Schreiben auf der Schulbank
»Taucht der Hund noch mal auf in deinem Roman?«
»Diese Wechsel der Erzählperspektive, was macht das mit deinem Protagonisten?«
»Wie hast du dir das angeeignet? Da es ja in Marokko spielt?«
»Ich muss leider sagen, ich hab nur den zweiten Text gelesen.«
»Ich auch.«
»Ähm, ich hab mich gefragt: Kann der Is wirklich nicht sprechen oder will er nur nicht?«
»Wie können die Figuren scharf werden«, sage ich, »wenn zum Beispiel Is nicht über Figurenrede und auch kaum über innere Gedankenrede charakterisiert wird?«
Am Ende fügt noch Monika Rinck, Schriftstellerin und unsere Professorin, eine Frage hinzu, dann ist der Reigen beendet, mit dem jedes Kolloquium beginnt. Die Fenster zum Innenhof sind sperrangelweit geöffnet, von der Kindertagesstätte weht Geschrei in den Seminarraum. Zeit, die Runde zu öffnen, Sina Guntermann zu Wort kommen zu lassen, deren Romanauszug wir alle gelesen haben. Jemand lobt die Präzision einer Metapher, jemand anders hinterfragt sie. Schweigen, auch mal zwei oder drei Minuten lang. Blinde Flecken im Blick auf den Text, die wir aufspüren wollen.
An der Kunsthochschule für Medien am Filzengraben kann man seit 2017 Literarisches Schreiben studieren. Aus dem aktuellen Seminarverzeichnis: »Immer geradeaus? Literatur als Architektur aus Raum und Zeit« bei Kathrin Röggla, »Formen des Erzählens« bei Juliana Kálnay, »Stil und Spleen« bei Nadja Küchenmeister, »Den Literaturbetrieb erleben« bei Alina Herbing, die mit uns eine Exkursion zur Leipziger Buchmesse gemacht hat. Dazu kommen regelmäßig Gastdozent:innen, und im freien Projektstudium kann man den Literaturbegriff dehnen, mit Text an Schnittstellen zu Performance, Film und Installation arbeiten, kollaborativ und mehrsprachig. Mittlerweile haben die KHM-Autor*innen Thomas Empl, Lisa Roy, Tobias Schulenburg und Jennifer de Negri Bücher veröffentlicht. Fatima Khan ist Autorin und etablierte Moderatorin von Lesungen. Drei Rolf-Dieter-Brinkmann-Stipendien in Folge haben Studierende der KHM erhalten.
Luca Bognanni hat mit 28 Jahren bei uns angefangen, nach einem Studium der Sozialwissenschaften und ein paar Jahren freiem Journalismus. An einem der ersten warmen Tage sitzen wir unter einem der Sonnensegel vor der Mensa, bunte Pasta mit Tofu und heller Soße auf den Tellern.
»Und? Was sagst du jetzt nach zwei Semestern?«
»Naja, die Impulse sind super. Was man hier alles angeboten bekommt, die vielen Seminare. Aber man muss sich auch schützen.«
»Schützen?«
»Letztes Semester haben wir im Kolloquium ›American Creative Writing‹ gelesen, von Sol Stein. Wie schreibt man eine Rückblende? Mit gelungenen und mit Negativbeispielen. Und das will ich nicht mehr. Dass mir noch mal jemand sagt, so musst du es machen und so auf keinen Fall.«
Ich denke an diesen Kommentar einer Dozentin, von der ich viel gelernt habe, am Rand meines Word-Dokuments: »Willst du personal erzählen oder mit inneren Monologen?« Die roten Markierungen in meinem Text. Als müsste man sich entscheiden, welche Schublade man in der Werkstatt öffnet, um ihr Teile zu entnehmen, aus denen man seine Literatur zimmert.
