Plötzlich illegal
Als die Kneipe noch in Betrieb war, hatte Wolfgang Bergmann seinen Stammplatz rechts an der Theke. Heute hat er dort seinen Arbeitsplatz eingerichtet. Nachdem die »Kaminstube« Ende 2009 schloss, zogen er und seine Frau ein. Die Kneipe dient nun als Wohnküche und Arbeitszimmer. Hinten durch, wo früher ein Tanzlokal war, befinden sich Bade- und Schlafzimmer. Hundert Quadratmeter, 760 Euro Miete, nah am Rhein, gut angebunden: Ein Glücksgriff, schien es.
Doch Ende März kam Post vom Bauaufsichtsamt: Es gebe keine Genehmigung, Bergmann wohne dort illegal. Man erwäge »den Erlass einer gebührenpflichtigen Ordnungsverfügung mit dem Ziel einer vollständigen Nutzungseinstellung«, gegebenenfalls »mit Zwangsmitteln«. Ein ähnliches Schreiben erreichte weitere Mieter der fünf Wohnungen in den Obergeschossen. Auch diese sind nicht als Wohnräume genehmigt, sondern für »Beherbergungszwecke«. Bergmann sagt, dort habe sich früher das »Hotel Winter« befunden. Das sei seit mehr als 30 Jahren Geschichte. »Seitdem wohnen dort Menschen mit regulären Mietverträgen, ohne zu ahnen, dass die Genehmigung fehlt.« Der Vermieter hat die Änderung nie beantragt.
Wenn wir hier raus müssen, droht uns die Obdachlosigkeit
Wolfgang Bergmann
Die Stadt wurde darauf im Sommer 2019 aufmerksam, als ein Rauchmelder einen Fehlalarm auslöste und die Feuerwehr die Wohnung aufbrach. Sie meldete Brandschutzmängel an das Bauaufsichtsamt. Und es stellte sich heraus: Zwei Wohnungen und die Kneipe sind für Wohnzwecke gar nicht genehmigt. Statt alles in Ordnung zu bringen, verkaufte der Vermieter das Haus, das nun von der Kölner GSS Immobilien AG verwaltet wird, die auch als Vermieter für die Stadt Köln tätig ist. Wie ein Gesellschafter dem Fachmagazin Immobilienmanager mitteilte, ließ die Immobiliengruppe ein früheres RTL-Gebäude in Junkersdorf zur neuen Zentrale für das Ordnungsamt umbauen. In dem Haus in Mülheim stellte die Firma eine provisorische Feuerleiter im Hof auf, blieb laut Bergmann ansonsten aber untätig. Auf eine Anfrage der Stadtrevue reagierte GSS Immobilien nicht. Ein Bauantrag für Wohnnutzung lag der Stadt bis Redaktionsschluss nicht vor.
»Warum bedroht man uns mit Zwangsmaßnahmen und nicht die Hausbesitzer?«, fragt Bergmann. »Ich bin 68, meine Frau ist 63. Wenn wir hier raus müssen, droht uns die Obdachlosigkeit.« Die Stadt Köln verweist darauf , dass die Eigentümer nicht Ansprechpartner für das Bauaufsichtsamt seien. »Laut Baurecht NRW richtet sich das Verfahren nur gegen die Nutzenden, diese sind laut Gesetz die Mieter*innen.« Eine konkrete amtliche Aufforderung zum Auszug sei aber nicht erfolgt.
Die Stadt könne die Räumung durchsetzen, so Hans Jörg Depel vom Mieterverein. Doch es gebe Ermessensspielraum. »Die Menschen leben dort teils seit vielen Jahren. Die Frage ist, wie akut die Gefahr tatsächlich ist.«
Bergmann hat eine Petition gestartet. Der Eigentümer wolle das Haus teuer sanieren oder abreißen und neu bauen, vermutet er. »Es kann doch nicht sein, dass die Stadt ihm dabei noch behilflich ist.«