Mit Liebe und Entschlossenheit
Zu Beginn wird privates Glück geradezu auftrumpfend zelebriert: Während die beiden Hauptfiguren, Sara (Juliette Binoche) und Jean (Vincent Lindon), beim wortlosen Planschen im Meer zu beobachten sind, heben Regie und Montage jede beiläufige Zärtlichkeit hervor, die bei einem Paar um die 60 nicht mehr selbstverständlich ist. Nach der Rückkehr aus dem Urlaub offenbart auch der Alltag der beiden allerlei Annehmlichkeiten: Ihre schmucke Dachgeschosswohnung erlaubt einen herrlichen Rundblick über die Dächer von Paris. Das Geld, das Sara als Radiomoderatorin verdient, reicht offenbar für zwei. Und während Jean die Gründung einer Firma vorbereitet, bleibt ihm genug Zeit, um mit seinem Mercedes-Zweisitzer gezielt einen Vorstadt-Supermarkt anzusteuern, in dem sich Einkäufe besonders entspannt erledigen lassen.
Umso unerklärlicher scheint, wie plötzlich diese traute Zweisamkeit durch das Auftauchen eines Dritten erschüttert wird: Es reicht ein stummer Blick über eine Straße hinweg, damit Saras einstige Liebe zu François (Grégoire Colin) neu entflammt. Der wiederum braucht Jean nur anzurufen, um den ehemals engen Freund prompt für eine Geschäftsidee zu gewinnen. Dabei verrät das Drehbuch, das Christine Angot nach ihrer eigenen Romanvorlage mit Regisseurin Claire Denis verfasst hat, nicht, warum François vor acht Jahren verschwand — und ob das mit einer Haftstrafe von Jean zusammenhing.
Denis (s. Interview S. 60) setzt offenbar darauf, dass die Besessenheit, die die drei Hauptdarsteller*innen bei ihr schon in anderen wichtigen Rollen — in »Meine schöne innere Sonne« beziehungsweise »Dreckskerle« oder »Beau Travail« und »Nenette et Boni« — verkörpert haben, mittelbar auch das Handeln ihrer aktuellen Figuren erklären könne. Und dieses Kalkül geht tatsächlich irgendwie auf. Die Musik von Denis’ Hauskomponisten Stuart Staples erzeugt währenddessen eine fiebrige Mehrdeutigkeit, die sinnfällig durch die Masken akzentuiert wird, die während der Dreharbeiten wegen Covid auf den Straßen getragen wurden. Umso deutlicher kommt schließlich die beharrliche Neutralität zur Geltung, mit der die französische Filmemacherin subjektive Leidenschaft hier als eine objektive Verrücktheit schildert, etwa wenn sie François in der einzigen intimen Szene mit Sara zwischen befremdlicher Nötigung und kindischer Neckerei schwanken lässt.
(Avec amour et acharnement) F 2022, R: Claire Denis, D: Juliette Binoche, Vincent Lindon, Grégoire Colin, 116 Min.