Pearl
Ti West hat sich in den vergangenen rund zwanzig Jahren mit Horrorfilmen wie »The House of the Devil« (2009) und »The Innkeepers« (2011), der Jim-Jones-Massaker-Parabel »The Sacrament« (2013) sowie dem einnehmend grimmigen Western »In a Valley of Violence (2016) als einer der ganz wenigen wirklich interessanten, weil intelligenten US-Genreregisseure der Gegenwart etablieren können. Im Gegensatz zu Ari Aster, Mike Flanagan oder Jordan Peele, die sich dauernd über das Populäre des Genreprinzips an sich erheben und mit ihrer Kunstabsicht quälen, hat West ganz im Geiste der frühen Meister verstanden, dass es erst einmal für alle kräftig krachen muss und dass die Ideen nicht an der Oberfläche zu sein haben, sondern im Gewebe der Werke.
Das heißt nicht, dass West keine Ambitionen hat, wie sein aktuelles Großprojekt über eine ausgesprochen faszinierend-libidinöse Serienmörderin zeigt. Vergangenes Jahr startete »X«, in dem Mia Goth das Pornostarlet Maxine sowie eine ältere Frau namens Pearl spielt, die sich am Ende des Films als gerissene Psychopathin und offenbar durchaus erfahrene Töterin erweist. Jetzt kommt »Pearl«, Untertitel: »An X-traordinary Origin Story«. Während »X« in den frühen 1970er Jahren, also zu Beginn des Goldenen Zeitalters der US-Pornographie spielt, ist »Pearl« in den letzten Tagen des Ersten Weltkriegs, zu Zeiten der Spanischen Grippe situiert. Pearl wartet auf die Rückkehr ihres Gatten aus Europa, wo er mit dem US-Expeditionskorps kämpft. Sie quält währenddessen zu Hause aus Langeweile Tiere im heimischen Farmstall, träumt von einer Karriere als Revuetänzerin und fängt was mit dem knackigen Filmvorführer des Dorfkinos an. Wer »X« gesehen hat, kann sich vorstellen, wie Pearl auf Ablehnung, Hohn oder so ganz generell Stress reagiert.
Mit seiner Trilogie nimmt sich West eines Schlüsselknotens des Genrekinos an: dem Ineinander von Horror und Porno. Der dritte und letzte Film des Projekts, »MaXXXine«, wird davon berichten, wie Maxine ihren Weg durch die siffigeren Gassen des Off Hollywood der 1980er Jahre findet. Was wohl heißt: West arbeitet an einem verblüffend moralischen, dabei gut gelaunt sardonisch-verspielten Entwurf der US-amerikanischen Filmgeschichte als Vision eines sich dauernd neu erfindenden Molochs. Wow!
USA 2022, R: Ti West, D: Mia Goth, David Corenswet, Tandi Wright, 103 Min. Start: 1.6.