Was Köln blüht
Der legale Joint, Gummibärchen mit THC und Haschkekse: Was in vielen Ländern bereits zum Alltag gehört, soll nach dem Willen der Bundesregierung auch bald in Deutschland möglich sein. Im April legte das Gesundheitsministerium ein Eckpunktepapier vor. Der Besitz von 25 Gramm zum Eigenkonsum und drei Pflanzen für die Mini-Plantage auf dem Balkon sollen entkriminalisiert werden. Diese »erste Säule« soll zudem die Grundlage für Cannabis-Vereine schaffen, die den regionalen und unkommerziellen Anbau und Vertrieb von Haschisch und Gras für ihre mindestens 18 Jahre alten und maximal 500 Mitglieder organisieren. Saatgut und Endprodukte, Vertrieb und Struktur der Vereine sollen reglementiert und kontrolliert werden. Ein Gesetzentwurf soll noch vor der Sommerpause vorliegen.
Nach dem Sommer soll die »zweite Säule« in Angriff genommen werden: Modellregionen, in denen Cannabisprodukte frei verkauft werden dürfen, allerdings nur an die Einwohner:innen und nur in dem Umfang, der der Nachfrage der Region entspricht. Für die meisten Kölner Ratsmitglieder war das der Startschuss. Köln soll sich bewerben. »Wie der Modellversuch genau aussehen wird, muss der Bundesgesundheitsminister entscheiden«, sagt Ralf Unna (Grüne), Vorsitzender des Gesundheitsausschusses. Es gebe noch große Unklarheiten. »Aber wir wollen vorne mit dabei sein.«
Für die Legalisierung, zumindest jedoch für eine Entkriminalisierung, gibt es mittlerweile einen breiten Konsens. »Die bisherige Cannabis-Politik ist gescheitert. Jetzt müssen wir neue Wege gehen«, sagt Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). Im Vordergrund stehe der Gesundheits- und Jugendschutz sowie das Ziel, den Schwarzmarkt und damit verunreinigtes Cannabis zu verdrängen, stattdessen die Qualität zu kontrollieren und die Abgabe staatlich zu lizenzieren. Die Modellvorhaben sollen helfen, legale kommerzielle Lieferketten zu etablieren — ein Punkt, der in den Niederlanden ignoriert worden war. Das organisierte Verbrechen nutzte das Versäumnis und beherrscht dort bis heute den Drogenmarkt. Fünf Jahre lang soll in den Modellregionen erprobt werden, wie das konkret funktionieren könnte. Präventionsangebote und wissenschaftliche Evaluation sollen die Projekte begleiten. Viele Voraussetzungen sind noch offen: Sollen die Hanfpflanzen regional angebaut werden oder wird es einen bundesweiten Handel geben? Wie soll der Cannabis-Tourismus in die Modellregionen unterbunden werden? Wer übernimmt die Kontrollen?
Die Kölner Ratsfraktionen mit Ausnahme der CDU sind fest entschlossen, mitzumachen. Grüne, SPD, Linke, Volt und FDP wollen die Stadtverwaltung beauftragen, eine Bewerbung vorzubereiten. Im Antrag wird ein fraktionsübergreifender Ratsbeschluss aus dem Jahr 2018 erwähnt, mit dem ein Modellprojekt für Köln gefordert wurde. Die Initiative kam von der Bezirksvertretung Innenstadt. Sie schien damals noch wenig aussichtsreich.
