Wagemutig: »She Was Like a Wild Chrysanthemum«

Chroniken eines Landes

Das japanische Kulturinstitut zeigt Filme von Kinoshita Keisuke

Wenn das Japanische Kulturinstitut einem der größten Filmemacher eine Retrospektive widmet, muss man sich in dem Monat mit nichts anderem mehr in Sachen Kinokultur beschäftigen. Kinoshita Keisuke (1912–1998) war bemerkenswert unkonventionell: Er war schwul, was allgemein bekannt, doch nie thematisiert wurde; auf seine Weise war er ein Familienmensch, der es liebte, nicht nur seine Verwandtschaft, sondern auch nahestehende Mitarbeiter zu verehelichen; er war ein liberaler Geist, der sich zum Beispiel für die Darstellerin Tanaka Kinuyo einsetzte, als deren Lebensgefährte, der berühmte Regisseur Mizoguchi Kenji, gegen sie intrigierte, weil es ihm nicht passte, dass sie auch Regie führen wollte.

Vor allem war Keisuke experimentierlustig — jedes Werk gestaltete er anders, alle paar Filme ging er formale Wagnisse ein, siehe etwa den Bilderrahmenkranz um die Rückblenden in »She Was Like a Wild Chrysanthemum« (1955), die an die Filme Alain Resnais’ erinnernde Auflösung der Erzählzeit in »The Snow Flurry« (1959) oder die fauvistischen Farbkleckser auf ansonsten schwarzweißen Bildern in »The River Fuefuki« (1960). Letztere sind nicht Werke, für die Kinoshita am bekanntesten ist, aber sie bringen seine Sicht auf die Welt und das Kino mit am stärksten zum Ausdruck.

»The River Fuefuki« zählt dabei zu einem Genre, das in Japan extrem beliebt ist: der Chronikfilm — Erzählungen über Sozialzusammenhänge, die sich über längere Zeiträume hinziehen. Der Film handelt von einem Dorf zwischen zwei entscheidenden, mehr als sechzig Jahre auseinanderliegenden Schlachten der Sengoku-Zeit. »Twenty-Four Eyes« (1954) handelt von einer Lehrerin und ihren Schutzbefohlenen zwischen 1928 und 1946. Im Fall von »Kinder von Nagasaki« (1983) mag der Zeitraum vergleichsweise kurz sein, doch es sind die Tage und Jahre nach dem Abwurf der zweiten Atombombe. Da werden Sekunden zu Stunden und Wochen zu Monaten.

Zwischen diesen Großwerken schuf Kinoshita viel Kleines: ­Melodramen, Komödien, Thriller, sogar einen Horrorfilm. Was all seine Filme auszeichnet, ist sein Verhältnis zur Gegenwart: Seine Filme sind meist zeitgeistig, aber gehen darin nicht auf, bleiben kritisch-reflektiert. Mehr konnte das Kino in der Transformation von der Klassik in die Moderne nicht leisten. Nur wenige leisteten es so brillant wie Kinoshita Keisuke.

Eintritt frei! Weitere Infos auf jki.de