An einem Freitag mittag ballen sich Wolkenfelder über Neuehrenfeld, vor einem Reihenhaus in einer Seitenstraße rastet mein Fahrradschloss ein. Drinnen führt unsere Professorin Kathrin Röggla mich ins Wohnzimmer. Ein langer Esstisch im Durchgang zur Küche, Kaffee. Meerschweinchen, die hinter mir im Käfig in ihrem Stroh rascheln. Kathrin fragt nach dem Stand bei den »Auswärtslesungen«, gut soweit, die Premiere steht. Im Mai beginnt die neue Lesereihe der Kunsthochschule, die Julia Sophia Schöttner und ich moderieren. Dann geht es um den 30-seitigen Handlungsabriss meines Romans, und Kathrin spiegelt, wie sie Handlungsbögen und Figuren gelesen hat. Am Romanschluss will ich zwei Figuren in den Hamburger Hafen schicken, auf ein Containerschiff, und diese Episode sei grundsätzlich in Ordnung, sagt Kathrin.
»Wo ich nur Fragezeichen habe: Warum begleitet auch dieser Reederei-Geschäftsführer die anderen beiden da in den Hafen?«
»Ah. Stimmt.«
»Und insgesamt musst du, glaube ich, sozusagen am Magnetismus der Figuren arbeiten. Warum genau diese zehn Figuren in diesem Roman zu diesem Stoff?«
»Mhm.«
»Pass auf. Annett Gröschner. Kennst du? Die arbeitet ähnlich wie du.«
Kathrin läuft vor die Bücherwand in ihrem Wohnzimmer, sucht die Regalböden ab. Da, »Walpurgisnacht«, sie zieht Annett Gröschners Roman hervor, ich soll ihn mitnehmen.
Auch an der Universität zu Köln kann man am Rhein Schreiben studieren. Den Master-Studiengang Theorien und Praktiken professionellen Schreibens hat Prof. Dr. Christof Hamann ins Leben gerufen, Literaturwissenschaftler und Schriftsteller. Was hat sich durch die beiden Studiengänge im literarischen Leben Kölns getan?
»Beim Gang der Universität in die Stadt ist ziemlich was passiert«, sagt Hamann am Zoom-Bildschirm, ein Bücherregal schräg hinter sich. »Letztens hatte ich eine Absolventin bei mir im Kurs, die inzwischen beim Stadt-Anzeiger ist, und die sagte gleich: Ach, ihr zwei, ihr seid doch auch beim Stadt-Anzeiger. Dann gibt es Kooperationen mit dem WDR, mit Kiepenheuer & Witsch, mit der Buchhandlung Bittner, mit dem Literaturhaus. Es gibt ein Schreibkollektiv, »[in klammern]«, das die Studierenden selbst gegründet haben. Und einige wandern dann wie Lisa James zu Ihnen an die KHM ab.«
Lisa sitzt im Zug zu ihren Eltern, als ich sie am Telefon erwische. 2019 hat sie bei Hamann ihren M.A. gemacht, 2020 an der KHM begonnen. »Ich fand die Verschränkung an der Uni zu Köln mit Textlinguistik, Rhetorik, Medientheorie schon sinnvoll, das kann das Schreiben bereichern. Und es gab einen stärkeren Fokus auf pragmatische Texte, auf Reportage, Blog und so weiter, aber insgesamt weniger praktische Schreibkurse durch die Theorie-Module.«
Vor der Malzmühle wird am Montagabend nach dem Kolloquium der letzte Tabak zu Ende geraucht. Am Heumarkt heult ein Sportwagen auf, während wir an den Stehtischen lehnen, Jenny und Leonie Hoh, die sich an der KHM kennengelernt und die queerfeministische Lesereihe »[OHNE PRONOMEN]« entwickelt haben, Sina, Fatima, Julie, Tobias, Lisa, ich.
»War insgesamt schon kritisch, oder? Im Kolloquium eben«, sagt Sina.
»Soll es doch sein?«, fragt Jenny.
»Schon.«
Drinnen bestellen wir zwischen holzvertäfelten Wänden Pommes und Kölsch, stoßen mit Nadja Küchenmeister an. Letzten Mittwoch hat sie uns wie immer die Seminar-Lektüren gesendet. »Darüber hinaus«, stand in ihrer Mail, »wollte ich Euch fragen, ob wir uns nicht am Montag nach dem Kolloquium einfach mal außerhalb des Seminarraums treffen wollen. Es ist nicht alles Literatur im Leben. Wer von Euch wäre dabei?«