Lupe. Das Festival, das vom 31.5. bis 4.6. stattfinden wird, ist sehr vielfältig und dicht programmiert. Warum nicht exemplarisch vorgehen, um die Idee von Oluzayo zu erfassen?! Schauen wir also auf Gabriel Abedi, der — mit drei anderen Musikern — vom »Zentrum für Aktuelle Musik Köln« einen Kompositionsauftrag für den Eröffnungsabend des Festivals am 31. Mai bekommen hat. Das Stück selbst, »Seperewa Kasa«, konnte vorab natürlich nicht gehört werden — es wird schließlich eine Welturaufführung sein —, aber man findet auch sonst einiges von Abedi. Los geht’s.
Das ist kraftvolle Musik: Der Pianist baut zunächst durch wuchtige Akkorde eine Spannung auf, die Stimmung ist nicht dissonant, bewegt sich für unsere Ohren aber am Rande des Disharmonischen. Damit ist etwas gesetzt — eine lauernde Erwartung, die sich daran knüpft, was aus diesem Anfang folgen mag. Wie wird die Spannung aufgelöst? In einem Tanz. »Vutsortsor« nennt der Komponist diesen, es ist eine hoch energetische musikalische Bewegung, wie eine heranstürmende Kavallerie. Das Ende dieses Tanzes aber überrascht, er mündet in einen zweiten, »Adzoù«, der anmutiger daherkommt, träumerischer.
Wir sind mitten in der Komposition »Agbadza for Piano Solo« von Gabriel Abedi, dem erst 24jährigen Komponisten aus Ghana, der in Italien lebt und arbeitet und dort schon für seine Kompositionen etliche (Nachwuchs-)Preise bekam. »Agbadza« hat 2021 den ersten Preis der »Carlos Guastavino International Composition Competition« gewonnen. Das fünfteilige Stück basiert, wie der Komponist anmerkt, auf pentatonischen Moll-Skalen aus der Musik der Ewe, einer Bevölkerungsgruppe, die hauptsächlich in Ghana und Togo lebt. Die Ewe-Musik zeichnet sich durch die Gleichzeitigkeit unterschiedlicher Parameter aus: eine polyrhythmische Struktur, deren Rhythmen einen starken Kontrast zueinander bilden, sodass die Musik gleichzeitig statisch (schwebend) und höchst dynamisch (rasant) erscheint; fixierte melodische Partien, die unbedingt wiederholt werden müssen, stehen ihrerseits im Kontrast zu den Rhythmen, die nicht fixiert sind.
Für Abedi ist diese Musik ein Katalysator — einerseits um sich seiner eigenen musikalischen Herkunft zu versichern, andererseits um den Dialog mit europäischer Kunstmusik zu suchen. So wichtig ihm der Bezug zu der Tradition des Landes seiner Eltern ist, so sehr legt Abedi wert darauf, dass er keine neo-traditionalistische Musik schreibt. Sie ist das Destillat ethnomusikalischer Forschungsarbeit, eine Verdichtung und vor allem eine idiosynkratische Interpretation überlieferter Ewe-Musiken. Damit ist klar: Abedi arbeitet nur nach eigenen Maßstäben, die er aber immer wieder an der Musik der Ewe überprüft. Er löst sich aus der postkolonialen Falle, wonach Musik aus Afrika entweder authentisch zu klingen hat — was immer das genau meint —, oder aber als Treibmittel herhalten muss, um Musik aus dem Globalen Norden rhythmisch aufzupeppen. Abedi komponiert seine Musik als Konfrontation auf Augenhöhe: keine Exotik, sondern Dialog. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit, wieso sollte er nicht auf Augenhöhe komponieren?! Aber die Tatsache, dass Neue Musik aus Afrika bzw. mit afrikanischen Bezügen hierzulande kaum bekannt ist, durchkreuzt diese Selbstverständlichkeit.
Sein für Köln komponiertes Stück stellt die Seperewa in den Mittelpunkt, ein 12-14-saitiges, lautenartiges Instrument, das auf das Kammerorchester des Ensemble Modern treffen wird. Der Kontrast könnte nicht größer sein: Denn die Technik der Seperewa ist nicht auf konventionelle Weise kanonisiert, sondern lebt allein durch die Leute, die das Instrument spielen — sie ist nicht fixiert, sondern überliefert. Das Ensemble Modern ist der wichtigste Klangkörper aus Deutschland für zeitgenössische Musik — wen sie in ihr Repertoire aufnehmen, den kanonisieren damit zugleich.
Gabriel Abedis Musik stellt Fragen danach, was Kanonisierung bedeutet, Aneignung, Modernisierung und die Schaffung neuer Kontexte. Darin ist sie radikal — so wie die anderen Komponisten, Bands und DJ, die wir auf dem Oluzayo hören werden.
stadtrevue präsentiert
Mi 31.5., Comedia, 20 Uhr: »Oluzayo — Where do we go from here?« Mit Stücken von Onche Rajesh Ugbabe, Michele Sanna, Gabriel Abedi undYang Song. Es spielt das Ensemble Modern dirigiert von Vimbayi Kaziboni.