Andreas Hupke strahlt. Bereits seit zehn Jahren setzt sich der grüne Innenstadt-Bürgermeister für die Cannabis-Legalisierung ein. Lange Zeit stand er damit in Köln im politischen Abseits: »Der Widerstand war vehement! Das war ein Glaubenskrieg, fast ein Kreuzzug«, sagt er. 2014 schon hatten die Grünen gemeinsam mit der Piratenpartei in der Bezirksvertretung gefordert, den Verkauf von Cannabis an ausgewählten Stellen zu ermöglichen. Im Stadtrat wurde der Vorstoß abgelehnt, auch mit den Stimmen der Grünen. »Wenn wir damals von Ratspolitik und Verwaltung ernst genommen worden wären, könnte Köln heute viel weiter sein und hätte vielleicht Vorbildcharakter für ganz Deutschland.«
Die Fraktionen der Grünen, von Volt, SPD, FDP und Linke loben nun einhellig das geschlossene Vorgehen. Sie rechnen sich dadurch bessere Chancen aus, als Modellregion ausgewählt zu werden. Die CDU, Teil des Ratsbündnisses, will jedoch nicht mit einstimmen. Im Kölner Stadt-Anzeiger wettert der neu gewählte Parteivorsitzende Karl Mandl gegen die Legalisierung. Er warnt vor dem »Signal des Erlaubens«, vor mehr Unfällen unter Einfluss der Droge, vor weniger Befugnissen für die Polizei und vergleicht, ohne konkrete Erläuterungen, Shisha-Bars mit den Gefahren der Legalisierung. Stattdessen solle eine nachhaltige Strategie für den Ebertplatz und den Neumarkt für »mehr Aufenthaltsqualität« sorgen.
Die Kölner Verwaltung reagiert ebenfalls zurückhaltend, was dem Vernehmen nach auf Oberbürgermeisterin Henriette Reker zurückgeht. Auf eine Anfrage der SPD hieß es im März zunächst, dass eine Bewerbung nicht geplant sei, die Vorgaben aus Berlin noch nicht ausreichen würden. Die Ratsfraktionen drängen aber darauf, dass die Stadt vorbereitet ist, und verweisen auf Frankfurt und Offenbach, die bereits an ihrer Bewerbung arbeiten.
Es gibt viele kundige Mediziner, die vor den Gefahren des heute sehr viel stärkeren Cannabis warnen. Aufklärung, Präventionsangebote und die bessere Überwachung der Cannabisprodukte sollen helfen, entgegnen die Befürworter der Legalisierung. Die Zahl der Krankenhauseinweisungen wegen psychischer oder Verhaltensstörungen nach Cannabiskonsum hat sich nach den Daten von IT NRW seit 2011 fast verdoppelt. Cannabis liegt aber mit 5,1 Prozent aller Einweisungen wegen psychischer Folgen von Drogenmissbrauch weit hinter Alkohol (68,1 Prozent) und Opioiden.
Viele Kriminolog*innen setzen sich seit Jahrzehnten für eine Cannabis-Legalisierung ein. Nicole Bögelein ist Soziologin und Mitarbeiterin am Institut für Kriminologie der Uni Köln. Sie befürwortet ebenfalls die Legalisierung, aber nicht nur aus arbeitsökonomischer Sicht für Justiz und Strafverfolgung. Im Vordergrund steht für sie die Entkriminalisierung. Die Droge sei weit verbreitet. Wenn junge Erwachsene mit Cannabis erwischt würden, könne das langfristige Konsequenzen haben. Möglicherweise erhielten sie eine Strafe, manche gerieten in eine Abwärtsspirale. Alkohol hingegen könne jeder in beliebigen Mengen konsumieren. Am Beispiel der portugiesischen Drogenpolitik, die deutlich weitreichender ist als die Pläne der Bundesregierung, erklärt Bögelein die Erfolge eines liberalen Ansatzes. In Portugal ist der Besitz und Konsum von zehn Tagesrationen Marihuana, Ecstasy, Kokain und Heroin erlaubt. In der Folge habe es weniger Beschlagnahmungen von harten Drogen, weniger drogenbezogene Delikte, weniger Drogenbehandlungen und vor allem weniger Drogentote gegeben. »Warum Deutschland sich schon mit einer eingeschränkten Cannabis-Legalisierung so schwer tut, wundert auf Basis dieser Erfahrungen«, so Bögelein.
Wie groß der Schritt in Richtung Legalisierung in Köln tatsächlich sein wird, ohne die Unterstützung der OB, mit einem gespaltenen Ratsbündnis, einer abwartenden Verwaltung und einem eng gesteckten rechtlichen Rahmen, ist bislang nicht absehbar.