»Sinnlichkeit ist keine Frage des Alters«
Madame Denis, in »Mit Liebe und Entschlossenheit« ist eine Frau zwischen zwei Männern gefangen. Was hat Sie daran interessiert?
Das mit der Liebe ist kompliziert. Sara ist seit vielen Jahren glücklich mit Jean zusammen, aber dann taucht ihr ehemaliger Liebhaber François wieder auf und weckt Gefühle in ihr, die eher mit Verlangen als mit romantischer Liebe zu tun haben. Begehren kann sich in Liebe verwandeln, aber es ist nicht dasselbe. Und Sara fragt sich, was es mit der Rückkehr von François auf sich hat, ob es Zufall ist oder ob er sie bewusst gesucht hat.
Glauben Sie, dass wir Menschen zur Untreue verdammt sind?
In dem bekannten Chanson »Ne me quitte pas« vergleicht Jacques Brel die Liebe mit einem seit Langem erloschenen Vulkan, der erwacht und wieder Feuer speit. Daran glaube ich nicht. Was in der von Juliette Binoche gespielten Figur geboren wird, ist eine Form von sexueller Neugierde. Das Wiedersehen rüttelt etwas in ihr wach, dass sie zugleich erschüttert und erregt.
Sie erzählen die Geschichte konsequent aus Saras Perspektive. Warum ist die Auseinandersetzung mit weiblicher Sexualität noch immer so selten im Kino?
Weibliches Begehren gab es natürlich schon immer, aber es wurde als Sünde betrachtet, man durfte nicht darüber sprechen, während männliche Begehren das Gesetz des Lebens war. Ich habe dieses vermeintliche Tabu nie akzeptiert, weil ich zum Glück schon als Kind etwas ganz anderes erlebt habe. Ich hatte eine Mutter, die begehrt hat, die verknallt war und ihre Sexualität auf ganz natürliche und selbstverständliche Weise gelebt hat. Und Juliette hat diese Sinnlichkeit, dieses Feuer. Das ist keine Frage des Alters.
Im Film tragen die Figuren Schutzmasken. Warum wollten Sie die Geschichte in der Corona-Pandemie ansiedeln?
Die Produzenten waren dagegen, dass die Pandemie gezeigt wird, aber ich habe darauf bestanden. Der Film ist in verschiedenen Phasen der Pandemie entstanden, wir hatten vor dem Dreh über viele Monate im Lockdown nur telefonisch Kontakt, planten alles virtuell. Ich wollte nicht so drehen, als sei nichts passiert. Wir waren alle mit Masken am Set, wir hatten Ärzte in der Crew, wurden alle drei Tage getestet. In Paris saß jeder mit Maske in der Metro. Warum sollte ich das verheimlichen?
Ich habe es nie darauf angelegt, von möglichst vielen gemocht zu werden
Claire denis
Als Sie Ende der 80er Jahre anfingen, gab es nur sehr wenige Frauen, die Autorenfilme machten und ihre eigene Geschichte erzählten. Fühlen Sie sich als Pionierin?
Mir war bewusst, dass die Filmwelt feindselig war, wir Regisseurinnen wurden mit einer gewissen Herablassung betrachtet. Früher galt die männliche Sichtweise auf die Kunst als Standard. Frauen standen immer in der zweiten Reihe, wenn überhaupt. Natürlich konnten wir Gedichte schreiben, malen oder Filme drehen, aber die Kunst wurde als eine Art höhere geistige Betätigung angesehen, die uns nicht zugetraut wurde. Wir sollten uns mit »Herzensangelegenheiten« befassen und Kinder bekommen. Vielleicht hat aber gerade diese Herablassung uns Filmemacherinnen Kraft gegeben. Zumindest für mich bedeutete es, mit weniger Druck arbeiten zu können, weil ich dachte: Die können mich mal!
Ihre Filme galten oft als radikal. Wie erleben Sie nun die späte Anerkennung? Haben Sie sich angepasst oder ist es der Mainstream, der Ihnen entgegengekommen ist?
Ich hatte nie den Eindruck, etwas Radikales gemacht zu haben. Ich habe immer versucht, Filme zu machen, so gut ich eben kann. Wenn wir uns nach Anerkennung sehnen, wird das Leben schwieriger. Das heißt aber nicht, dass ich nicht froh bin, jetzt eine größere Wertschätzung für meine Arbeit zu spüren. Aber ich habe es nie darauf angelegt, von möglichst vielen gemocht zu werden, ich habe mich lieber auf das Filmemachen konzentriert. Und immer darauf geachtet, dass meine Projekte nicht zu teuer waren, weil ich niemanden ruinieren wollte. Trotz mancher Festivalpreise und Ehrungen ist und bleibt es aber kompliziert.