Eismayer
Die Zahnpasta soll helfen. Um sich vor der Grundausbildung beim gefürchteten Vizeleutnant Eismayer zu drücken, presst sich der Rekrut das Zeug direkt aus der Tube in den Rachen. In ausreichender Menge kriegt man davon Fieber und kann sich so vor den Schikanen des Schleifers schützen. Doch beim Appell hilft alles nichts: Der Ausbilder lässt sich anhauchen und brüllt die Drückeberger an, wenn sich nochmal jemand dienstunfähig mache, kriege er einen Blutrausch. Eismayer meint es todernst. Und alle parieren, immer. Bis der junge Mario Falak zum Wehrdienst antritt. Und auch mal »nein« sagt.
Der berüchtigte Ausbilder Charles Eismayer des österreichischen Bundesheeres existiert tatsächlich. Um das Militär und dessen höchst umstrittene Methoden ranken in seiner Heimat allerlei Legenden und Gerüchte. Das hat vor allem auch mit seinem Privatleben zu tun, das im Kontrast zur Härte im Militär steht.
Der 1982 geborene Wiener Regisseur und Drehbuchautor David Wagner interessiert sich in seinem Spielfilmdebüt, das frei auf der realen Lebensgeschichte Eismayers basiert, vor allem für die Zerrissenheit seiner Titelfigur. Denn der Parademacho führt zwar eine scheinbar intakte Ehe mit seiner Frau Christina, aber im Verborgenen lebt er seine Homosexualität aus. Als ihm der offen schwule Mario zugewiesen wird, verliebt sich Eismayer in den selbstbewussten Rekruten und beginnt zum ersten Mal, sein Doppelleben und damit sein Wertesystem infrage zu stellen.
Wagner inszeniert das als psychologisches Liebesdrama, das seine widersprüchlichen Figuren ernst nimmt und respektvoll porträtiert. Gerhard Liebmann (»Blutgletscher«) verkörpert Eismayer mit präziser Wucht, die seinen inneren Kampf glaubwürdig werden lässt. Luka Dimic, der beim Schauspiel-Comingout #ActOut dabei war, ist eine Entdeckung als Mario. Nach Sebastian Meises »Große Freiheit« ist »Eismayer« ein weiterer sehr sehenswerter Queerfilm aus Österreich. In Venedig wurde er als bester Film der unabhängigen Sektion Settimana della Critica ausgezeichnet. Ein intensives Drama über ein außergewöhnliches Comingout, das in der Realität ein Happy End fand: Die beiden Männer gaben sich im Januar 2014 in Gala-Uniform in der Wiener Maria Theresien Kaserne das Ja-Wort.
A 2022, R: David Wagner, D: Gerhard Liebmann, Luka Dimic, Julai Koschitz, 87 Min. Start: 1.6.